Stephen King gehört zu den zeitgenössischen Schriftstellern, deren Kurzgeschichten und Romane am häufigsten für den Bildschirm oder die Leinwand aufbereitet werden. Seit Jahren führt Frank Darabonts Verfilmung von dessen „The Shawshank Redemption“, deutscher Titel: „Die Verurteilten“, auf der Internet-Plattform IMDb die Liste der „besten Filme aller Zeiten“ an – gefolgt von „Der Pate“. Einen Klassiker des Horror-Genres hat Brian De Palma mit „Carrie: Des Satans jüngste Tochter“ realisiert, Rob Reiner mit „Stand By Me: Das Geheimnis eines Sommers“ Maßstäbe in Sachen „Coming of Age“-Film gesetzt und Stanley Kubrick „Shining“ adaptiert – sehr zum Ärger des Autors, der sich von der Umsetzung vehement distanziert.
Grusel und Gänsehaut, Weltuntergangs- und Katastrophenszenarien sind seine Spezialität. Aber es gibt den anderen Stephen King, dessen Bücher sich weltweit über 400 Millionen mal verkauft haben und in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Den Philosophen, den Denker, den Mahner und (Kleinstadt-)Menschenzeichner, der das Drama im Alltäglichen sucht.
Wie in „The Life of Chuck“, einer rund 50-seitigen Kurzgeschichte, die hierzulande 2020 als „Chucks Leben“ im Sammelband „Blutige Nachrichten“ erschien. Der einschlägig erfahrene Mike Flanagan, siehe sein Netflix-Hit „Spuk in Hill House“ oder die „Shining“-Fortsetzung „Doktor Sleeps Erwachen“, hat sich als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Cutter des Stoffes angenommen. Die Welt geht unter, Kalifornien versinkt im Meer, das Internet – und damit, wie Josh (David Dastmalchian) anmerkt, auch „Pornhub“ – bricht zusammen.
Gleichzeitig feiern die Bürger einer US-Gemeinde einen Mann namens Charles „Chuck“ Krantz (Tom Hiddleston). Buchhalter ist er, sein Gesicht lächelt von zig Plakatwänden, taucht im Fernsehen auf. Was ist das Geheimnis dieses vermeintlich biederen Herren? Ein Rätsel, das weit zurückreicht. Bis in dessen Kindheit im Heim seiner Großmutter (Mia Sara), die ihre Liebe fürs Tanzen an den Enkel weitergab, und seines Großvaters (Mark Hamill), der ihn in das Geheimnis der (doppelten) Buchführung einweihte und streng untersagte, das Turmzimmer ihres viktorianischen Hauses zu betreten …
Der Film „Life of Chuck“ stellt universelle Lebensfragen
Was stringent klingt, ist in Wahrheit ein klug komponiertes filmisches Puzzle. Vom Ende her wird die Handlung in drei Kapiteln ausgerollt, das Leben des Titelhelden in entscheidenden Phasen beleuchtet: kurz vor dessen Tod, als Jugendlicher (Jacob Traeblay) und als Kind (Benjamin Pajac bzw. Cody Flanagan), das seine Eltern bei einem tragischen Unfall verloren hat. Zwischendurch schaltet sich ein Erzähler ein, im Original großartig gesprochen von Nick Offerman.
Mit unterschiedlichsten Personen wird Chuck in Beziehung gesetzt. Zunächst mit Lehrer Marty Anderson (Chivetel Ejiofor), der den Schülern Walt Whitmans Gedicht „Song of Myself“ zu erklären versucht. Mit dem Schlüsselsatz „I contain multitudes“, übersetzt „Ich enthalte eine Vielzahl“. Womit der Kern des Films herausgearbeitet ist, die Vielschichtigkeit eines jeden Einzelnen festgemacht wird.
Tom Hiddleston
Tom Hiddleston, gefeierter Shakespeare-Interpret, brilliert gerne in Schurkenrollen. Regelmäßig ist der Charakterdarsteller in BBC-Produktionen zu sehen, den Leinwanddurchbruch schaffte er als Gott Loki in Marvel-Produktionen wie „Avengers: Endgame“ (2021) oder der Disney+-Serie „Loki“ (2021 bis 2023).
In Erinnerung bleiben seine Kinoauftritte in Jim Jarmuschs Vampir-Extravaganz „Only Lovers Left Alive“ , Woody Allens Zeitreise „Midnight in Paris“ und Terence Davies’ Liebesdrama „The Deep Blue Sea“.
Thomas William Hiddleston wurde 1981 in London geboren und besuchte – mit Prince William und Eddie Redmayne – das Eton College. Er studierte in Cambridge und schloss 2005 seine Ausbildung an der Royal Academy of Dramatic Arts ab.
Zwischen 2005 und 2013 stand er bevorzugt auf der Bühne – wie zurzeit als Benedick in „Much Ado About Nothing“ –, für seinen „Coriolanus“ gewann er einen Laurence Olivier Award .
„Hiddles“, so sein Spitzname, arbeitet als (Synchron-)Sprecher, war Werbeträger für Jaguar und erhielt 2012 den Glamour Award als Mann des Jahres. Der extrem höfliche, gebildete Mime ist UNICEF-Botschafter , Surfer und als „typischer“ Brite Teetrinker.
Seit 2021 ist er mit Kollegin Zawe Ashton liiert, 2022 kam ihr gemeinsames Kind zur Welt. geh
Um äußere Einflüsse, um innere Entscheidungen geht es, um die Frage, ob das Schicksal eines Einzelnen die ganze Welt verändern kann. Sowie um die Wechselwirkung mit anderen. Darunter Straßenmusikerin Taylor, gespielt von der YouTube-Sensation „The Pocket Queen“, die am Straßenrand mit ihrem fulminanten Schlagzeugsolo Chuck mit einer Passantin (Annalise Basso) zum Tanzen bringt, die Sportlehrerin Miss Rohrbacher (Samantha Sloyan), die den schüchternen Teenager am Schulball ermutigt, mit seiner um einen Kopf größeren Partnerin sein Können zu zeigen, oder Martys empathische Ex-Frau, Krankenschwester Felicia (Karen Gillan).
„Life of Chuck“ ist ein Mix aus Musical und Mystery
Packendes, lebensbejahendes, von Kameramann Eben Bolter („The Last of Us“) in warmen Farben gehaltenes Herz-Schmerz-Kino. Das Mysterium der Vorlage wird geschickt mit den universellen Fragen der Menschheit in Kontext gestellt. Der Filmemacher findet Magie und Wärme in der Melancholie unseres Daseins, verbindet Musical mit Mystery, Apokalypse mit Love Story, räsoniert über das Wesen der Mathematik und scheut nicht davor zurück, unsere Erde untergehen zu lassen.
Walzer, Samba und Cha-Cha-Cha werden getanzt, Jazz und Rock sind zu hören. Das gesamte, perfekt geführte Ensemble brilliert, „Loki“ Hiddleston besticht als leichtfüßiges Bewegungstalent. Auf dem Toronto International Film Festival 2024 gewann das Werk den Publikumspreis, bei der Oscar-Verleihung 2026 sollte es in unterschiedlichen Kategorien Statuetten geben. Ganz unangestrengt. Mike Flanagan hat dies in einem Interview auf den Punkt gebracht: „Manchmal geht es einfach nur darum, ‚die Aktentasche fallen zu lassen und zu tanzen.‘“
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