Metropolregion. Herr Weitzel, Kinder bekommen heutzutage schon in viel zu jungen Jahren mit, was in der Welt passiert; einen kindlichen Schonraum gibt es nicht mehr. Sollten Eltern Themen wie etwa den Krieg in der Ukraine von sich aus ansprechen oder warten, bis die Kinder das Gespräch suchen?
Willi Weitzel: Es wäre eine sehr erschreckende Vorstellung für mich, dass Väter oder Mütter dieses Buch kaufen, um es ihren Kindern als Einschlaflektüre vorzulesen. Wie bei jedem heiklen Thema brauchen Eltern ein gutes Gespür für den richtigen Moment. Wir leben in einer Welt voller Schreckensszenarien und werden mit großen Fragen konfrontiert, die auch ich mir immer wieder stelle. Wie viel davon müssen wir wirklich mit unseren Kindern teilen? Aus diesem Grund habe ich das Thema Krieg in dem Buch sehr dezent dosiert. Meine größte Sorge ist, etwas kaputt zu machen. Ich möchte die Kinder fordern, aber auf keinen Fall überfordern, um sie nicht zu beängstigen.
Kinder sind in ihrer individuellen Entwicklung sehr unterschiedlich, aber eins haben die meisten gemeinsam: Ein Thema wie der Krieg ist von ihrem Alltag weit weg. Trotzdem reagieren auch nach über einem Jahr immer noch viele Erwachsene sehr betroffen auf die Nachrichten. Wie lässt sich das Kindern erklären?
Weitzel: Am besten, in dem man nach Anknüpfungspunkten im Leben der Kinder sucht. Es bringt auch nichts, den Klimawandel abstrakt zu besprechen. Ich habe es in dieser Hinsicht allerdings leichter als die meisten Eltern. Ich bin für meine Sternsinger-Reportagen durch die ganze Welt gereist. Wenn ich dann nach Hause komme und meinen Töchtern Fotos von Kindern in Afrika oder in der Ukraine zeige, kann ich solche Gespräche natürlich ganz anders führen als Menschen, die ihren beruflichen Alltag im Büro verbringen.
Ab welchem Alter merken Kinder, dass die Welt nicht so heil ist, wie sie sie bis dahin hoffentlich erlebt haben?
Weitzel: Es hat mich zutiefst erschüttert, als ich erfahren habe, dass Kinder durch die digitalen Medien durchschnittlich bereits im Alter von elf Jahren mit Pornografie konfrontiert werden. Mit elf! In dem Alter war ich noch in jeder Hinsicht unschuldig. Allerdings ist es mir auch gelungen, mir meine Kindheit bis in die Jugend hinein zu bewahren, das ginge heute gar nicht mehr. Ich habe trotzdem versucht, meine Kinder so lange wie möglich vor dem Ernst des Lebens zu beschützen; der graue Alltag beginnt früh genug.
Früher als früher?
Weitzel: 2008 habe ich den Kinofilm „Willi und die Wunder dieser Welt“ gedreht. Ich war im Regenwald, bei den Eisbären und in der Wüste. Damit war eine medienpädagogische Hoffnung verknüpft: Wenn ich den Kindern zeige, wie schön die Welt ist, werden sie als Erwachsene alles dafür tun, um diese Schönheit zu bewahren. Zwölf Jahre später war ich für den Film „Willi und die Wunderkröte“ unterwegs. Diesmal war der erzählerische Ansatz ein ganz anderer: Kinder wissen vom Artensterben und vom Klimawandel. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen liegt im Wechsel der Konfrontation. Heute muten wir den Kindern viel mehr zu, weil sie mitbekommen: Es wird alles eher schlimmer als besser. Deshalb wollte ich mit dem Friedensbuch den Spieß rumdrehen: Nicht der Krieg, sondern der Frieden ist ausgebrochen.
Papa, da ist was ausgebrochen, aber ich hab’s nicht verstanden
Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Weitzel: Meine Tochter kam eines Tages aus dem Kindergarten. Sie hatte gehört, wie sich andere Kinder über etwas unterhielten, dass sie „Krieg“ nannten, kannte das Wort aber nicht und hatte es daher auch wieder vergessen, deshalb sagte sie: „Papa, da ist was ausgebrochen, aber ich hab’s nicht verstanden.“ Das war am 25. Februar, dem Tag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Mir ist damals klar geworden: Ich habe bei meiner Arbeit seit zwanzig Jahren ständig mit Kindern zu tun. Trotzdem finde ich nicht die richtigen Worte, um meine Tochter zu trösten und ihr zu erklären, was da passiert ist.
Wie haben Sie sich damals verhalten?
Weitzel: Wir haben uns „logo“ angeschaut, die Nachrichtensendung für Kinder. Ich empfinde eine große Wertschätzung für das, was die Kolleginnen und Kollegen vom ZDF täglich für den Kika produzieren, doch an diesem Abend war ich selbst als erwachsener Mensch von fast fünfzig Jahren angesichts der Berichte erschüttert. Wir wissen ja im Grunde alle nicht, wie stabil wir wirklich sind, bis wir tatsächlich in eine Ausnahmesituation geraten, aber auf die Zielgruppe haben solche Bilder natürlich noch mal eine ganz andere Wirkung. Gerade Vorschulkinder sind damit überfordert. Daraus resultierte meine Motivation, Eltern etwas an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe sie mit ihren Kindern über Krieg sprechen können.
Ist das Buch also für Vorschulkinder gedacht?
Weitzel: Man kann Kinder nicht über einen Kamm scheren. Wer größere Geschwister hat, kriegt viel mehr mit und ist vielleicht schon mit fünf Jahren bereit für das Thema, andere dagegen womöglich erst mit zehn. Dass „Der Frieden ist ausgebrochen“ ein Bilderbuch ist, heißt ohnehin nicht, dass es sich automatisch an kleinere Kinder richtet. Die Geschichte richtet sich an alle, die entsprechende Sorgen und Ängste haben.
In dem Buch geht es unter anderem um Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe. Was Liebe ist, erfahren Kinder hoffentlich spätestens ab dem Tag ihrer Geburt, aber wie erklärt man Freiheit und Gerechtigkeit?
Weitzel: Zumindest in Familien mit mehr als einem Kind ist das ganz leicht, denn hier wird Gerechtigkeit zwischen den Geschwistern jeden Tag eingefordert. Ich habe die Begriffe bewusst nicht erläutert, um Eltern die Möglichkeit zu geben, mit ihren Kindern ein Gespräch zu führen, das über das Thema des Buches hinausführt. Die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich bleiben ja auch den Kindern nicht verborgen.
Willi Weitzel und das Bilderbuch
Willi Weitzel (50), dank „Willi wills wissen“ viele Jahre lang populärster Moderator im Kinderfernsehen, hat die Reportagereihe 2010 beendet, wird aber auch eine Kindergeneration später nach wie vor umjubelt, wenn er mit seinem Live-Programm „Willis wilde Wege“ unterwegs ist oder seine Kinofilme wie zuletzt „Willi und die Wunderkröte“ (2022) vorstellt.
Nun hat der mit allen wichtigen Preisen für Kinderfernsehen ausgezeichnete Moderator gemeinsam mit Illustratorin Verena Wugeditsch sein erstes Kinderbuch verfasst: „Der Frieden ist ausgebrochen“ (Bohem Verlag, 15 Euro) soll Eltern helfen, mit ihren Kindern über Krieg zu sprechen. Das Buch hat den Großen Preis der Akademie für Kinder- und Jugendliteratur bekommen.
Seit 2013 ist Weitzel für das Kinderhilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland (Aachen) rund um den Globus unterwegs und dreht Filme zu den Jahresaktionen der Sternsinger. Weitzel hat drei Töchter im Alter von 5, 8 und 14 Jahren, die Familie lebt am oberbayerischen Ammersee. tpg
Infos zum Buch: Der Frieden ist ausgebrochen!
Ab 3 Jahren. 24 Seiten, Hardcover mit Farbprägung. ISBN 978-3-95939-216-7
Das Buch beschreibt, wie Kriege entstehen und wie sie beendet werden können, aber eine typische Kinderfrage bleibt ausgespart: „Kann das auch bei uns passieren?“
Weitzel: Ja, das ist wahr. Ich sehe mich in dem fiktiven Dialog als tröstender Erklärer, der das Thema möglichst schonend behandelt, und gestehe freimütig: An diese Frage habe ich mich nicht rangetraut, sie war mir schlicht zu unheimlich, zumal die Antwort dem Buch eine ganz andere Richtung gegeben hätte. Der Vater ist ja im Grunde schon jetzt genauso hilflos wie das Kind. Aber er ist immerhin in der Lage, aus der Kiste mit dem gesammelten Schatz seiner Lebenserfahrung einen Appell zu ziehen: Solange wir uns an bestimmten Werten orientieren, kommt es nicht zum Krieg.
Allem Trost zum Trotz: Einige Seiten sind sehr bedrohlich. Gab es Diskussionen darüber, ob diese Bilder nicht zu düster sind?
Weitzel: Ja, die gab es in der Tat, aber diese Seiten sind unverzichtbar, zumal das Buch mit einem positiven Gefühl endet.
Was antworten Sie ihren Töchtern, wenn die wissen wollen, ob man angesichts von Krieg, Klimawandel und Hunger in der Welt überhaupt noch fröhlich sein und Spaß haben darf?
Weitzel: Diese Frage stelle ich mir selbst auch, wenn ich im Auftrag des Aachener Kindermissionswerks in Krisengebiete reise und mir die Menschen dort erzählen, dass sie kein Trinkwasser mehr haben, weil es seit Wochen nicht geregnet hat. Aber dann erlebe ich die Sternsinger, die von Tür zu Tür gehen, um Geld zu sammeln, und auf diese Weise ihren Teil dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Sie stehen für die Haltung, mit der ich durchs Leben gehe: das Lächeln nicht verlieren!
Wie gelingt es, diese Zuversicht auch den eigenen Kindern zu vermitteln?
Weitzel: Ganz einfach: indem man sie vorlebt. Väter und Mütter können viel erzählen, aber wenn das nicht mit ihrem eigenen Verhalten übereinstimmt, ist es nicht glaubwürdig. Verbote sind sowieso nicht zielführend, weil sich der Nachwuchs erfahrungsgemäß irgendwann darüber hinwegsetzt; wenn auch mit schlechtem Gewissen. Aber Kinder sind ohnehin von Natur aus zuversichtlich, in dieser Hinsicht können wir Erwachsenen viel von ihnen lernen. Ich weiß: Das ist leichter gesagt als getan, aber nur durch Reden wird sich garantiert nichts ändern.
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