Geheimsprachen haben nicht nur für Kinder etwas Magisches. Wenn die Saterländer nicht wollen, dass man sie versteht, sprechen sie einfach Saterfriesisch. Eine Sprache, die nach einer Untersuchung der Universität Göttingen kaum mehr als 2000 der 13 600 Einwohner noch beherrschen. Dennoch erfinden die Saterländer kurzerhand auch neue Wörter: „Sküüldouk“ zum Beispiel. Was übersetzt Mund-Nasen-Schutz bedeutet. Weil es dafür im Saterfriesischen bislang noch keinen eigenen Namen gab, hat man einen Wettbewerb für die Wortneuschöpfung ausgeschrieben und eine Jury hat über 69 Übersetzungsvorschläge abgestimmt.
„Sprache bleibt nur am Leben, wenn sie auch alltagstauglich ist“, sagt Henk Wolf. Der 47-jährige Linguist ist Saterlands erster Beauftragter für Saterfriesisch und seit Ende letzten Jahres im Amt. In der Landessprache hat sein Job den schier unaussprechlichen Namen „Seelterfräiskbeapdraagde“. Seine Aufgabe: Sprachforschung und Sprachförderung auf der kleinsten Sprachinsel Europas. Nur, wie kam es zu dem Sprachphänomen?
Saterland
Anreise Mit der Bahn von Stuttgart über Köln und Münster nach Leer (www.bahn.de). Vor Ort verbindet der Bus S 90 die vier Teile des Saterlands (www.bus-clp.de). Mit dem Auto fährt man etwa 650 Kilometer von Stuttgart über Heilbronn/Mannheim, Wiesbaden/Köln und Duisburg bis Leer.
Allgemeine Informationen www.saterland.de
Einsamkeit und Isolation, die gerade in Pandemie-Zeiten für viele Menschen mehr Qual als Seelenbalsam bedeuten, waren im Saterland Alltag. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Saterländer so gut wie keinen Kontakt zur Außenwelt, denn ihre Siedlungen lagen inselgleich fast unpassierbar im Moor und waren nur mit kleinen Booten über die Sagter Ems zu erreichen. Bis heute durchfließt das Gewässer die kleine Gemeinde im Landkreis Cloppenburg und bietet Urlaubern die ideale Möglichkeit, die flache Gegend mit Sportbooten und Kanus vom Wasser aus zu erkunden. Früher wurde noch im gesamten Küstenraum Saterfriesisch gesprochen, das später dort aber von Plattdeutsch verdrängt wurde.
Dank unpassierbarer Moore, in deren Mitte das Saterland auf einer 15 Kilometer langen und bis zu vier Kilometer breiten Sandinsel liegt, hat sich das Saterfriesische heute nur noch in diesem Gebiet erhalten. Eine Tatsache, welche die Saterländer 1990 als kleinste Sprachinsel in ganz Europa ins Guinnessbuch der Rekorde brachte. Nirgendwo in Europa gibt es ein Gebiet, in dem so wenige Menschen eine eigene, gemeinsame Sprache sprechen.
Das Saterland ist heute eine Gemeinde mit vier Ortsteilen. Schon auf den Ortsschildern präsentieren die Bewohner mit Stolz ihre Zweisprachigkeit: Strücklingen (Strukelje), Ramsloh (Roomelse), Scharrel (Schäddel) und Sedelsberg (Seedelsbierich). Schließlich gehört Seeltersk, wie das Saterfriesische hier heißt, nach den Richtlinien der Europäischen Charta seit 1999 zu den schützenswerten Minderheiten- und Regionalsprachen.
Doch damit nicht genug. Das Saterfriesische wird in jedem Ortsteil auch noch in einer anderen Dialektform gesprochen. Als anerkannte Amtssprache ist der Dialektunterschied sogar auf mancher Amtstür dokumentiert: „Hier wät uk Seeltersk boald“ („Hier wird Saterfriesisch gesprochen“) steht auf einem Hinweisschild im Ramsloher Rathaus. „Hier wät uk Seeltersk baald”, heißt es dagegen in Scharrel.
Thomas Otto, Bürgermeister der Gemeinde Saterland, spricht kein Saterfriesisch mehr, denn er stammt aus einer Nachbargemeinde in Ostfriesland. „Kinder lernen heute wieder Saterfriesisch in der Schule. Auch die Großeltern sprechen es noch. Nur die Elterngeneration schwächelt“, sagt Otto. Denn in den 1970er Jahren galt das Saterfriesische als derbe Bauernsprache und es hieß: „Lern erst mal anständig Hochdeutsch.“ Da mag es für manche Besucher zunächst eine herbe Enttäuschung sein, wenn leichter verständliches Platt- oder Hochdeutsch das Erste ist, was ihnen Einheimische entgegnen. So war es ausgerechnet ein zugereister Sprachwissenschaftler, der Afroamerikaner Marron Curtis Fort, der eigens aus den USA hierherkam, um ausgerechnet auf Saterfriesisch den baffen Saterländern zu erklären, sie müssten endlich den Wert ihrer eigenen Sprache schätzen lernen. Ihm haben es die Saterländer zu verdanken, dass Seeltersk auch als Schriftsprache weiterlebt. Denn 1980 brachte Fort das erste Saterfriesische Wörterbuch heraus, das heute Henk Wolf als Beauftragter für Saterfriesisch ins digitale Zeitalter transferieren soll.
Im Saterland hat man längst erkannt, dass die eigene Sprache wie auch das Moor gefährdete Kulturgüter sind, die es zu schützen lohnt. Vor allem die Hochmoore, die früher noch eine Höhe von bis zu neun Metern erreichten, wurden weitgehend abgetorft, weshalb die Gemeinde nur mehr aus der Vogelperspektive einen erkennbaren Inselcharakter hat. Doch im Zuge des Klimawandels weiß man inzwischen den hohen Wert der Moorlandschaft bei der Reduzierung von Treibhausgasen zu schätzen und hat deshalb mit der Renaturierung begonnen. Das Westermoor bei Ramsloh ist mit fast 50 Quadratkilometern inzwischen das größte zusammenhängende und geschützte Hochmoorgebiet Mitteleuropas. Schließlich war man im Saterland schon immer tief mit dem Moor verbunden. Aus Angst, beraubt zu werden, sollen die Scharreler ihre Wertsachen während des Dreißigjährigen Krieges in der Kirchturmglocke versteckt und dann im Moor versenkt haben. Mit den Jahren war die Glocke so tief im weichen Grund versunken, dass der Schatz bis heute unauffindbar ist. Zum Leidwesen eines eigens eingesetzten Glockenbergungskommandos reagierte ein Metalldetektor fast überall, bis sich herausstellte, dass die Böden generell sehr eisenhaltig sind. Den Vergleich mit den Schildbürgern, die ebenfalls ihre Glocke zur Sicherheit im See versenkten und als Markierung ein Kreuz in den Bootsrand kerbten, will allerdings im Saterland niemand gelten lassen.
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