Die Genüsse der alten Minoer

Kretas Küche gilt als eine der gesündesten der Welt. In den Bergdörfern der Insel entdecken Urlauber heilsame Speisen, die bereits vor Jahrtausenden zelebriert wurden

Von 
Win Schumacher
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Kräuterbauer Evangelos sammelt seine Schätze in im . © Win Schumacher

Wo könnte eine Insel-Auszeit besser beginnen als am gedeckten Tisch von Pantelis Sapounakis’ Landhaus? Der um Mensch und Tierwohl bedachte Urlauber lässt für die Auswahl an frischen Salaten, handgepflückten Oliven, Kirschtomaten und Gurken gerne die Fleischtöpfe mit den Lammspießen unangetastet. Dass der Schaf- und Ziegenkäse durchweg von glücklichen Tieren stammt, glaubt man dem Gastgeber mit jedem Bissen.

Der Vidiano- und Romeiko-Wein, der auf den sonnigen Hügeln um das Dorf Sellía zwischen Chania und Rethymno gedeiht, soll schon die alten Minoer in der Bronzezeit freudig gestimmt haben. „Meine Familie hat schon immer Wein angebaut“, erzählt der 47-jährige Winzer. Die Weinberge der Familie liegen unweit zwischen uralten Steinmauern, über die kleine Eidechsen mit smaragdgrünen Schwänzen huschen. Ringsum nichts als Ölbäume, Obstbaumhaine und kleine Wäldchen. Sapounakis baut ohne Einsatz von Chemikalien die alten kretischen Sorten Vidiano und Romeiko neben Malagousia, Syrah, Merlot und Cabernet Sauvignon an. „Wenn der Weinberg gesund ist, ist auch der Mensch gesund“, sagt er.

Kreta

Anreise

Ab Stuttgart mit Eurowings (www.eurowings.com) oder Tuifly (www.tuifly.com) nach Chania.

Unterkunft

Bei Pantelis Sapounakis ist man nicht nur zur Weinprobe richtig. Sein Landhaus hat schöne Gästezimmer und einen Pool mit Blick auf die Hügel von Apokoronas. DZ/F ab 100 Euro, www.strofilia-villas.com. Das familienfreundliche Strandhotel Kiani Beach liegt ideal zur Erkundung der Olivenhaine, Weinberge und Bergdörfer im Westen Kretas. DZ/F ab 88 Euro, www.kianibeach.com

Essen und Trinken

Ausgezeichnet schmeckt’s im Pallas in Chania (www.pallaschania.gr). In der dortigen Altstadt lohnt auch ein Besuch im Salis (www.salischania.com). In der Melissakis-Ölmühle lernt man alles über Olivenöl, www.melissakis.gr. Über die Heilwirkung typischer Kräuter informiert Evangelos Papasifakis in Anopolis, http://votanasfakion.web-node.gr. Die traditionelle Ntourountos-Bäckerei in Chora Sfakion hat die größte Auswahl an Gebäck nach alten sfakischen Rezepten. http://ntourountous.gr

Allgemeine Informationen

Griechisches Fremdenverkehrsamt, www.discovergreece.com WIN

Bei Sapounakis kommen nur lokale Produkte auf den Tisch. Obst und Gemüse stammen aus dem eigenen Garten, sein Bruder stellt Thymian- und Blütenhonig her, Milch, Käse und Fleisch bekommt er von befreundeten Bauern und Hirten. Die traditionelle kretische Küche gilt als eine der gesündesten der Welt. Bereits vor Jahrzehnten befassten sich wissenschaftliche Studien damit, warum die Lebenserwartung auf Kreta weit höher ist als im europäischen Durchschnitt. Sie führten das vor allem auf die Essgewohnheiten auf der Insel zurück, die vor allem auf frischem Obst, Gemüse und Salaten, Nüssen, Fisch und Olivenöl basieren. Fleisch wird generell seltener konsumiert und wenn, dann meist wenig fettarmes Lamm. Findige Ernährungswissenschaftler prägten hierfür den Begriff Kreta-Diät. Zum Abnehmen eignet sie sich jedoch nur für diejenigen, die auch viel Bewegung auf den Diätplan setzen.

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„Zu einem langen, gesunden Leben gehört auch, den Moment zu leben und sich an den kleinen Dingen zu freuen“, sagt Sapounakis, in der einen Hand das Weinglas, die andere über den runden Bauch streichend. „Wenn das Herz glücklich ist, ist es auch der ganze Körper.“

Längst haben indes auch auf Kreta vor allem in den Städten entlang der Nordküste Pizza, Burger und Bier Einzug gehalten. In den Dörfern im Inselinnern scheint man jedoch noch immer fast so wie in der Antike zu essen und zu trinken. Fährt man von der Hafenstadt Chania über schmale, gewundene Sträßchen in Richtung des Lefka-Ori-Gebirges, wird einem anschaulich vor Augen geführt, mit welcher Vielfalt an Obst und Gemüse die Kreter ganzjährig gesegnet sind. Vorbei an Weinbergen und alten Ölbäumen geht es durch Kirsch-, Aprikosen- und Orangen-Haine. In den Gärten wachsen Feigen, Granatäpfel und Maulbeeren. Erst auf über 1000 Metern weicht das üppige Grün langsam felsigem Bergland, durch das Hunderte wuschelige Schafe ziehen. Lefka Ori, die Weißen Berge, steigen auf fast 2500 Meter an. Auf den höchsten Gipfeln liegt im Juni noch Schnee. Die Sfakioten, für die diese wilde Bergwelt Heimat ist, haben sich ihre Lebensweise bewahrt. Sie sind stolz darauf, in der wechselhaften Geschichte Kretas stets ihre Unabhängigkeit behauptet zu haben. Weder die Araber und Venezianer noch die Osmanen und letztendlich auch nicht die Deutschen, die im Zweiten Weltkrieg die Insel einnahmen, sollen jemals die entlegenen Bergdörfer unter ihre Kontrolle gebracht haben. „Der Sauerstoff hier oben hält uns jung“, sagt Giannis Mihakis. „Um täglich draußen bei den Schafen zu sein, muss man fit sein.“ Auf fast 1500 Metern weidet der 61-Jährige seine Herde. In einem traditionellen Mitato, einer aus Natursteinen gemauerten Unterkunft der Berghirten, stellt er noch heute Myzithra- und Graviera-Käse her. „Vielen Jungen ist das zu anstrengend“, sagt er. Er kann sich kein besseres Leben vorstellen. „Die Schafe fressen fast nur Kräuter und sind das ganze Jahr draußen. Das macht ihre Milch fettarm und gesund.“ Dazu gebe es auf Kreta keine Raubtiere wie Wölfe, Bären oder Luchse, dadurch seien die Tiere von Natur aus entspannter.

Auf der südlichen Seite der Lefka Ori, wo das Gebirge steil ins Libysche Meer abfällt, liegt auf einer Hochebene das Dorf Anopolis. Mit Blick auf die eindrucksvolle Bergkette hat Evangelos Papasifakis Kräuterpflanzungen in säuberlichen Reihen angelegt. „Es ist nicht leicht, hier Landwirtschaft zu betreiben“, sagt der 43-Jährige. „Ab Ende April gibt es für fünf Monate fast keinen Regen, die lehmige Erde ist gut zum Töpfern, aber nicht für den Anbau.“ Der Kräuterbauer verzichtet komplett auf Pestizide und erntet mit der Hand. Während er durch die Reihen mit Oregano, Majoran und Salbei geht, hebt er eine Schnecke auf. „Es gibt hier viele Kleintiere, die anderswo selten sind“, sagt Papasifakis, „auch Schlangen sieht man. Ich mag sie, denn sie halten die Mäuse in Schach.“ Selbst die seltenen kretischen Wildziegen sind manchmal auf seinem Land zu Gast. „Als meine Großmutter jung war, gab es nach Anopolis noch keine befahrbare Straße. Alles, was sie an Medizin hatten, waren Kräuter.“ Papasifakis’ Familie setzt bis heute auf die Heilwirkung von Pflanzen. Besondere Heilkräfte misst er dem nur auf Kreta vorkommenden Diptam-Dost zu, der auf steilen Klippen gut wächst. „Er war früher ein Geschenk junger Männer für ihre Geliebte“, sagt Papasifakis. Und was war das Geheimnis für das lange Leben seiner Großmutter, die ihm noch immer Vorbild ist? „Keinen Stress zu haben“, sagt er. Vielleicht lässt sich ja ein Stück dieser alten kretischen Lebensweisheit in den Alltag hinüberretten.

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