Wo die wilde Isar rauscht

Das Tölzer Land ist ein Stück eher unbekanntes Bayern im bekannten Oberbayern. Im Frühjahr ist es hier besonders schön. Ein Besuch.

Von 
Jochen Müssig
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Eiskalt und bildschön: der Walchensee © Tourist Info Kochel/Thomas Kujat

Sie schimmert leicht grünlich, ist glasklar, und dass sie jetzt im Frühjahr, mit reichlich Schmelzwasser versetzt, eiskalt ist, sieht man ihr an: Die junge Isar ist im Tölzer Land gerade mal rund 80 Kilometer von ihrer Quelle entfernt, weder begradigt noch verschmutzt. „Mei, is des schee“, schreien sie im Sommer von den Flößen, trinken ihr Bier aus Maßkrügen und springen schon mal ins kühle Nass.

Noch „scheener“ ist der Fluss allerdings im Frühjahr. Die Natur erwacht, erste Blüten treiben, die Kieselstrände sind noch verwaist und abgesehen von ein paar Wanderern und Radlern entlang der Ufer gehört einem „die Reißende“ fast allein. Das bedeutet „Isara“ in keltischer Sprache. Auch andere europäische Flüsse tragen den Namen, wie in Südtirol die Isarca oder in Frankreich die Isère.

TÖLZER LAND

Unterkunft Bergeblick: Naturholzhotel mit Naturteich und sehr gutem Wellnessbereich, Traumlage am Wald mit Blick auf drei Alpengipfel, DZ/ÜF ab 240 Euro, www.hotel-bergeblick.de. Gasthof Jachenau mit Restaurant, Landhausstil-Zimmer, am besten ist das Himmelbettzimmer, DZ/ÜF ab 120 Euro, www.gasthof-jachenau.de.

Essen und Trinken Kloster Reutberg mit einem der schönsten Biergärten Bayerns, gut, deftig, günstig, www.klosterbraeustueberl.de. Grauer Bär mit Biergarten direkt am Kochelsee, frischer Fisch vom See, günstige Zimmer, https://grauer-baer.de.

Aktivitäten Wandern, Radfahren, Klettern und Paragliding am Brauneck, Floßfahrten auf der Isar, Badestrände an der Isar, am Kochel-, Walchen- und Sylvensteinsee. Für Fans der Serie gibt es ein Museum zu Ehren des „Bullen von Tölz“, www.dasbullevontoelzmuseum.de.

Allgemeine Informationen Referat für Tourismus der Stadt Bad Tölz, www.bad-toelz.de MÜG

Umgeben vom mondänen Tegernsee, der Kunstregion Blaues Land und der mächtigen Zugspitze hat es das Tölzer Land nicht einfach, sich über die bayerischen Grenzen hinaus zu profilieren. Aber die schönsten Seiten, allesamt westlich der Isar gelegen, geben ohne Zweifel ein Oberbayern im besten Postkarten- oder neudeutsch Insta-Format ab: am Kochel-, Walchen- und Sylvensteinsee, in der Jachenau, an der Benediktenwand, am Herzogstand oder Brauneck.

Die Morgensonne strahlt, der Himmel ist bayerisch blau, das Cabriodach versenkt und der Weg vom Kochel- zum Walchensee die reine Verführung: groß, schlank, mit schnittigen Kurven, von Kopf bis Fuß ein Traum – die Kesselbergstraße, die beide Seen verbindet. Es geht viereinhalb Kilometer rauf. 23 Kurven, im Schnitt alle 200 Meter eine, Höhenunterschied: 253 Meter. Oben angekommen glitzert der Walchensee im Sonnenlicht, ein paar Kähne dümpeln herum, wetterfeste Surfer in Neopren genießen den ersten Wind und der 1731 Meter hohe Herzogstand reckt seinen Grat in die Höhe. Er war der Lieblingsberg von Märchenkönig Ludwig II. Auf einem extra angelegten Reitweg ritt er hinauf und nächtigte oft oben im Königshaus, in dessen Nachbau die Bergwacht ihren Sitz hat. Heute bringt die Herzogstandbahn die Besucher in knapp fünf Minuten auf 1600 Meter Höhe. Der Blick auf den Walchensee, der auch im Sommer bitterkalt ist, während sich der tiefer gelegene Kochelsee gut zum Baden eignet, ist wahrlich königlich.

Von einem der schönsten Fleckchen im Isarwinkel geht es weiter in die Jachenau: einzigartig einsam und oft vergessen. Mit gerade mal 871 Einwohnern ist die Jachenau die kleinste Gemeinde Bayerns mit eigener Verwaltung – und mit sieben Bewohnern pro Quadratkilometer die am dünnsten besiedelte. Wanderer, Radler, Bergsteiger und im Winter Skilangläufer wissen den Talgrund und die umliegende Bergwelt zu schätzen. Mehr als ein Dutzend Gipfelkreuze rahmen das Tal ein. Ab Mai gibt’s auf der Staffel-Alm am Rabenkopf zum Ausblick noch eine deftige Brotzeit dazu.

Joseph Vilsmaier fand in der Jachenau eine authentische Kulisse für seine Verfilmung der „Geschichte vom Brandner Kaspar“. Er drehte auf der Vorderen und Hinteren Scharnitz-Alm unterhalb der 1801 Meter hohen Benediktenwand mit ihrer rund 100 Tiere großen Steinbockkolonie. Einige Jachenauer dienten den Hauptdarstellern Franz Xaver Kroetz und Bully Herbig als Komparsen.

Hinter dem südlichen Bergkamm warten nicht weniger als 124 Milliarden Liter Trinkwasser: So viel fasst der Sylvensteinstausee, wenn er bis an den Rand gefüllt ist. Das entspricht fast der Menge, die die Stadt München jedes Jahr verbraucht. Stetig von der Isar befüllt, reguliert der Speichersee den Fluss, verhindert Hochwasser und erzeugt durch zwei Wasserkraftwerke erneuerbare Energie. Von dort schlängelt sich die Isar über Lenggries, bewacht vom 1555 Meter hohen Brauneck mit seinen Kletterrouten, ins namensgebende Tölz, das seinen Bad-Titel aufgrund seiner Jodquellen trägt.

Eishockey, der Knabenchor und ein gewisser Benno Berghammer, besser bekannt als „Der Bulle von Tölz“, gespielt von Ottfried Fischer, machten das 18 000-Einwohner-Städtchen bundesweit bekannt. Der EC spielt nur noch Oberliga, die TV-Serie wurde eingestellt – nur der Knabenchor ist noch immer gefragt, gibt 240 Konzerte pro Jahr, darunter auch einmal im Monat einen kostenfreien Auftritt im Tölzer Kurhaus. Die Marktstraße gilt als eine der schönsten Straßen in Oberbayern mit prächtigen Fassaden und Lüftlmalereien. „Wir waren den Sommer in Tölz, dessen Luft uns so wohlthat, daß wir uns dort angekauft haben und uns ein Häuschen mit Blick auf den Ort, die Isar und das Gebirge bauen lassen“, schrieb kein Geringerer als Thomas Mann 1908. Es könnte gut sein, dass er das heute noch finden würde.

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