Mannheim. Herr von Einem, wo waren Sie am Abend des 29. Juli 2021 um 20 Uhr?
Max von Einem: Woah, gute Frage. Was war denn da?
Ein ausverkauftes Picknick-Konzert Ihrer Band Bukahara auf der Ladenburger Festwiese. Das fühlte sich nach der Corona-Paralyse wie ein Startschuss zurück ins Leben an. Deshalb habe ich die überbordende Stimmung an diese, herrlichen Sommerabend noch plastisch vor Augen - Sie auch?
Von Einem: Ah, alles klar! Na, klar habe ich das noch vor Augen! Das Datum hat mich bloß etwas verwirrt, weil sich diese Corona-Zeit im Nachhinein anfühlt wie so eine Zeitraffer-Episode. Ganz im Gegensatz dazu, wie es sich angefühlt hat, als wir mittendrin waren: zäh wie ein alter Kaugummi. Ladenburg - das war ja traumhaft! Open Air, direkt am Wasser, dann diese Riesenkulisse. Vor allem das Konzept hat für uns funktioniert - dass die Leute stehen, tanzen, mitsingen durften und keine Maske tragen mussten. Das war für uns und offensichtlich auch die Zuhörerinnen und Zuhörer superwichtig, dass diese Konzepte kamen. So dass man wieder emotionale Annäherungsversuche zwischen Bands und Publikum starten konnte. Insofern war das wunderschön - wie auch die Ladenburger Altstadt (lacht).
2022 haben Bukahara wieder rund 60 Konzerte spielen können, darunter eins in Heidelberg - ist für Sie die Normalität schon wieder zurück?
Von Einem: Schwer zu sagen. Corona hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen. Auch im positiven Sinne. Insofern, dass wir 2022 regelrecht explodiert sind vor Energie, als es darum ging, diese Konzerte zu spielen. Das hat man auch dem Publikum angemerkt. Alle wirkten fast ausgehungert. So wurden das komplett ekstatische Erlebnisse. Normalerweise wird man irgendwann zumindest ein bisschen tourmüde durch das ganze Drumherum neben der Bühne, das Reisen und Warten. Aber das war überhaupt nicht mehr der Fall. Es hat sich nur am Anfang noch ein wenig seltsam angefühlt, in geschlossenen Räumen zu spielen - aber das wurde sehr schnell wieder sehr normal.
Jetzt erscheint Ihr sechstes Album „Tales Of The Tide“. Die neun Songs springen einen nicht auf Anhieb so an wie die des Vorgängers „Canaries In A Coalmine“. Sie wirken mit der Zeit aber dichter. Nennen Sie es selbst deshalb Ihre beste Arbeit?
Von Einem: Bei „Tales Of The Tide“ haben wir ganz bewusst versucht, uns auf allen Ebenen zu reduzieren. Wir sind also anders an die Arbeit rangegangen, haben uns nicht auf große Bläserflächen gestützt, opulente Streicher-Arrangements und üppige Groove-Schichten. Stattdessen haben wir versucht, jedes einzelne Element in den Songs als eine Art Hook, als eine tragende Melodie zu behandeln. Dadurch fiel eine Menge Material raus, das wir hatten. Aber es ist dafür eine gewisse Größe durch Reduziertheit entstanden. Also aus unserer Perspektive hat das Album kein Fett. Alles was drauf ist, hat seine Berechtigung und funktioniert auch alleine. Das war uns wichtig: Dass wir uns davon entfernen, das Album in der Produktion aufzublasen und dadurch manchmal zu verwischen. Hier versteckt sich nichts, hier muss sich auch nichts verstecken.
Das passt zu meinem Hörerlebnis, gerade weil die neun Tracks sich mit der Zeit entwickeln. Der Titelsong über die Geschichten der Gezeiten könnte eine Hymne der Öko-Bewegung sein - hört sich aber auch an, als sei Euer Texter Soufian Zoghlami eine uralte Seele, der noch die Ursuppe am Anfang allen Lebens kennt. Es klingt trotzdem auch politisch, oder?
Von Einem (lacht): Aus unserer Perspektive ist die Band schon immer politisch gewesen. Am Anfang schon allein durch die Kombination an Persönlichkeiten, die Art und Weise wie und wo wir aufgetreten sind, die Leute mit denen wir uns umgeben haben, für wen wir gespielt haben und eine Stimme waren ... das hat sich dann im Lauf der Bandgeschichte dahin entwickelt, dass wir auch Dinge konkret angesprochen haben. Etwa Themen wie Rassismus mit ganz klaren Hymnen wie „We Are Still Here“ oder „No“. Das neue Album ist definitiv auch politisch. Die Grundthemen sind soziale Ungleichheit und Klimawandel. Die ja unweigerlich miteinander zu tun haben, weil die Menschen in den ärmeren Ländern die Folgen des Klimawandels als erste ausbaden. Aber ich würde nicht so weit gehen, „Tales Of The Tide“ als Öko-Hymne zu bezeichnen.
Wasser ist der rote Faden?
Von Einem: Ja, das Thema zieht sich durch. Flutwelle ist ja eine ziemlich schlimme Metapher beim Kontext Migration und gleichzeitig die buchstäbliche Flut, die Menschen dazu zwingt, aus ihrer Heimat zu flüchten. Andererseits gibt es austrocknende Länder, was auch wieder eine Fluchtursache ist. Dass das alles zusammenhängt, ist das politische Thema des Albums.
Als Journalist wird man natürlich neugierig beim Titel „Assad“, zumal der Autor Ahmed Eid syrische Wurzeln hat. Die im Booklet mitgelieferte englische Übersetzung des arabischen Textes ist er aber in orientalischer Erzähltradition sehr verblümt und poetisiert. Wäre ein anklagendes Lied wie Pinks „Dear Mr. President“ zu gefährlich - oder ist das nicht der Stil von Bukahara?
Von Einem: Diesen Text hat Ahmed geschrieben. Aber natürlich sprechen wir über die Themen, über die Soufian oder er schreiben möchte - und die uns alle umtreiben. Was anklagende Attitüde angeht - das war noch nie unser Weg, über Musik etwas zu erreichen. Es geht nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger oder der Moralkeule jemanden zu denunzieren oder Leuten vorzuschreiben, was sie für eine Meinung haben sollen. Es geht eher darum, durch Musik eine Identifikation hinzubekommen, so dass die Menschen eine Art Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Wir spielen ja für ein Publikum von kleinen Kindern bis zu Rentnern. Trotzdem kann ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen. Nach dem Motto: „Wir sind nicht alleine.“
Aber das Lied „Assad“ handelt schon vom syrischen Präsidenten und nicht von einem Löwen, der Wortbedeutung des Namens, oder?
Von Einem: Ahmed ging es hier tatsächlich nicht um den syrischen Präsidenten, sondern um eine ganz persönliche spirituelle Erfahrung in der gesellschaftlichen Situation, in der er aufgewachsen ist. Aber dass es so lyrisch ausgedrückt ist, ergibt Raum für Interpretation. Das ist auch das, was wir bezwecken wollen: Du nimmst den Text und findest deine eigenen Anknüpfungspunkte.
Auf der Bühne passiert bei Bukahara ja eher das Gegenteil von Reduziertheit: Sie vier spielen extrem viele Instrumente. Wie viele könnten Sie live maximal auffahren?
Von Einem (lacht): Da müsste ich mal zählen. Soufian allein spielt ja schon viel gleichzeitig: Gitarre, Schlagzeug, Lead-Vocals. Bei mir sind es Trompete, Posaune, Flügelhorn und Vibraphon. Avi spielt Mandoline und Geige, Ahmed Bass, Darbuka und neuerdings Buzuk - und alle singen. Es ist auf jeden Fall zweistellig.
Hand aufs Herz: Ist das auch live immer wichtig für den jeweilige Song oder manchmal auch nur die Plattform für die Neuerwerbung oder die eigenen Fähigkeiten?
Von Einem: Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Jedes Instrument mehr bedeutet ja auch mehr Aufwand. Es wird mehr, wenn der Bedarf da ist: Ich habe das erste Mal Snare auf der Bühne gespielt und nicht zu Hause, als Soufian nur die Bass-Drum benutzen konnte und wir einen Backbeat brauchen. Als Ahmed die Darbuka-Trommel gespielt hat, habe ich mir ein Sousaphon gekauft, um seinen Bass zu ersetzen. So wuchs die Instrumentenfamilie immer weiter an.
Bukahara nennen sich selbst „Deutschlands größte unbekannte Band“. Gilt das noch angesichts der Hallengrößen auf der anstehenden Tournee und Streaming-Zahlen im Millionenbereich?
Von Einem: Das müssen Leute von außen beurteilen. Unsere Perspektive ist immer noch eine sehr bescheidene, kleinere. Man selber sieht ja sein Kind nicht wachsen. Dasselbe ist es mit dem Erfolg der eigenen Band. Auch, weil es sich bei uns alles sehr natürlich entwickelt hat und es nie den einen großen Knall gab. Angesichts der Hallen, die wir ausverkaufen, sind wir natürlich eine große Band. Allerdings finden wir dafür in der Medienlandschaft oder in Sachen Social Media nicht entsprechend statt. Da sind wir mit Blick auf die Ticketverkäufe unterrepräsentiert - und fast Underground.
Was verwundert, denn Ihre Musik kann auf Anhieb ein extrem breites Spektrum von Hörenden begeistern: Fans von Mumford & Sons, von Stings Jazz-Phase oder natürlich von Weltmusik. Und allen, die einen vordergründig eingängigen, aber interessant musizierten Song zu schätzen wissen.
Von Einem: Ja. Es scheint Musik zu sein, die quer durch alle Altersklassen und Schichten funktioniert. Die Tour mit den größten Hallen, die wir je gespielt haben, ist ausverkauft. Gleichzeitig werden wir erstaunlich wenig besprochen, haben auf Instagram zehnmal weniger Follower als vergleichbare Bands. Das gibt uns diesen unaufgeregten Underground-Vibe, der uns gut steht. Weil wir es nie auf den großen Erfolg angelegt haben.
Kein Wunder, Sie haben sich ja alle beim Jazz-Studium in Köln kennengelernt. - da sind 4000er-Hallen selten ein Thema. Den Hintergrund hört man deutlich am souveränen Groove, egal, wer welches Instrument spielt. Resultiert das aus dem Jazz-Studium oder haben Sie das alle in die Wiege gelegt bekommen?
Von Einem: Da gibt es verschiedene Faktoren. Durch das Studium und dadurch, dass wir uns alle lange mit unseren Instrumenten beschäftigt haben, bringen wir gewisse technische Fähigkeiten und Flexibilität mit. Das wiederum beeinflusst die Art und Weise, wie wir Musik machen - von Anfang an, als wir noch auf der Straße spielten. Wir haben noch nie geprobt und nie einen Proberaum besessen, alles hat sich immer live entwickelt.
Wie geht das?
Von Einem: Soufian kommt mit einem neuen Song, sagt uns die vier Akkorde - und wir erarbeiten den live und simultan auf der Bühne. Diese Flexibilität mag vom Jazz-Studium kommen. Aber eigentlich weniger vom Studium, sondern mehr durch die Beschäftigung mit Musik.
Band aus studierten Jazzern
- Max von Einem wurde am 30. September 1986 in Münster geboren. Der Posaunist, Multiinstrumentalist und Komponist studierte ab 2006 Musik an der Folkwang Hochschule.
- Beim Jazzstudium in Köln lernte der Urgroßneffe des österreichischen Komponisten Gottfried von Einem die anderen Musiker von Bukahara kennen.
- Auch die anderen Bandmitglieder sind Multiinstrumentalisten: Frontmann, Schlagzeuger und Gitarrist Soufian Zoghlami hat tunesische Wurzeln. Daniel Avi Schneider (Geige, Mandoline) ist jüdisch-schweizerischer Herkunft. Ahmed Eid wurde in Syrien geboren, wuchs in Palästina auf und begann, mit 18 Jahren in Kontrabass zu studieren.
- 2013 veröffentlichten die Wahl-Kölner ihr Debütalbum. Das sechste Werk „Tales Of The Tide“ erscheint am 24. Februar.
Sie selbst waren im Bundesjazzorchester. In früheren Generationen hätten ihre studierten Ex-Mitjazzer wohl die Nase gerümpft über Ihre Arbeit mit Bukahara, oder darüber dass sie bei der Stefan-Raab-Studioband The Heavytones oder mit Frida Gold gespielt haben. Ist das heute noch so?
Von Einem (lacht): Als wir 2009 mit Bukahara anfingen und es wirklich nicht nach großem Erfolg aussah, wurde das von Kollegen und Freunden schon belächelt. Die Attitüde, mit der man in der Jazzszene an Musik herangeht, ist leider manchmal etwas engstirnig und mit Scheuklappen behaftet. Das hat mich damals gestört, deswegen wirkte Bukahara auch so befreiend auf mich. Weil es nicht um artifizielle, elitäre Akademikermusik ging, und darum, wie exzellent man sein Instrument spielen kann. Das war einfach Grundvoraussetzung, aber darum ging’s nicht. Sondern um Emotion, Energie, das Zusammenspiel und die Verbundenheit mit dem Publikum. Das hat mir im Jazz oft gefehlt.
Hat der Bandname eigentlich etwas mit der fast gleichnamigen usbekischen Stadt zu tun, die über Jahrhunderte ein kultureller Schmelztiegel war?
Von Einem: Nein, das ist ein erfundener Eigenname. Er klingt einfach nur schön und öffnet von der Art des Klangs etwas.
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