Leben mit Stil

Seit 2008 geben viele Gutsund Herrenhäuser MecklenburgVorpommerns einmal im Jahr zu Mittsommer Einblick in herrschaftliche Gemächer, Gutsküchen und das alltägliche Leben im Herrenhaus. Unsere Autorin traf dabei zufällig auf den eigenen Namen.

Von 
Helgard Below
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Ein Rundgang durch Schloss Retzow, südlich der Müritz © Helgard Below

Carlos el Canario stimmt die spanische Gitarre an und Laura la Risa wirft energisch ihren Rock mit den vielen Volants von links nach rechts. Dabei stampft sie einen Staccato-Rhythmus auf den Boden, als würde sie mit ihren hohen Absätzen trommeln. Nach vielen wilden Drehungen streckt sie in der Schlusspose die Hände mit dem Fächer in die Luft und die Zuschauer klatschen und jubeln. In dieser lauen Mittsommernacht sitzen sie auf einer Bank im Park, trinken Rotwein, essen Tapas und dampfende Paella. Und dennoch sind sie nicht auf Besuch in Spanien, sondern in der Mecklenburgischen Seenplatte.

Privatfeste hauchen den Gemäuern Leben ein

Mit über 2000 herrschaftlichen Wohnsitzen ist Mecklenburg-Vorpommern das Bundesland der Schlösser und Gutshäuser. Von italienischem Palazzo, dänischer Klinkerrenaissance, Rokokotraum bis Barockresidenz, da ist für jeden Geschmack etwas dabei. Seit 2008 öffnen einige Guts- und Herrenhäuser Mecklenburg-Vorpommerns einmal im Jahr zur Mittsommer-Remise ihre Türen. Initiator Robert Uhde hat das Konzept entwickelt, um Touristen von der Ostseeküste ins Binnenland zu locken, und begann 2008 mit elf teilnehmenden Gutshäusern. Immer mehr denkmalgeschützte Anwesen kamen seitdem hinzu; 2018 werden es 110 sein. Sie geben Einblick in herrschaftliche Gemächer, Gutsküchen, Kirchen mit Erbbegräbnis und das alltägliche Leben im Herrenhaus. Der charmante Empfang durch die Besitzer, ob begüterte Hoteleigner oder Städter mit großen Visionen, Konzerte, Wein und Snacks versüßen die Landpartie von Schloss zu Schloss.

Im Gutshaus Below wird zur Live-Konzertnacht im Gutspark jedes Jahr etwas anderes dargeboten, mal Flamenco, mal brasilianischer Bossa nova oder osteuropäischer Datscha Dance. Wolfram und Sylke Klemm hat es aus Berlin hierher verschlagen, sie haben das verfallende barocke Fachwerk-Kleinod von 1680 gekauft und behutsam instand gesetzt. „Wo irgend möglich, haben wir die alte Bausubstanz erhalten und sogar antike Dielen geflickt. Die gusseisernen Heizkörper, die frei stehende Badewanne und die Fliesen sind zwar neu, aber nach alten Vorbildern gefertigt. Dafür haben wir den Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege bekommen“, erzählt Wolfram Klemm bei seiner Hausführung, die in der gemütlichen Gutsküche endet. Neben ihrer eigenen sind zwei historisch möblierte Ferienwohnungen und eine Naturheilpraxis entstanden. Der holzvertäfelte Festsaal mit Kristalllüster und die Espressobar laden auch an anderen Tagen zum Feiern ein. So helfen sie, wie viele andere alte und neue Schlossherren, uralten Gemäuern und ländlichen Gegenden wieder Leben einzuhauchen.

Das klassizistisch-weiße Schloss Retzow südlich der Müritz kann man sogar im Ganzen für rauschende, landadlige Feste mieten. Die herrlich hellen, hohen Räume sind mit Lehm verputzt und in kräftigen Farben gestrichen, Stuck, Holztreppen und Parkett wurden restauriert, gegenüber erstrecken sich sieben Hektar englischer Landschaftsgarten. Im nahen Romantik-Hotel Gutshaus Ludorf auf einer Halbinsel im Müritzsee werden schon seit 1999 Gäste empfangen. Sogar Angela Merkel hat hinter den über 300-jährigen Fassaden im Stil der dänischen Klinkerrenaissance mal ein Familienfest gefeiert. Dennoch führt Besitzer Manfred Achtenhagen an diesem Abend Neugierige an Hotelgästen vorbei durch die gediegene Bibliothek in den Barocksaal, dessen Holzdecke mit seltenen Gemälden verziert ist. Jagdszenen, Engelchen und Pflanzenornamente, wie auf Schiffsplanken gemalt.

Sogar manche Gruft kann man besichtigen

Gleich neben dem Hotel steht die ungewöhnliche Dorfkirche. „Sie wurde im 12. Jahrhundert von Kreuzritter Wipert von Morin erbaut und ist der Grabeskirche von Jerusalem nachempfunden und daher achteckig“, sagt Achtenhagen und schließt mit einem großen Schlüssel das kleine Gotteshaus auf. „Das ist einzigartig in Norddeutschland.“ Hinter einer schmiedeeisernen Tür unter den Familienwappen an der Wand verbirgt sich eine weitere Attraktion. In der versteckten Nische stapeln sich die kunstvoll geschnitzten Särge des örtlichen Landadels. Es ist die Familiengruft des Geschlechts von Knuth, den früheren Herren und Erbauern des Gutshauses Ludorf.

Auf der Schlossinsel Mirow waren noch viel höher gestellte Herrschaften zu Hause. Bei einer Inselführung erkunden Besucher den Witwensitz und die Fürstengruft der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz. Im kleinen Rokoko-Schloss wurden Prinzessin Sophie-Charlotte, spätere Königin von Großbritannien, und der Vater der späteren Königinnen Louise von Preußen und ihrer Schwester Friederike von Hannover geboren - ein Drei-Königinnen-Palais, das heute Museum ist, mit Blick auf den Mirower See samt Insel. Eine geschwungene Brücke führt auf das Miniatur-Eiland, zum Grab von Großherzog Adolf Friedrich VI., das er selbst entworfen hat. Der letzte Regent aus dem Hause Mecklenburg-Strelitz starb vermutlich durch eigene Hand. Um seinen Freitod ranken sich viele Legenden: Mal war er homosexuell, dann hatte er mehreren Frauen die Ehe versprochen oder er spionierte für England.

Auch der Name der Autorin hat in der Gegend Spuren hinterlassen. Schon die Hinfahrt führt zufällig durch zwei Örtchen mit Namen Below. Legenden allerdings sind nicht zu finden. Und auch keine adlige Verwandtschaft, keine Gutsherren, Fürsten oder gar Prinzessinnen unter den Ahnen. Die Geschichte des ehemaligen Rittergutes Below ist in dieser Hinsicht enttäuschend. Es war Graf von Knuth, der Besitzer des oben erwähnten Gutshauses Ludorf, der 1680 mit dem barocken Fachwerkbau begann. Das Haus heißt nicht nach seinem Erbauer, sondern nach dem Dorf, in dem es steht. Der Ortsname kommt vermutlich aus dem Slawischen, wo es viele „ow“-Endungen gibt. Im Internet finden sich noch ein paar mehr Treffer. Um das Jahr 1200 gab es einen Ritter Nicolaus de Below und ein mecklenburg-pommersches Adelsgeschlecht Below mit Stammhaus in Bälau bei Mölln in Schleswig-Holstein und später einem Stammhaus in Below zwischen Schwerin und der Müritz. Dort gibt es auch ein Gutshaus. Vielleicht lassen sich bei der nächsten Reise doch noch familiäre Verbindungen finden?

Mecklenburg-Vorpommern

Anreise Wer nicht mit dem eigenen Auto fahren will, kann mit Bus und Bahn anreisen und für 30 Euro den Shuttle-Service der Agentur Sphinx ET ab/bis Rostock nutzen, nur gegen vorherige Anmeldung unter 03 81 / 1 28 93 92.

Unterkunft Die authentisch restaurierten, großzügigen Ferienwohnungen im Gutshaus Below gibt es ab 100 Euro pro Nacht, zzgl. 30 Euro Endreinigung, auf Wunsch kann Verpflegung aus der Gutsküche dazu gebucht werden, www.gutshausbelow.de. Im Romantik-Hotel Gutshaus Ludorf schläft man zu zweit im herrschaftlichen Doppelzimmer ab 98 Euro pro Nacht inkl. Frühstück, www.gutshaus-ludorf.de. Die 13 individuell eingerichteten Apartments mit voll ausgestatteten Küchen in Schloss Retzow können ab 40 Euro pro Nacht für zwei Personen gebucht werden, www.schloss-retzow.de.

Essen und Trinken Im Restaurant Morizaner des Gutshauses Ludorf werden frische Gerichte der Region oder vegetarische und ayurvedische Speisen serviert, www.gutshaus-ludorf.de. Das Gourmetrestaurant Gutsherrenküche im Gutshaus Stolpe vor den Toren von Usedom ist eines der besten der Region. Küchenchef Björn Kapelke kreiert unter anderem extravagante Gerichte aus eigener Jagd, www.gutshaus-stolpe.de. Das aufwendig restaurierte barocke Backsteinjuwel Schloss Bothmer erstrahlt in neuem Glanz und bietet viel Abwechslung: Schlosspark, Café und Restaurant, Abenteuerspielplatz und Schlossladen, www.schloss-bothmer.info. In der alten Stellmacherei von Gutshaus Below wurde 2016 eine Espressobar eröffnet. Dort gibt es selbst gebackenen Kuchen, Tapas, Weine und natürlich guten Kaffee, www.gutshausbelow.de.

Picknick im Park Als Beitrag zum Europäischen Kulturerbejahr 2018 organisiert der Verein Schlösser und Gärten in Deutschland unter dem Motto „Zu Tisch! Genießen in Schlössern und Gärten“ Hunderte Veranstaltungen, u. a. am 23. Juni ein bundesweites Picknick. Viele an der Mittsommer-Remise teilnehmende Häuser machen mit, www.sgd-zu-tisch.de.

Allgemeine Informationen Programm unter www.mittsommer-remise.de. 2018 findet die „Nacht der nordischen Guts- und Herrenhäuser“ vom 23. bis 24. Juni statt. Am Samstag öffnen 66 Mecklenburger und am Sonntag 44 Pommersche Häuser. Tickets ab 12 Euro gibt es im Vorverkauf an den Tourismus-Informationen und über die Agentur Sphinx ET, www.sphinxet.de, sowie an den Abendkassen. Tourismus Mecklenburg-Vorpommern, www.auf-nach-mv.de

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