Von Rap bis Elektro

Auf diese Mannheimer Pop-Acts sollte man 2023 achten

Von Apache 207 und OG Keemo bis Betterov – zuletzt hat es wieder viele neue Stars mit Mannheim-Bezug gegeben. Und nach der Pandemie stehen noch mehr in den Startlöchern, die meisten aus dem Umfeld der Popakademie. Deshalb haben wir deren Kreativchef Udo Dahmen um seine Einschätzung zu unserer Auswahl gebeten

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Juli Gilde, Clockclock und Adina - nur drei der großen Pop-Hoffnungen aus Mannheim. © Redaktion

LOI

Mannheim. Sie hat wahrscheinlich die größte Popstimme aus Mannheim seit Xavier Naidoo: Leonie Greiner besser bekannt als LOI. Mit einer kleinen, aber festen Fangemeinde, enormen Streamingzahlen, Warner Music als Plattenfirma und Chimperator als Booking Agentur ist im Prinzip längst alles perfekt  gerichtet für die ganz große Karriere. Wäre da nicht die vermaledeite Pandemie, der ihre erste größere Tour zum Opfer fiel.

Verträge mit Warner und Chimperator: LOI, die Rheinauerin mit der großen Popstimme, ist auf allerbestem Weg. © Philipp Glasdome

Ein Debütalbum lässt auch noch auf sich warten. Aber LOI veröffentlicht fleißig Singles, zuletzt „Gold“, studiert inzwischen an der Popakademie und hatte enorm vielversprechende Kurzauftritte zu Silvester am Brandenburger Tor und in der Hamburger Elbphilharmonie. Eigentlich eine ganz sichere Nummer auf diese junge Frau zu setzen. Das findet auch Udo Dahmen: „Leonie Greiner ist seit Wintersemester 2021/22 bei uns und steht für schönes, interessantes Songwriting. Was ich gerade so erlebe, wird sie ihren Weg machen. Dafür stehen ja schon die monatlichen Hörer bei Spotify. Aber wer kann das im Voraus sagen?“ Die einzelnen Daten passten bei ihr allerdings hervorragend zusammen: „Wenn sie das bestätigt, wie sie in puncto Songwriting angefangen hat, kann das funktionieren“, so Dahmen.

Monatliche Hörende bei Spotify:  1,63 Millionen

 

Schon an zwei Gold-Singles beteiligt: Der Speyerer Bojan Kalajdzic vom Mannheimer Electropop-Trio Clockclock. © Kanaan Brothers

ClockClock

Nach zwei Gold-Singles für „Redlight“ und „Brooklyn“ sowie angesichts gewaltiger Streamingzahlen sind ClockClock natürlich keine klassischen Newcomer mehr. Das Electropop-Trio um den aus Speyer stammenden Sänger Bojan Kalajdzic ist wegen des Bandpools der Popakademie nach Mannheim gezogen. Die DJs Fabian Fieser und Mark Vonsin kommen aus Landau. Die Pfälzer klingen trotzdem nicht nach Sizarr oder Drangsal, sondern eher nach der elektronisch angetriebenen Indie-Popmusik, mit der Milky Chance oder Giant Rooks international erfolgreich wurden. Und auch sie können erst 2023 so richtig auf die Überholspur wechseln, zum Beispiel bei ihrer ersten Tour im Frühjahr. Die führt sie am 15. April in die Alte Feuerwache in Mannheim.

Monatliche Hörende bei Spotify:  2,73 Millionen

 

Bei Nora OG passt fast alles: Hitqualität, Bühnenpräsenz, Stimme, Botschaft – trotzdem gibt es bei der Resonanz noch viel Luft nach oben. © CAPADOL

Nora OG

Anfang Oktober hat es Nora OG bei tristem Wetter vor Laufkundschaft beim ersten „Pop im Quadrat“ auf den Kapuzinerplanken mit ihrer beim Popakademie-Studium gefundenen Band bewiesen: Sie sind ein Top-Live-Act mit serienweise Ohrwürmern im Stil von Seeed zwischen Dancehall-Reagge und Rap, die Frontfrau hat Stimme, Ausstrahlung und verkörpert eine zeitgemäße Empowerment-Botschaft. Warum die   28-jährige Dortmunderin mit ihrem Album „13“ nicht raketenhaft durchgestartet ist, bleibt ein Rätsel. „Da tue ich mich ganz schwer“, rätselt auch Udo Dahmen ein wenig. Er rät dazu, Kräfte zu bündeln und sich weiter auf die Stärken zu konzentrieren: „Diese gesamte Female-Empowerment-Seite finde ich so stark, dass ich glaube: Da geht noch viel mehr.“

Monatliche Hörende bei Spotify: 642

 

„Ganz viel Potential“ attestiert nicht nur Udo Dahmen seinem Studenten Milo Hölzl, der als Myle schon beim New Pop Festival überzeugt hat. © Jörg-Peter Klotz

Myle

„Bei Myle sehe ich ganz viel Potenzial“, sagt Udo Dahmen über einen seiner zurzeit wohl prominentesten Studierenden.  Er ist natürlich noch am Anfang. Aber er hat mit ,Mutual‘ immerhin schon eine Nummer eins in den iTunes-Single-Charts gehabt und mehr als 600 000 monatliche Hörer bei Spotify. Da ist noch mehr möglich.“ Zumal der 22-jährige Deutsch-Amerikaner aus Ravensburg mit den „Smylers“, überwiegend sind es wohl „Smylerinnern“ eine aktive Fanbase hinter sich hat, perfekte Radio-Hits schreiben kann und live mit seiner Band einen ordentlichen Wumms auf die Bühne bringt. Was schon beim New Pop Festival des SWR, im Vorprogramm von Wincent Weiss oder zuletzt bei Myles – ebenfalls verspäteten - Headliner-Debüt im Karlstorbahnhof zu erleben war. „Zurzeit geht die Entwicklung generell von Single zu Single, von einer Veröffentlichung zur nächsten. Da hängt viel vom nächsten Song ab – aber da kann ich mir bei Myle viel vorstellen“, ergänzt Dahmen.

Monatliche Hörende bei Spotify: 610 000

Adina

Was man so hörte, hat die Wahl-Heidelbergerin Adina sich die Plattenfirmen aussuchen können: Gelandet ist die Bandpool-Teilnehmerin beim Multi Universal Music, und sie begann das Jahr mit der neuen Single „Goldie“. Urbaner Deutsch-Pop mit starker Stimme und Post-Malone-Vibes.

Hat der Major-Plattenfirma Universal den Zuschlag gegeben: Bandpool-Teilnehmerin Adina Mitschele. © Simon Stoeckl

Diese Karriere wird sicher Fahrt aufnehmen, zumal die in Karlsruhe aufgewachsene 24-Jährige sich keine kleinen Ziele steckt. Zum Beispiel „Live auf die Größe von LEA zu kommen. Denn ich liebe es, live zu spielen“, wie sie vor der Teilnahme am KulturGut-Festival des „Mannheimer Morgen“ Anfang 2022 sagte.   „Adina ist für mich auch so ein Fall, wo eine Menge gehen kann. Wir hätten sie nicht in den Bandpool genommen, wenn wir nicht denken würden, dass sie großes Potenzial hat“, urteilt Udo Dahmen. Da hänge auch ganz viel davon ab, dass möglichst viel live gespielt werden könne.

Monatliche Hörende bei Spotify: 32 334

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Tom Twers

Udo Dahmen selbst empfiehlt Tom Twers für die Liste, auch wenn der Popakademie-Student bei Spotify schon ein Millionenpublikum erreicht.

Erreicht schon ein Millionenpublikum auf Spotify: der aus dem Raum Frankfurt stammende Tom Twers (22). © BTA

„Das ist guter Mainstream-Pop, der die Menschen schon abholt.“ Tatsächlich klingt der 22-Jährige, der 2020 nach Mannheim kam, wie jetzt viele klingen: Sehr modern mit elektronischer Erdung produziert, viel Effekt auf der Stimme. Aber der aus dem Raum Frankfurt stammende Sänger und Songwriter hat einen hohen Wiedererkennungswert, nicht nur weil er trotz seines Pop-Appeals tendenziell an gefeierte Indie-Jungstars wie Provinz oder Schmyt erinnert. Die emotionale Offenheit in den sehr persönlich wirkenden Texten ist mitunter fast so radikal wie früher beim schonungslosen Selbstentblößer Philipp Poisel.

Monatliche Hörende bei Spotify: 1,2 Millionen 

Nikra

Nikra ist einer der „Geheimtipps“ vom Popakademie-Chef, die unsere Auswahl stilistisch abrundet: „Punkmäßig und ziemlich kompromisslos. Ich empfehle ihren Auftritt bei unseren Popakademie-Sessions auf YouTube“, so Udo Dahmen. Auffällig ist die gut ausgebildete Stimme der 2001 in Trier geborenen Annabelle Müller, die aber auch ganz schön rotzig klingen kann. Von Ferne grüßt German-Punk-Grandma Nina Hagen. Aber Nikra, die seit 2020 in Mannheim lebt, singt und wirkt weniger überdreht – und inhaltlich intellektueller.

Kompromisslos punkig, aber inhaltlich mit Tiefgang: Nikra. © Sandra Ludewig

Dabei sendet die Frontfrau des Bandprojekjts Nikra starke Wokeness-Signale, die auf ihrer Homepage hübsch ausformuliert sind: „Nikra ist das Symbol einer  Bewegung, die nicht schlafen kann, freitags nicht in der Schule war, die Diversität lebt, deren Wut nicht verstanden wird, und die nach einer Zukunft schreit! Nikra macht Musik für die Playlist Generation, deren rauer Sound so laut ist , dass die Handylautsprecher explodieren. Eine Generation die Genre- und Gender-Zuweisung als Hindernis sieht.“  Wie gut und abwechslungsreich das klingen kann, zeigen allein die beiden gegensätzlichen Versionen des Titelsongs ihrer ersten EP „Gruselkabinett“ – die eine rockt mitten ins Gesicht, die andere hat fast eine Art Kammermusik-Appeal. Die zweite EP ist wohl schon im Kasten – auch das klingt vielversprechend.

Monatliche Hörende bei Spotify: 536

 

Paul Gerlinger

Trotz Pandemie hat der Mannheimer Paul Gerlinger 2022   die wohl bewegteste Woche seiner bisherigen Musikkarriere erlebt: Binnen von drei Tagen ist er Mitte Juni erst kurzfristig für das Vorprogramm des irischen Pop-Senkrechtstarters Dermot Kennedy beim Zeltfestival eingesprungen, dann eröffnete er tags drauf für die Schweizer Indie-Pop-Ikone Sophie Hunger in der Alten Feuerwache und spielt schließlich ein vergleichsweise entspanntes Open Air auf der Sommerbühne des alten Karlstorbahnhofs.

Der Mannheimer Paul Gerlinger hat musikalisch ein bewegtes Jahr hinter und hoffentlich ein erfolgreiches 2023 vor sich. © Lea Braeuer

Überzeugt hat der Ex-Flourishless-Sänger  jedes Mal, mit exzellenten Indie-Deutschpopsongs und seiner starken, tiefen Stimme. Und es hat sich gelohnt: Vor allem nach dem Auftritt vor Kennedy glühten Gerlingers Social-Media Kanäle. Auch bei diesem Bandpool-Mitglied könnte 2023 also das Jahr des großen Durchbruchs werden. Das bestätigt auch Udo Dahmen, der über den 26-Jährigen sagt: „Guter Songwriter, gar keine Frage. Gute Texte. Da ist auch schon Etliches gesetzt. Mehr als 187 000 im Monat bei Spotify, das ist nicht schlecht – und mit die härteste Währung, die wir im Moment haben.“

Monatliche Hörende bei Spotify: 187 500

20 Jahre ist Juli Gilde erst, klingt aber schon wie die große Liedermacherin Dota Kehr – aber eigenständig und künftig wohl deutlich poppiger. © Sandra Ludewig

Juli Gilde

Udo Dahmens zweiter Geheimtipp heißt Juli Gilde: „Da sind die Zahlen noch nicht so hoch, aber sie ist sehr interessant. Eine Songwriterin der jüngsten Generation mit deutschen Texten. Und eher die Meisterin der leisen Töne.“ Diese kann die Popakademikern aus dem Berliner Stadtteil Französisch-Buchholz aber eindrucksvoll variieren. Ihr Gesang erinnert teilweise frappierend an die Liedermacherin Dota Kehr, bekommt aber durch die Zugehörigkeit zur Generation Millennial einen ganz anderen Dreh. Passenderweise spielt sie im Rahmen einer größeren Tour am 11. März beim Festival Schöner Lügen des Heidelberger Kulturfensters, wo Kehr einmal Artist-in-Residence war. Und mit der Single „Autofensterkurbel“ gibt es ab 20. März einen Vorgeschmack auf die EP „Euphorie und Panik!“, die wohl deutlich poppiger ausfällt als die folkangehauchten Anfänge. Richtung Phoebe Bridgers  Oder Lina Maly. Ihr Label sieht berechtigterweise Anlass für große Hoffnung: „Innerhalb kürzester Zeit haben sich dutzende gestandene MusikerInnen in ihre Stimme und ihr unglaubliches Songwriting-Talent verknallt, so dass Juli mittlerweile mit Künstlern wie Moritz Krämer oder Francesco Wilking an gemeinsamen Songs geschrieben oder für Jeremias oder Element of Crime Support gespielt hat.“ 

Monatliche Hörende bei Spotify: 3957

Als ob er’s gerade im „Mannheimer Morgen“ gelesen hätte: Gringo Mayer freut sich über die Ausverkauft-Meldung für sein Konzert am 19. Januar im Capitol. © Instagram

Gringo Mayer

Als einzige der hier ausgewählten Mannheimer „High Hopes für 2023“ hat der Popakademie-Geschäftsführer keine Aktien bei Gringo Mayer. Udo Dahmen sagt zum Lokalmatadoren nur so viel: „Blues und Mannheimer Mundart, das passt schon zusammen. Da kann was gehen. Aber das Problem ist immer, sich mit Dialekt bundesweit durchzusetzen – egal, um welchen es geht.“ Man werde sehen müssen, wie weit es über die Region hinausgehe. „Da fehlen vielleicht noch ein paar Festivals. Ich würd’s ihm wünschen, dass es klappt.“ Dafür kann die Annäherung an Grand Hotel van Cleef, das Label von Kettcar und Thees Uhlmann, mit Möglichkeiten im Vorprogramm im „hochdeutschen Ausland“ nützlich sein. Auch Tourneen mit dem gebürtigen Heidelberger Götz Widmann. Wichtiger war aber der erste Schritt: Mit seinem exzellenten Monnemer Debütalbum „Nimmi normal“ hat sich der einstige Sänger der Indie-Band die Felsen in seiner Heimat live die Finger fast wund gespielt. Der Lohn: Das Heimspiel am 19. Januar im Capitol ist schon jetzt ausverkauft. Und viele warten auf das zweite Album, das im Sommer erscheinen soll. Die erste Single „Des is brudal“ passt als Vorbote schon mal ziemlich gut in die Zeit.

Monatliche Hörende bei Spotify: 5200

 

 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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