Hirschberg. Die Grillen zirpen, die Nacht ist längst hereingebrochen. Es ist 23.15 Uhr in einem verlassenen Dorf in Rumänien. Schon im Dunkeln hat Heike Pirngruber ihr Zelt irgendwo in einem verlassenen Dorf an der Via Transilvanica, einem Trail quer durch Rumänien aufgebaut. Sichtgeschützt hinter einem großen Heuhaufen spricht sie mit gedämpfter Stimme ihre Sprachnachricht ins Handy.
Zum einen, weil sie niemanden wecken will, auch nicht ihren Begleiter Butch, einen Australian Cattle Dog, der nach einem weiteren heißen Wandertag schon an ihrer Seite schläft. Zum anderen, weil sie selbst nicht belästigt werden möchte. Denn am eigentlichen Platz im Dorf Godeanu, der für Wanderer sogar mit Sofa und Steckdose ausgestattet ist, haben sich abends einige Einwohner des Dorfes zum Trinken getroffen. „Das ist nicht meins. Aber auf meiner Route treffe ich wirklich viele Alkoholiker.“
Die Route der Weltreisenden aus Großsachsen startete vor neun Monaten in Spanien, führte über Frankreich und Andorra auf Sardinien, das italienische Festland nach San Marino, Griechenland, Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien, Serbien und jetzt Rumänien. Über 5800 Kilometer sind es bislang, fünf Paar Trailschuhe hat die 53-Jährige schon durchgelaufen. Und die Teuersten waren dabei nicht immer die Besten. „Mit den Kiprun schaffe ich fast 2.000 Kilometer. Die habe ich dann entsorgt, als ich den 150 Kilometer langen Umweg zum nächsten Decathlon angesteuert habe.“
Heike Pirngruber ist seit zwölf Jahren unterwegs: Wandern lässt ihren Kopf frei werden
Heike Pirngruber ist seit zwölf Jahren auf der Reise. 2013 zunächst viereinhalb Jahre mit dem Fahrrad Richtung Osten, nach acht Monaten daheim wieder 2018/19 mit dem Rad durch Afrika, dann wegen Corona festsitzend in Südamerika, zu Fuß zwischen USA und Mexiko pendelnd, mit dem Tuk Tuk durch Chile und Argentinien, kam sie 2024 wieder in Madrid an und wanderte Richtung Bergstraße.
Ich laufe manchmal bei schlechter Stimmung los und nach einer halben Stunde ist, wenn man die Natur beobachtet und die Gedanken loslässt, alles verflogen.
Im November setzte sie in Madrid wieder an. Zu ihrer Wanderung um die Welt, mit ihrem Hund als Begleiter. „Ich bin begeistert. Man ist noch langsamer unterwegs als mit dem Rad. Diese dem Menschen entsprechende Reisegeschwindigkeit, die ständige Bewegung, der Trott – das ist eine noch intensivere Meditation. Ich laufe manchmal bei schlechter Stimmung los und nach einer halben Stunde ist, wenn man die Natur beobachtet und die Gedanken loslässt, alles verflogen.“
Die Fotografin hat sich lange vor Europa als Kontinent gedrückt. „Ich hatte immer die vielen Regeln im Kopf, dass sich die Leute hier anders anstellen. Aber ich bin völlig hin und weg, wie schön und vielschichtig Europa ist. Sowohl landschaftlich als auch kulturell.“ Diese tiefe Zufriedenheit sorgt dafür, dass das Laufen die Fotografin im Hier und Jetzt bleiben lässt. „Als ich noch mit dem Rad unterwegs war, war ich mit den Gedanken oft schon beim nächsten Schritt. Hier bummeln wir, auch der Hitze geschuldet, einfach rum. Es ist ja kein Rennen.“
Das nächste Ziel von Heike Pirngruber: Russland, Finnland oder die Türkei?
Pirngruber hat Zeit. Zumindest in diesem Teil Europas. Sie ist sich aber auch bewusst: Je weiter ihre Reise nach Osten führt, desto schwieriger wird es mit der Entdeckung der Langsamkeit. „Wenn man nur ein 30-Tage-Visa für ein Land bekommt, fängt es an, anstrengend zu werden.“ Das könnte in Belarus oder Russland der Fall werden. Doch wohin es gehen wird, weiß sie noch nicht.
Auch die Türkei ist nach einer netten Koch-Begegnung mit einem türkischen Trucker im Rennen, genau wie Finnland oder das Baltikum. Doch so weit ist es noch nicht. Aktuell hat sie erst einmal das 105. Land im Blick, das sie kennenlernen möchte: Moldawien. „Über die Karpaten, da ist es hoffentlich etwas kühler.“
Denn die Hitze sorgt beim Reiseduo für einen zerrissenen Tagesablauf. „Ich bin kein Morgentyp und eher Nachtmensch. Aber wenn es morgens um 9 schon 30 Grad hat, kann man ja auch nicht im Zelt bleiben. Über Mittag ist es dann so heiß, dass Butch schlappmacht. Im Winter war es zwar kalt und nass, aber da sind wir deutlich besser vorangekommen.“
Gut ausgestattet: Dieses Equipment hat Heike Pirngruber auf ihrer Reise dabei
Im Winter konnte sie auch ihr Equipment gut austesten. Da waren die zwei Paar Socken, das T-Shirt und Longsleeve aus Merinowolle, die Daunenjacke, der Poncho, die langen Hosen und lange Unterwäsche mehr als nötig. Selbst in Nordmazedonien, wo es im Mai noch eiskalt war und der viele Regen im Matsch die vielen Bärentatzen sichtbar machte, musste sie fast ihren kompletten Kleiderfundus ausschöpfen.
Dazu eine Leichtschaummatratze samt Quilt, Kochuntensilien, Kameraequipment, Erste-Hilfe-Set, Kochuntensilien, Papieren für Frau und Hund und der Ausstattung für Butch samt Futter und Wasser – gewogen hat sie ihren Rucksack nicht. „Hier gibts keine Waage“, lacht sie. „Aber weil ich nur in Shorts und T-Shirt laufe, ist er natürlich deutlich schwerer als im Winter.“
Bären über Bären: In Rumänien gibt es aktuell ziemlich viele
Ergänzt wurde ihr Gepäck, in dem auch das obligatorische Pfefferspray seinen Platz hat, jetzt durch ein Bärenspray. „Ich habe auf dem Trail rumänische Wanderer getroffen, die mir ihres geschenkt haben. Tatsächlich gab es in Nordmazedonien schon viele, aber auch hier sind Sichtungen nicht selten. Ich hatte bestimmt schon drei Nächte, in der mindestens ein Bär um unser Zelt herumgeschlichen ist.“
Fast überall, wo ich bislang auf dem Balkan durchkam, liegt Müll, vorm Dorf, hinterm Dorf, die Leute werfen ihren Müll einfach die Böschung runter.
Eigentlich ist das genau ihr Ding. Dort, wo Bären sind, ist es wild. Und in der Wildnis fühlt sich Pirngruber frei. Schade nur, wenn es in den entlegenen östlichen Ecken Europas dann gar nicht mehr so wild ist, weil der Mensch unübersehbare Spuren hinterlässt: „Fast überall, wo ich bislang auf dem Balkan durchkam, liegt Müll, vorm Dorf, hinterm Dorf, die Leute werfen ihren Müll einfach die Böschung runter. Nordmazedonien war eine einzige Müllhalde mit zugemüllten Bächen und Flüssen.“
Flussquerung in Albanien: Im Rucksack trägt sie alles mit
In Rumänien sei das etwas besser. Und da trifft sie auf dem Stück, das sie auf der Via Transilvanica läuft, auch mal einen Wanderer. Das gab es zuletzt auf Sardinien, da waren auch ein paar Urlauber. Eine Insel, die Pirngruber , nachhaltig begeistert hat. Dort verbrachte sie zwei Monate im Winter.
„Da ist die Zeit einfach stehen geblieben. Die Menschen sind, im Gegensatz zum italienischen Festland, total entspannt.“ Die Klippen am Meer, die Landschaft, prähistorische Ausgrabungen und vor allem die Hundefreundlichkeit setzten für die Weiterreise Standards.
Vor einigen Jahren hätte ich mir da noch in die Hose gemacht. Jetzt stehen wir da wie eine Mauer.
Das Thema Hund beschäftigt Heike Pirngruber in jedem Land. Denn ihr Reisegefährte ist gerade in muslimischen Gebieten nicht überall willkommen und Begegnungen mit Straßen- und Hofhunden gibt es täglich. „Inzwischen sind wir darin Profis. In Nordmazedonien beispielsweise ist uns ein Rudel von 15 Hunden hinterher. Vor einigen Jahren hätte ich mir da noch in die Hose gemacht. Jetzt stehen wir da wie eine Mauer.“
Nach Sardinien hinterließ auch das Pindosgebirge mit seinen Schluchten, alten Steinbrücken und Bergdörfern auf Griechenland sehr schöne Eindrücke. Die großen Kangal-Hunde allerdings ebenso. „Reisen mit Hund ist eben so eine Sache. Entweder haben die Menschen Angst vor Hunden oder hassen sie. Manchmal dürfen wir nicht mal in einem Café auf der Terrasse sitzen. Das ist schon sehr schade.“
Pirngruber freute sich über den Besuch einer Freundin
Zum Glück bleiben aber nicht nur die Geschichten von Hunde-Aufeinandertreffen hängen. Zwar gibt es bislang kaum Begegnungen mit anderen Reisenden, dafür freute sich Pirngruber in Albanien über den Besuch einer ehemaligen ZDF-Kamerakollegin. „Mit Sandra hatte ich seit 15 Jahren keinen Kontakt mehr. Durch eine andere Kollegin hatte sie mitbekommen, dass ich in Nordmazedonien war, während sie gerade mit Mann und Bus Urlaub in Albanien machte. Der Tag, an dem wir zusammen gewandert sind und abends gemeinsam gekocht habe, war toll. Es ist wunderbar, wenn man sich austauschen kann und erfährt, was gerade in Deutschland los ist. Leider besucht mich kaum jemand, offenbar scheint das allen zu heftig.“ Aber manchmal klappt es doch.
In Albanien, dem Land, das auch laut der Großsachsenerin aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit zurecht gerade das Trend-Reiseland ist, traf sich Pirngruber mit der Reisepartnerin, mit der sie im Alter von 19 Australien bereiste. „Auch sie war mit dem Wohnmobil unterwegs und wir hatten einen super Abend!“
Eine Premiere in Serbien und eine Einladung mit Folgen
Apropos super Abend: Es sind nicht immer die direkten Begegnungen, die in Erinnerungen bleiben. In Serbien erlebte Pirngruber eine Premiere. Wie immer stellte sie das Zelt für sich und den Hund fernab der Straße versteckt auf einem Feldweg ab und hatte schon geschlafen, als sich ein Auto näherte. „Drei, vier Meter neben dem Busch, hinter dem wir zelteten, vergnügte sich ein Paar dann anderthalb Stunden lautstark, ehe wir weiterschlafen durften.“
Abendunterhaltung der besonderen Art. Und um beim Thema zu bleiben: Der Einladung eines Mannes bei ihm zu kochen war Heike Pirngruber entgegen ihres selbst aufgestellten Gesetzes: „Laufe nie mit einem Typen in dessen Haus“ dennoch gefolgt. „Da war alles verschimmelt und vergammelt. Der Typ war besoffen und hatte noch einen Zahn und versprach mir eine heiße Nacht“, lacht sie. Die Nacht verbrachte sie lieber allein im Zelt. Na ja, fast allein. „Ich habe mir einen Floh eingefangen, der hat mich noch länger beschäftigt.“ Manche Gesetze sollten tatsächlich nicht gebrochen werden.
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