Abgrundtief schön

Die Felsküste der Algarve galt lange Zeit als verfluchter Ort. Zwar erwarten Klippenwanderer dort traumhafte Meerblicke, einzigartige Steinformationen, seltene Tiere und versteckte Buchten – jedoch nicht ohne Risiko.

Von 
Pia Hoffmann
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Wandern am Abgrund: Ponta da Piedade ist nur über prekäre Kletterwege und über eine sichere Treppe zu erreichen. © Pia Hoffmann

Zerklüftete Steinlandschaften, sattgrüne Pinien und bunte Wüstenblumen. Dazu ein Konzert aus Möwengeschrei, Grillenzirpen und tosender Brandung – schöner kann mediterraner Küstenzauber nicht sein. Wer sich auf die Klippenpfade zwischen Albufeira und Lagos im Süden Portugals wagt, sollte jedoch trittfest und schwindelfrei sein, denn die markierten Wanderwege führen nah an der Absturzkante entlang.

Bis ins 17. Jahrhundert galt die Felsalgarve als verfluchter Ort. „An den steilen Klippen mit ihren gefährlichen Überhängen, wo die Leute heute unbekümmert Urlaub machen, geschahen früher zahlreiche Morde und Selbstmorde“, erzählt Gästeführer Christopher Shean.

Bröckelnde Klippen

Tragische Unfälle gibt es auch heute noch. Durch die starke Erosion sind die Felsen an vielen Stellen unterspült oder brüchig geworden. Immer wieder stürzen Gesteinsbrocken ins Meer. Der Atlantik holt sich jedes Jahr bis zu zwei Meter Küste zurück. An den Stränden und entlang der Küstenwanderwege stehen deshalb überall Gefahrenschilder.

Spaziergänger sollten niemals auf überstehende Felsbalkons treten. Strandurlaubern wird geraten, ihre Handtücher nicht unter Felsvorsprüngen zu legen. Beachtet werden die Warnungen nicht. Am Strand sind die Schattenflächen unter den Steinüberhängen die begehrtesten Liegeplätze. „Die Klippen bröckeln aber normalerweise nur im Winter, wenn Wind, Wellen und Regen auf sie einpeitschen“, beruhigt Privat-Guide Diana Nunes. „In der kalten Jahreszeit überprüfen die Wasserbehörden deshalb die gesamte Küste und schlagen einsturzgefährdete Felsstücke kontrolliert ab.“

Unterwegs stoßen Küstenwanderer immer wieder auf Seile und Leitern, die an steilen Felsen angebracht sind. „Damit klettern die Fischer auf Vorsprünge, die sie sonst nicht erreichen könnten“, sagt Nunes. Viele Einheimische hier leben vom Fischfang. Sie werfen ihre Angeln von den Klippen aus, die am weitesten ins Wasser reichen. „Da sie das schon seit Generationen so machen, fühlen sie sich sicher. Aber das Gestein ist es nicht.“ So sind mitunter an den Felsen auch Kreuze angebracht, die an Verunglückte erinnern. Auf einer Landzunge bei Porches steht die Kapelle „Nossa Senhora da Rocha“, wo die Ehefrauen der Fischer schon im 15. Jahrhundert für die Rückkehr ihrer Männer beteten.

Die Ponta da Piedade bei Lagos, eine atemberaubende Karstlandschaft mit Klettermöglichkeiten, ist auch über eine sichere Treppe zu erreichen. Einer der schönsten Wanderabschnitte beginnt bei Algar Seco. Inmitten der Kalksteinwüste hoch über dem Meer laden kleine Felsenpools zum Planschen ein. Der Legende nach sollen sie durch die Tränen der Prinzessin Alfanzina entstanden sein, die hier täglich um ihren Geliebten trauerte. Ein 570 Meter langer Holzsteg bietet spektakuläre Ausblicke.

Vom malerischen Küstenstädtchen Carvoeiro führt ein Wanderpfad nach Osten über den Leuchtturm von Alfanzina zur Bucht von Carvalho. Hier hat sich ein Gesteinsblock so weit vom Land gelöst, dass er wie eine Felsnadel aus dem Meer ragt. Durch eine Höhle führt eine Treppe zum Strand, wo ein Balkon in den Fels gehauen ist. Mutige springen von den Vorsprüngen ins Meer.

Weiter geht es in staubigen Spuren, oft nur Fußbreit vom Abgrund entfernt, über die schroffen Klippen. Wanderfalken thronen wie versteinert auf Agaven, Kormorane segeln über die Wellen. Möwen brüten in ihren Nestern. Und wer Glück hat, sieht, wie ein Chamäleon über den Weg stolziert.

Wellen am Höhlenstrand

Gleich hinter dem nächsten Fischerdorf liegt die Hauptattraktion: die Grotte von Benagil. Was von unten wie eine Felskathedrale mit Deckenöffnung zum Himmel wirkt, ist von oben nur ein unscheinbares Loch im Boden. Es ist trotzdem leicht zu finden, da es immer von Touristen umgeben ist. Die meisten schauen zunächst ehrfurchtsvoll vom Sicherheitszaun aus in die Tiefe, wo sich mit lautem Echo Wellen am Höhlenstrand brechen. Doch kaum klettert der erste über die Holzabsperrung, um ein Selfie zu schießen, machen es die anderen nach. Von der Warntafel mit den bröckelnden Felsen und herabstürzenden Strichmännchen nimmt kaum jemand Notiz.

Am Praia da Marinha können sich müde Wanderer dann vor einer Traumkulisse in die Fluten stürzen. Die Bucht wurde von National Geographic als einer der schönsten Strände der Welt beschrieben. Hauptsächlich wegen zwei Felsarkaden, die aussehen, als würde ein riesiger Elefant seinen Rüssel ins Meer tauchen. Herum ragen freistehende Steintürme wie Pilze aus dem Wasser. Zwischen Galé und São Rafael finden Klippenwanderer eine versteckte Bucht nach der anderen: Pedras Amarela, Evaristo, Castelo oder Coelha.

Ein absoluter Geheimtipp ist Xorino, eine in einem Felskreis verborgene Strandoase zwischen Coelha und São Rafael. Schilder und Straßen gibt es dort nicht, aber aufmerksame Wanderer stolpern von selbst über die Steinarena im Boden. In der Tiefe wird ein meist menschenleerer Traumstrand durch eine Höhlenöffnung mit türkisgrünem Meerwasser bespült. Naturwunder und Naturgewalt liegen hier ganz nah beieinander.

Reisetipps

Unterkünfte: Vila Channa: hübsche, kleine, familiengeführte Pension mit Pool fußläufig zum Praia do São Rafael (www.vilachanna.pt); Hotel Baia Grande, fußläufig zum Praia da Coelha (www.hotelbaiagrande.com); Algar Seco Parque, zwanglose Apartmentanlage mit Meerblick auf den Klippen am Boardwalk von Carvoeiro (www.algarseco.com).

Wanderungen: Klippenwanderung vom Praia da Galé zum Praia do São Rafael (rund fünf Kilometer); Klippenwanderung von Carvoeiro über Benagil zum Praia da Marinha (etwa zehn Kilometer).

Freie Autorin Reisejournalistin mit Lieblingsreisezielen Anna Maria Island/Florida, Algarve/Portugal, Maadhoo/Malediven, Yorkshire Dales/England. Studium Anglistik, Germanistik und Medienwissenschaft mit Abschluss Magister Artium. Freie Journalistin bei Zeitungen, Zeitschriften, Radio und TV. Redakteurin und Moderatorin der Reisesendung Holiday bei Radio Regenbogen und der Sendung Musical Highlights bei Klassik Radio. Großbritannien-Korrespondentin in London für dpa/RUFA. Redakteurin bei B & B Medien, Inhaberin Redaktionsbüro Mediatravels.

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