Literatur

„Schwamm drüber“

Das lyrische Vermächtnis des verstorbenen Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger trägt den Titel „Leichte Gedichte“

Von 
Frank Dietschreit
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Verstand es, das Unterhaltsame und Tiefgründige zu verschmelzen: der Dichter und Denker Hans Magnus Enzensberger. © Manfred Neubauer/picture alliance /SZ Photo

Er war einer der bedeutendsten Dichter der Gegenwart. Im politisch und kulturell brachliegen Nachkriegsdeutschland erneuerte er die Lyrik und wurde zum Stichwortgeber unzähliger Debatten. Oft war er Kandidat für den Literaturnobelpreis. Bekommen hat er ihn nicht. Als er im vergangenen November im Alter 93 Jahren verstarb, hinterließ Hans Magnus Enzensberger ein gigantisches Werk. „Leichte Gedichte“ heißt sein letzter Gedichtband und lyrisches Vermächtnis.

Sich auf eine literarische Spielart festlegen, einer politischen Position treu bleiben: uninteressant. Eine Versammlung von „Best-Off“-Gedichten? Langweilig. Lieber etwas Neues, Unerwartetes, das Publikum verzaubern mit „Leichten Gedichten“ in einer Zeit schwerer Krisen. Das Kurzweilige und Lehrreiche, Unterhaltsame und Tiefgründige spielerisch verschmelzen: Das war sein Ding. „Lies keine Oden mein Sohn, lies die Fahrpläne: sie sind genauer“, hat er der rebellischen Jugend zugerufen. Aber dazugehören zum Protest: Nein, danke! „Ich bin keiner von uns.“ Schon war er, wie seine Lieblingsfigur, der „Fliegende Robert“, wieder unterwegs in die Freiheit, fabulierte über „Die Geschichte der Wolken“, fühlte sich „Leichter als Luft“.

Über den Poeten-Zirkus

Auch jetzt, den Tod vor Augen, spannt der Formulierungstänzer noch einmal den literarischen Schirm auf, fliegt los und schreibt ein Gedicht mit dem Titel: „Warum Gedichte leicht sind“: „Kümmere dich nicht / um die allererste und letzte Zeile! / Fang einfach von vorne an, / obwohl zigtausend Verse / dir im Kopf herumspuken. / Es hilft nichts, zu grübeln. / Du musst keine Epen schreiben, / keinen Roman, keine Manifeste. / Du hast nichts zu erzählen. / Nur die Geschichte redet dir ein, / auf den letzten Satz komme es an, / bloß, weil er der letzte ist.“

Über elitäre Ambitionen kann Hans Magnus Enzensberger nur lachen, der Furor der literarischen Weltverbesserer ist ihm zuwider. Schreiben als Therapie oder Anleitung zum Aufstand? „Lieber nicht!“ spottet er mit den Worten des Verweigerungs-Helden „Bartleby“. Und meint: „Künstler bilden sich ein, / dass sie etwas Besonderes sind. / Es gibt immer mehr Künstler. / Künstler wollen berühmt sein / und Geld haben, Preise und Orden. / Soviel Andrang ist unangenehm. / Dann doch lieber die Schlange vor der Bäckerei / in einer Hungersnot.“

„Die Tricks der Dichter“, schreibt er in einer Nachbemerkung, „sind so alt und zahlreich, dass ihren heutigen Nachfolgern kaum etwas Neues einfällt. Wir sind alle Epigonen.“ Man sollte „den Nummern der Poeten nicht über den Weg trauen. Wie im Zirkus sind ihre haarsträubenden Attraktionen oft nur ein Blendwerk, mit dem sie dem Publikum imponieren wollen.“

Jan Tripp hat das herrlich-schillernde Blendwerk mit kurios-surrealen Bildern versehen: zerrissene Fotos von klassischen Ölbildern, Naturstudien, Porträts, mythologische Fantasien, seltsame Fundstücke. Auch das Bild einer alten Schiefertafel ist dabei, das Gedicht, das dazu passen könnte, folgt später: „Wenn das alles ist, / was du auf dem Herzen hast – / na, wenn schon! / Im Bad findest du einen Schwamm. / Sogar die Mathematiker / greifen zu ihm und zur Kreide / vor der Tafel mit ihren Gleichungen / und löschen alles, / was sie stört, weil es voller Fehler ist.“ Das Leben kostet Nerven und kann schnell vorbei sein, also: „Schwamm drüber“.

Info: Enzensberger: „Leichte Gedichte“. Insel Verlag, 88 S., 14 Euro.

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