Der Blick schweift übers Grün. Die Sonne neigt sich dem Abend entgegen. Die Konturen werden schärfer. Junge Bäume säumen die Wiese, ein Schatten am Waldesrand. Der dunklere Farbton fällt auf, wird größer, bewegt sich hin zum frischen Gras und dann ist er da – der erste Bär.
„Die Bären sind um uns herum, es ist ihr Areal, in dem wir uns bewegen, sie leben hier und sie beobachten uns,“ erklärt Naturführer Alex Popa kurz zuvor auf dem Weg zur Hütte noch die Geheimnisse des Waldes. Jetzt ist es umgekehrt: Mensch beobachtet Bär, fast schon mit Erfolgsgarantie, denn der Bärenpopulation in den südlichen rumänischen Karpaten geht es gut. Die Bergwelt mit ihren weiten, einsamen Urwäldern ist ein Paradies für Europas größte Raubtiere. Hier in den Karpaten sollen rund 8000 Braunbären leben, die meisten versteckt in den dichten Wäldern und manchmal eben auf der offenen Lichtung hoch über dem Pecineagu-See auf der Südseite des Fagaras-Gebirges.
In der Wildbeobachtungshütte Bunea gibt es den freien Blick auf die Natur und ihre Bewohner, gut geschützt und dabei auch versteckt. Den Bären stört es nicht, er kennt die Hütte, und den Menschen sieht er nicht. Auch das ist eines der Anliegen Christoph Prombergers, der unter anderem mit dieser Hütte und seinen Guides den wandernden Touristen die Möglichkeit gibt, die Natur hautnah zu erleben. Er hat sich ganz dem Schutz des Waldes und seiner Bewohner verschrieben. Anfang der 1990er-Jahre kam er als Wolfsforscher nach Rumänien.
Inzwischen aber geht es ihm vor allem auch um das Habitat, in dem Canis lupus und Co. wohnen. Das muss erhalten werden, für die Tiere genauso wie für den Menschen. Schließlich gehören die alten Wälder zu den wichtigsten Kohlenstoffspeichern Europas und können auch gleich als Synonym für Biodiversität stehen, auch dank Christoph Promberger, der die Wisente zurückgebracht hat, die Biber wieder eingliedert, das Ungarische Graurind mit seinen gewaltigen Hörnern weiden lässt, den zuverlässigen Karpatischen Hirtenhund züchtet und dazu auch noch endemische Baumarten wieder aufforstet – sozusagen ein Tausendsassa für die Natur.
Während der kommunistischen Ära des Landes waren die Wälder verbotenes Terrain. Nicolae Ceausescu war ein begeisterter Jäger und wollte den Wald für sich. Seine späteren Jagdtrophäen sollte ihm niemand vor der Nase wegschnappen. Bei den Jagdausflügen saß er dann mit seinen Gästen sicher in Schutzhütten und legte das Gewehr an. Heute werden in manchen dieser Hütten Bärenbeobachtungen angeboten, allerdings lockt man dort die Bären mit Keksen und Süßigkeiten gezielt an.
Ceausescus Jagdtrieb ist es zu verdanken, dass es in den Karpaten noch Urwälder gibt mit bis zu 45 Meter hohen Buchen, gesundem Mischwald und dichtem Unterholz. Nach der Ära des Diktators bekamen die ursprünglichen Besitzer ihre Waldparzellen wieder zurück. Holz ist ein wertvolles Gut. Der Kahlschlag begann, erst sichtbar, dann versteckt.
Noch heute werden Löcher in den dichten Baumbestand geschlagen. Die gerodeten Stellen mit ihren verwaisten Stümpfen machen wütend. Doch Wut allein hilft nicht weiter, zumal es nachvollziehbar ist, dass die Besitzer der versprengten Waldstücke mit ihrem eigenen Holz Geld verdienen wollen. Rumänien gehört schließlich nicht zu den reichsten Ländern der EU. So schlägt man aus dem Holz Kapital und verkauft es entweder selbst oder eben gleich das ganze Land mitsamt dem Urwald.
Dagegen kämpfen der bayerische Forstwissenschaftler und seine österreichische Frau, die Biologin Barbara Promberger, nun schon seit Jahren und durchaus erfolgreich. Mit ihrer zum Schutz der Wälder des Fagaras-Gebirges gegründeten Stiftung Foundation Conservation Carpathia (FCC) kaufen oder pachten sie Waldstücke, um diese vor sich hin wachsen zu lassen. Ranger bewachen die Gebiete, achten darauf, dass kein einziger Baum gefällt wird und Bär, Wolf, Luchs und Hirsch unentdeckt durch die Gegend streifen können.
Unentdeckt stimmt dabei nicht ganz – den Wildkameras sei Dank. Alex Popa kontrolliert sie, nimmt die SIM-Karte heraus, legt sie in sein Handy und staunt: Plötzlich ist der Bär ganz nah. Die frischen Spuren auf dem durchfeuchteten Waldboden haben nicht gelogen. Knapp eine Stunde zuvor ist Meister Petz vorbeigelaufen und wer weiß – vielleicht geblieben. Ein bisschen unheimlich ist die Vorstellung, doch der wilde Bär „tut dem Menschen nichts“, beteuert der Naturführer immer wieder. Der Bär kenne das Wesen Mensch nicht, sei noch nie mit ihm in Berührung gekommen. Das sei der Grund, warum er überhaupt kein Interesse an dem Zweibeiner habe. Außerdem sei er ein extrem scheues Tier. Bei den Bären, die angefüttert wurden, die wissen, dass es beim Menschen etwas zu fressen gebe, sei das schon anders. Auf solche trifft man zum Beispiel auf der berühmten Passstraße Transfagarasan, die durch das Fagaras-Gebirge führt. Dort sitzen die stolzen Wildtiere am Straßenrand und betteln. Das ist bequemer als jagen und nimmt den Tieren die Würde. Dabei lernen die jungen Bären das Betteln von den Eltern. Wie man im dichten Wald jagt, wissen sie nicht. Dem Menschen gefallen die Teddys am Straßenrand, zumindest, bis der Bär hungrig in den Dörfern nach Nahrung sucht und dann zum „Problembär“ wird. Für die Wolfsforscher, die in Rumänien die Wälder retten, damit die Tiere leben können, ist das ein Graus. Ihr langfristiges Ziel ist es, noch mehr geschützten Platz zu schaffen - der größte Nationalpark Europas soll es werden, ein zweiter Yellowstone. Und sie sind auf einem guten Weg. Wenn man den beiden Waldrettern zuhört, von den Mäzenen erfährt und der weltweiten Unterstützung, wenn man mit ihnen durch die Natur streift, dann springt der Funke über und man weiß, dass es gelingen kann - auch mithilfe des Tourismus. Der hilft den Einheimischen, rettet den Wald und bietet den Fremden „Bären hautnah“, wie auf der weiten Lichtung, an deren Rand die Bunea-Hütte steht, mit Fotoklappe für die Kamera und freiem Blick auf die Bären - mittags, abends und beim ersten Augenaufschlag am nebligen Morgen.
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