Funchal - In rasendem Tempo sausen die Carreiros in Korbschlitten die Altstadt hinunter. Ein Höhepunkt für mutige Madeira-Reisende.

Nervenkitzel in den Gassen

Von 
Adrienne Friedlaender
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Da stehen sie: Rund zwei Dutzend Männer ganz in Weiß gekleidet. Lässig lehnen sie an den Hauswänden, rauchen, schwatzen, beobachten die Spaziergänger. Einige von ihnen haben sich in den Schatten einer Bar zurückgezogen, trinken einen Garoto, einen kleinen Kaffee, oder auch mal ein Bier, und kommentieren laut gestikulierend das Fußballmatch im Fernsehen. Die Carreiros, die Schlittenfahrer von Monte, warten auf ihre Gäste.

Lorbeerwälder und Levadas, Blumengärten und Bananenplantagen, süßer Wein und ewiger Sonnenschein sind die Markenzeichen von Madeira. Aktivurlauber kommen zum Wandern und Biken, zum Tauchen, Reiten und Raften. Darüber hinaus hat Portugals Insel-Paradies ein besonderes Abenteuer zu bieten, eines, das den Adrenalinspiegel in die Höhe treibt: die Fahrt mit dem Korbschlitten, eine der ältesten Attraktionen Madeiras.

Carreiros mit Karacho

Ausgerechnet auf der Vulkaninsel nahe der afrikanischen Küste, wo rund ums Jahr subtropisches Klima herrscht, kann man täglich Schlittenfahren. Aus 600 Meter Höhe von den Bergen der Vorortstadt Monte durch die steilen engen Gassen hinunter bis nach Funchal.

Eine Portion Mut gehört schon dazu, in dem fremdartigen Fahrzeug Platz zu nehmen und sein Leben in die Hände der Carreiros zu geben. Aber zum Nachdenken bleibt nicht viel Zeit. Es geht auf Feierabend zu, und nach einem langen Arbeitstag haben João Gomes und seine Kollegen weder Lust noch Muße, ihre nervösen Gäste zu beruhigen. Es heißt nun, sich zu entscheiden: entweder schnell auf den letzten Schlitten oder zu Fuß die endlos scheinenden kurvigen Straßen hinunter.

Bereits 1850 nutzten Einheimische die aus Holz und Weidenruten gefertigten Schlitten, um auf ihren Holzkufen in die Stadt zur Arbeit zu gelangen. Wenig später schaffte man die ersten europäischen Gäste mit dem Ochsenkarren hinauf in ihre Quartiere nach Monte, die bevorzugt wegen der frischen Bergluft aufgesucht wurden. Per Schlitten fuhren bald auch schon die ersten Urlauber wieder hinunter in die Stadt.

Waren die Schlitten in früheren Zeiten ein gängiges Transportmittel, stellen sie heute nur noch eine Touristenattraktion dar. Und auch die Anreise nach Monte ist bequemer geworden: Mit der Seilbahn schweben die Gäste von Funchal über die Blumengärten, Bananenfelder und Weinberge hinauf in den Vorort, um die Parks und vor allem die Wallfahrtskirche zu besuchen. Oder eben, um einmal, wie Kaiserin Elisabeth, genannt Sissi, 1894 es wagte, von ihren geruhsamen Ausflügen in die Berge mit dem Korbschlitten in die Tiefe zurückzusausen.

Kontrolle der Kufen

Also los: Neben dem Schlitten laufend, bringen João Gomes auf der linken und Manuel Freitas auf der rechten Seite den Schlitten ordentlich in Schwung. Dann springen sie auf die Kufen, denn für die weitere Beschleunigung sorgt die steile Straße. In wenigen Sekunden liegt die Geschwindigkeit bei mindestens 40 Stundenkilometer. Es bleibt kaum Zeit, die in allen Farben blühenden Bougainvillea zu bewundern, die in verschwenderischer Fülle über die Altstadtmauern quellen.

Der Madeirischen Tradition folgend arbeiten heute 120 Carreiros hauptberuflich für die Schlittenzunft. Jeweils zwei Schlittenführer steuern eines der ungewöhnlichen Gefährte, in dem zwei Gäste Platz finden. Dabei dienen ihre schweren und mit Autoreifen besohlten Stiefel gleichzeitig zum Gasgeben, Lenken und Bremsen. Manche der Carreiros sind erst seit ein paar Monaten dabei, andere stehen schon ein halbes Jahrhundert auf den Kufen.

Routine ohne Risiko

Der Schlitten schwenkt nach links und rechts und wird von Manuel Freitas zurück in die Spur gebracht. Ob das Gekreische der Gäste im Fahrtwind untergeht, es an der Sprachbarriere liegt, oder Manuel sich nicht für das Befinden seiner Fahrgäste interessiert, bleibt ein Geheimnis. Immer wieder stößt er mit dem Schwungbein ab, um den Schlitten noch mehr in Fahrt zu bringen. Dass er mit dem Ellenbogen fast an einer Hauswand hängenbleibt, kann ihn nicht bremsen. Entweder hat er heute Abend noch etwas vor, oder er hat es sich zum Ziel gesetzt, einen Rekord zu brechen.

Kollege João Gomes verharrt zum Glück eher ruhig auf seiner Schlittenseite und beobachtet seinen enthusiastischen Kollegen. Jetzt rast der Schlitten in Schlangenlinien nur eine Handbreit an parkenden Autos vorbei. Erst in letzter Sekunde, so scheint es zumindest für unbedarfte Erstrodler, gelingt es Manuel, einen Unfall zu vermeiden. Nach zehn endlos wirkenden Minuten bringen die beiden Carreiros ihren Schlitten souverän zum Stehen. Die Aufregung der Gäste ist für die beiden völlig unverständlich. Sie laden ihren Schlitten auf einen Pick-up und bringen ihn zurück nach Monte.

Wie gefährlich ist das Asphaltrodeln? Ihm sei noch nie etwas passiert, versichert Manuel Freitas, der nach der einjährigen Ausbildung in der Schlittenschule seit vier Jahren auf den Kufen steht. Einfach sei es zwar nicht, die Holzschlitten durch die kurvigen steilen Gassen zu steuern, vor allem nicht, wenn sie regennass sind. Ab und zu gebe es schon mal aufgescheuerte oder geprellte Arme - oder ein Schlitten falle um. "Aber", sagt Freitas, "das ist ganz selten." Also alles ganz harmlos! Trotzdem hat die Stadtverwaltung die Schlittenstrecke vorsichtshalber zur Einbahnstraße erklärt.

Tipps und Adressen

Anreise: Flüge ab Frankfurt über Lissabon nach Funchal auf Madeira ab 480 Euro.

Wohnen: luxuriös im Traditionshotel Reid´s Palace Hotel, Estrada Monumental 139, 9000-098 Funchal, Madeira, Portugal, www.reidspalace.com, E-Mail: reservation@reidspalace.com Oder mit ländlichem Charme in Monte in der Quinta do Monte, Caminho de Monte 192, 9050-Funchal, 288 Funchal, Madeira, Portugal, www.charminghotelsmadeira.com, E-Mail: info@charminghotelsmadeira.com

Reisezeit: Wegen des milden subtropischen Klimas hat Madeira ganzjährig Saison. Die Durchschnittstemperaturen betragen im Sommer 22 Grad.

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