Russische Fürstinnen und Fürsten, Offiziere, Revolutionäre, Journalisten, finstere Gestalten, brave Bürger, ja sogar Pfälzer Auswanderer: So bunt sieht das Personal in Michael B. Saengers opulenter Trilogie „Leben und Sterben in Piter“ aus. Der kürzlich erschienene zweite Band, „Tod für Tod“, setzt den ersten, „Das Attentat“, von Ende 2019 mit der gleichen epischen Wucht fort und überzeugt sowohl als spannende Story als auch in sprachlicher Hinsicht.
Kenntnisreich fächert der Neustadter Autor, Jahrgang 1941, darin ein Sittenbild des zaristischen Russlands während der terroristischen Unruhen von St. Petersburg der 1870er Jahre auf und erzählt zugleich die Auswanderergeschichte der Brüder Waldemar und Christian Krieger. Russland hat Saenger über die Beziehungen zur Familiengeschichte kennen- und liebengelernt: Sein Großvater ist 1878 nach St. Petersburg gezogen, sein Vater und seine fünf Geschwister sind dort geboren, bevor die Familie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder zurück nach Deutschland kam. Saenger spricht fließend Russisch und ist im Vorstand der Deutschen Dostojewskij-Gesellschaft.
Gegenwart und Vergangenheit
Der zweite Band setzt mit einer grausigen Szene ein: die öffentliche Hinrichtung des Beamten Alexander Solowjow an einem herrlichen Maitag des Jahres 1879. Er wird beschuldigt, auf den Zaren Alexander II. ein Attentat verübt zu haben. Tausende Petersburger wohnen der Exekution durch Erhängen bei. In dem verwirrend vielfältigen Tableau, das Saenger vor den Augen der Leser ausbreitet, verknüpft sich Reales mit Erfundenem, Fantastisches mit Mystischem, Gegenwart mit Vergangenem. Wie nebenbei lernen die Leser berühmte Sehenswürdigkeiten in St. Petersburg kennen, das finnische Nationalepos, russische Lieder oder Märchen. Eine zentrale Rolle im Roman spielt auch der Bau der neuen Brücke über die Newa. Assistent des Bauherrn ist Philipp Baumgarten, der Pfälzer Einwanderer, der unfreiwillig in revolutionäre Machenschaften verwickelt wird. Ebenso dramatisch, wie er begonnen hat, endet der zweite Teil, wobei der Ausgang offen bleibt und die Leser neugierig macht auf den Folgeband, „Der Zar“, an dem der Autor bereits arbeitet.
Um das komplexe Geflecht von Akteuren angemessen zu erfassen, wechselt Saenger geschickt die Perspektiven, baut Rückblenden ein, zitiert aus Zeitungsartikeln und lässt seine Figuren bald spektakuläre Abenteuer, bald schwer durchschaubare Intrigen oder Liebeskummer durchleben, während sich die politischen Ereignisse vor der bolschewistischen Revolution von 1917 zuspitzen.
Was den historischen Roman insbesondere in Bezug zu den aktuellen Ereignissen lesenswert macht: Michael B. Saenger entwirft darin nicht nur ein lebendiges Bild von St. Petersburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern zeigt auch auf, wie schnell unlösbare Konflikte in eine Katastrophe münden.
- Michael B. Saenger: „Tod für Tod“. Band 2 des historischen Romans in drei Bänden „Leben und Sterben in Piter“. Verlag Edition G. 244 Seiten, 24 Euro.
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