Mannheim. Eine Nachricht blinkt auf dem Display des Smartphones auf. Eine Dating-App meldet ein „Match“. Es folgt eine persönliche Nachricht. „Ich möchte ein Buch über dich schreiben“, steht dort.
Nur ein Wischen, und schon ist der Chat verschwunden, mit ihm die Nachrichtenanfrage und das „Match“.
Willkommen in der Welt des Online-Datings, von der uns die Community auf unserem Instagram-Account berichtet hat. Wir haben gefragt: Nutzt ihr Dating-Apps? Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Das haben wir von den Teilnehmenden erfahren: 76 % nutzen keine Dating-Apps. Werden sie genutzt, sind 48 % Prozent überhaupt nicht auf der Suche nach langfristigen Beziehungen.
Ein ähnliches Bild zeichnet eine repräsentative YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2024. 68 Prozent der Deutschen hat demnach noch nie eine Dating-App genutzt. Blickt man in einzelne Altersgruppen, war die Verwendung von Dating-Apps bei den 25- bis 35-Jährigen am höchsten: 18 Prozent waren aktuell auf den Portalen unterwegs, 32 Prozent hatten die Apps bereits in Anspruch genommen, zum Zeitpunkt der Befragung aber nicht mehr. 45 Prozent beantworteten die Frage „Haben Sie schon einmal eine Dating-App genutzt?“ mit einem „nein“. Eine Altersgruppe darunter, bei den 18- bis 24-Jährigen, war die Nutzung von Dating-Apps geringer (56 % „nein“, 13 % „Ja, nutze ich aktuell“, 23 % „Ja früher, aber jetzt nicht mehr“.)
Die Generation Z (laut dem Institut für Generationsforschung)
- Jahrgänge 1995–2009/2010
- Erste Vertreter im Arbeitsmarkt, stellen neue Forderungen
- Fokus: enge Bindungen und Erlebnismaximierung
- 4,6 Millionen weniger als Generation X (Elterngeneration)
- Kleinste Alterskohorte seit dem Zweiten Weltkrieg
- Erster Wissensvorsprung vor der Eltern-Generation
- Eltern lernen von Kindern in Digitalisierung
Entsteht aus Dating-Apps ein Teufelskreis
Auch wenn die Mehrheit keine Dating-Apps nutzt, so sind diese Plattformen dennoch sehr beliebt. Was macht die Nutzung mit den Menschen? Welche Gefahren gibt es? Die Mannheimer Paartherapeutin Natalie Brucculeri blickt sehr kritisch auf Dating-Apps und sieht in dieser Art der Begegnung einen Teufelskreis: „Es ist eine Mischung aus Selbstdarstellung, Oberflächlichkeit, Unverbindlichkeit und wachsendem Frust, weil eben nicht die Verbindungen entstehen, die man sich erhofft. Dadurch entsteht ein Kreislauf, wie sich Männer und Frauen dort begegnen. Und zack, ist man schon beim nächsten Kontakt.“
Wenn Menschen in ihrem eigenen Selbstwert nicht gefestigt sind, käme es ganz oft dazu, dass man sich noch mehr verbiegen möchte, um einem potenziellen Partner zu gefallen. „Frust und Enttäuschung, verunsichernde Erfahrungen, aber auch eine gewisse Abstumpfung durch die Masse an bereits erlebten Kontakten können zu einer gewissen Verschlossenheit führen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind“, warnt sie.
Und wie steht es um die Bindungsunfähigkeit, die insbesondere der Gen Z gerne unterstellt wird? Eine Folge von Dating-Apps? Paartherapeutin Natalie Brucculeri winkt ab. Es sei eher so, dass durch die vielen Umbrüche und Freiheiten, die die Generation Z erlebt hat, sich auch die Werte und Ansprüche an eine Beziehung verändert haben. Die alten Beziehungsbilder sind demnach so nicht mehr gültig und wurden aufgebrochen. Noch hätten sich aber keine neuen Vorbilder herausgebildet. Es sei ein kollektiver, aber auch individueller Prozess, indem es stets Phasen gäbe, in denen Desorientierung stattfinde, bis eine neue Sicherheit entwickelt würde.
Dieser Prozess dauert laut Brucculeri noch an, „bis sich das gegensätzliche Bestreben nach Autonomie und Bindung in der Mitte gefunden haben und der hohe Beziehungsanspruch der Gen Z sich mit der Realität vereint. Auch die Skills für gesunde Beziehungen müssen gelernt werden und reifen – das geschieht bei den meisten Menschen im Laufe der Jahre, mit der Erfahrung und dem Älterwerden.“
Welchen Einfluss haben soziale Medien auf Beziehungen?
Eine Rückkehr des Datings aus dem Netz zurück in die reale Welt sieht Natalie Brucculeri übrigens nicht. Zwar würden nach ihrem Gefühl Dating-Apps an Popularität verlieren, dafür nehme aber der Konsum von Social Media zu. „Social Media ist Segen und Fluch zugleich“, sagt die Therapeutin. Auf der einen Seite würden die Plattformen das Bewusstsein für gesunde Beziehungen schaffen und könnten damit sehr nützlich und lehrreich sein. „Zeitgleich gibt es aber auch übermäßig viele Inhalte, die stark verunsichern.“
Durch die ständige Konfrontation mit anderen Beziehungen - oder DER vermeintlich perfekten Beziehung - in den sozialen Medien, könne es dazu kommen, dass wir Beziehungsprozesse gar nicht mehr bewusst durchlaufen.
Liebe - auch auf Dating-Apps wurde sie gefunden
Allen Problemen und Gefahren zum Trotz lässt sich die Liebe auch in Dating-Apps finden. Diese Erfahrung haben auch ein paar unsere Follower auf Instagram gemacht. Hier ihre Berichte:
„Vor 3,5 Jahren über eine App kennengelernt und wir heiraten nächstes Jahr.“
„Von Tinder zu 10 Jahre Beziehung, davon über ein Jahr Ehe.“
„8 Jahre schon unzertrennlich.“
Was braucht es also, damit aus einem Match eine feste und gesunde Beziehung entstehen kann? Brucculeri sieht den wichtigsten Schritt in der Verlagerung ins reale Leben: Man muss sich als Paar zuerst einmal kennenlernen. Dabei ist es egal, wo das passiert. Wichtig ist nur, dass man sich im echten Leben begegnet.
„Denn stabile und gesunde Beziehungen entstehen im Laufe der Zeit zwischen zwei Menschen, die bereit sind, in die eigene und gemeinsame Tiefe zu gehen und miteinander zu wachsen – ganz egal, wo wir diesen Menschen kennenlernen“, erklärt Brucculeri . „Echte, reale Begegnung ist wesentlich komplexer und verbindender: Wir spüren die Energie des Gegenüber, nehmen Stimme, Mimik und Gestik wahr, es `schwingt etwas miteinander´ oder eben nicht. Dementsprechend gehen wir auch viel menschlicher, echter miteinander um.“
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[1] https://www.instagram.com/mannheimer_morgen/
[2] https://yougov.de/technology/articles/49631-dating-app-nutzer-suchen-nach-der-grossen-liebe