Zeitreise

Von Bürgern gebaut: das Freiburger Münster

Es zählt zu den schönsten gotischen Kathedralen in Deutschland: das Freiburger Münster. Weil das Herrschergeschlecht der Zähringer ausstarb, haben die Bürger die Verantwortung für den Bau selbst übernommen.

Von 
Peter W. Ragge
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Im Innern faszinieren besonders die bunten Fenster mit mittelalterlichen Glasmalereien: Der Chor des Freiburger Münsters mit dem knapp drei Meter hohen Silberkeuz über dem Altar, das um 1200 entstanden ist. © peter cupec

Der erste Blick fällt auf eine Lichtprojektion am Boden. „Silentium“ heißt es da in großen Buchstaben auf den Steinen, wenn man das Münster Freiburg betritt. Gemurmel zahlreicher Besucher, auch in Fremdsprachen, sind zwar etwas zu hören. Aber doch macht sich weitgehend Stille breit, andächtige, ergriffene Stille in diesem mächtigen Bau mit den wuchtigen Pfeilern, der zu den wenigen gotischen Großkirchenbauten zählt, die noch im Mittelalter vollendet worden sind und der zahlreiche Kriege nahezu unversehrt überstanden hat.

„Jeder ist uns hier von Herzen willkommen“, sagt Bernd Gehrke an einem ganz normalen Werktag um die Mittagszeit. Das Geläut von einem Teil der 18 Glocken schallt laut durch die Gassen der Freiburger Innenstadt, dann erklingen die hellen Pfeifen der Orgel, ehe der Domkapitular und Erzbischöfliche Sekretär mit diesen Worten den mittäglichen Gottesdienst beginnt. Knapp 100 Gläubige sitzen da in den Holzbänken und für eine kurze Zeit kann man innehalten und dieses prächtige Gotteshaus ganz auf sich wirken lassen.

Freiburg bleibt beim bescheidenen Titel

Münster nennen es die Freiburger bescheiden. Das kommt ursprünglich vom griechisch-lateinischen Wort monasterium, in frühchristlicher Zeit ein Kloster und im Mittelalter, und vor allem im südwestdeutschen Raum, für bedeutende Stadt- und Stiftskirchen verwendet – wie auch in Ulm, Überlingen oder Straßburg. Seit 1827 ist der gotische Bau zwar Bischofskirche des Erzbischofs der Erzdiözese Freiburg und damit eigentlich „Dom“ oder „Kathedrale“ (von Kathedra für Bischofsstuhl) - vorher residiert der zuständige Bischof in Konstanz. Aber die Freiburger sprechen, obwohl es offiziell Dompfarrei heißt, weiter von ihrem Münster. Und der Münsterbauverein zählt mehr als 5000 Mitglieder.

Er betreibt die Münsterbauhütte, wo ständig 15 bis 20 Steinbildhauer und Restauratoren schadhafte Stellen an der Fassade dieses Meisterwerks mittelalterlicher Baukunst sichern und beheben. Finanziert wird dies nicht nur durch kirchliche und öffentliche Mittel, sondern auch zu einem beträchtlichen Teil – jährlich 1,5 Millionen Euro - mit Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Vermächtnissen.

Mitten in der Altstadt von Freiburg: Das Münster mit dem 116 Meter hohen Turm. Er zählt er zu den frühesten gotischen Türmen, die noch im Mittelalter fertiggestellt worden sind. © Max Weber

Aber das hat Tradition, seit 800 Jahren. Denn es sind die Freiburger Bürger, die lange das Geld für den Bau aufbringen und das Münster zu einem herausragenden Beispiel bürgerlichen Selbstbewusstseins und Kunstsinns des Mittelalters machen. Seit 1120 Markt- und Handelsstadt, wächst die von dem Herrschergeschlecht der Zähringer gegründete Stadt schnell - vor allem durch den Reichtum der Silber- und Bleibergwerke im Schwarzwald. Auch wenn aus der Anfangszeit keine Dokumente überliefert sind, so weiß man doch durch Grabungen und die Datierung der Hölzer von einer kleinen Vorgängerkirche aus dem 11. oder 12. Jahrhundert.

Um das Jahr 1200 initiiert zwar der letzte Zähringer Herzog Bertold V. (1186-1218), der im Münster auch bestattet wird, eine neue Kirche als Grablege. Zunächst beginnen die Arbeiter im Osten des Marktplatzes mit einem monumentalen Neubau um die alte Kirche herum. Bis 1240 sind zumindest Chor, die beiden – später gotisch erhöhten – Chorflankentürme (nach den Wetterhähnen „Hahnentürme“ genannt), Querhaus und Anfänge des Langhauses fertig. Dabei dient das Basler Münster offenbar als Vorbild; von dort werden auch einige Handwerker geholt.

Doch mit dem Tod von Berthold V. 1218 sterben die Zähringer aus - und ab da übernehmen die Stadt und ihre Bürger die Finanzierung. Auch deshalb zieht sich der Bau über mehrere Jahrhunderte hinweg, wobei bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Verantwortung bei den aus der Mitte des Stadtrats gewählten Münsterpfleger liegt. Daher ist auch nicht die Kirchengemeinde oder die Erzdiözese, sondern ein eigener „Münsterfabrikfonds“ als Stiftung der Eigentümer des Freiburger Münsters, vom Münsterbauverein unterstützt.

Spätromanische Elemente und der darauf folgende gotische Stil vermischen sich in dem Bau, denn die neuen, nun kommunalen Bauherren wollen natürlich so bauen, wie es dann modern ist. An der südlichen Mittelschiffwand verläuft zwischen der Vierung und dem Langhaus die Grenze zwischen beiden Baustilen. Dass der Dachstuhl um 1256/56 errichtet wird, beweist die Analyse der Jahresringe des Holzes (Dendrochronologie). Weiter geht es mit dem Langhaus und dem Westturm. Der Glockenstuhl lässt sich auf 1290/91 datieren, zu Beginn des 14. Jahrhunderts werden die Arbeiten am Langhaus abgeschlossen.

Arbeiten ziehen sich 300 Jahre hin

1354 ist die Grundsteinlegung für einen erweiterten Chor durch eine Inschrift belegt - vermutlich auf Wunsch wohlhabender Familien, einen modernen und repräsentativeren Raum zu schaffen, auch wenn dafür einige Häuser am Münsterplatz abgerissen werden müssen. Die Arbeiten ziehen sich indes fast 200 Jahre hin, und erst aus dieser Phase liegen Rechnungen und schriftliche Belege vor. Zeitweise passiert gar nichts, so dass der Stadtrat 1475 beklagt, der Bau würde „by hundert Jaren unußbuven“ (also unausgebaut) bestehen. Erst 1510 wird das Gewölbe geschlossen, das Gotteshaus am 5. Dezember 1513 vom Konstanzer Weihbischof geweiht.

Informationen für Besucher

  • Anschrift: Münster Unserer Lieben Frau, Münsterplatz 1, 79098 Freiburg.
  • Öffnungszeiten des Münsters: Montag bis Samstag 6.30 bis 19 Uhr, Sonn- und Feiertage 7.30 bis 20.30 Uhr. Während der Gottesdienste ist eine Besichtigung nicht möglich.
  • Offene Münsterführung: Freitag und Samstag 14 Uhr, Dauer ca. 1 Stunde, Kosten 8 Euro (ermäßigt 4 Euro). Treffpunkt und Beginn: c-punkt Münsterforum.
  • Turmbesteigung: Montag bis Samstag 11 bis 16 Uhr, Sonntag 13. Uhr bis 17 Uhr, Kosten Erwachsene fünf Euro, Kinder und Jugendliche drei Euro.
  • Besucherzentrum: c-punkt Münsterforum, Herrenstr. 33, 79098 Freiburg mit Filmpräsentation, Anmeldung und Buchung von Führungen, Kartenvorverkauf für Konzerte und Veranstaltungen, Café.
  • Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr.
  • Münsterladen: Herrenstr. 30, 79098 Freiburg.
  • Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr. pwr

Nach über 300 Jahren ist der Bau damit offiziell abgeschlossen - aber immer wieder gibt es An- und Umbauten. Das reicht von der Renaissance-Vorhalle über eine 1719 einsetzende Barockisierung über eine 1806 gebaute Abendmahlskapelle bis 1827 zur Erhebung als Bischofskirche. Da tritt eine „Verschönerungskommission“ in Aktion, beseitigt aber vor allem barocke Spuren und führt wieder neugotische Formen ein. Im Zweiten Weltkrieg bleibt das Münster von großen Schäden weitgehend verschont. Nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) rückt der Zelebrationsaltar näher zu den Gläubigen, um 2006 eine - nicht unumstrittene - ganz moderne Chorausstattung (Altar, Bischofsstuhl, Ambo) vom Münstertäler Künstler Franz Gutmann einzuführen.

Schon die ersten Schritte durch das Spitzbogen-Portal sind höchst beeindruckend, führt der Weg doch an biblischen und allegorischen Figuren, schönen Spitzbogenarchitekturen mit zierlichen Säulen und Giebeln, fein gearbeiteten Blattkapitellen und zahlreichen Reliefs mit menschlichen Gestalten von Propheten oder Königen, Tieren oder Blätterranken vorbei. „Pforte zum Himmel“ hat man im Mittelalter die Kirchentüren genannt – daher finden sich hier schon Szenen aus dem Leben Jesu, seine Geburt und Passion, das Weltgericht und Gestalten des Alten Testaments sowie am Mittelpfeiler des Portals als zentrale Figur Maria, die Schutzherrin des Münsters, als Himmelskönigin.

Glasmalereien im Original erhalten

Im Innern faszinieren besonders die bunten Fenster mit mittelalterlichen Glasmalereien, stammen viele doch noch aus der Entstehungszeit des Münsters, vor allem die zahlreichen von den Handwerkszünften um 1330 gestifteten Fenster mit charakteristischen Symbolen wie Brezel (Bäcker), Stiefel (Schuhmacher), Mühlrad (Müller) und Schere (Schneider). Weil man sie im Ersten und Zweiten Weltkrieg ausgebaut hat, sind sie zum großen Teil im Original erhalten geblieben. Für die Glasmalereien wie für den Figurenschmuck gilt: In einer Zeit, in der die meisten Menschen nicht lesen können, erfahren sie hier anhand bildlicher Darstellungen die zentralen Botschaften des christlichen Glaubens. Aber auch moderne Akzente gibt es, etwa zuletzt das 2006 vom Freiburger Künstler Hans-Günther Van Look geschaffene Frauen-Fenster.

Prägend für den Innenraum neben dem 1512 bis 1516 von Hans Baidung (Zeitgenosse Albrecht Dürers) geschaffenen Hochaltar, Seitenaltären, Reliquienschreinen und üppigem Figurenschmuck ist das über dem Altar schwebende, knapp drei Meter hohe monumentale Silberkreuz. Um 1200 entstanden, gilt es als das älteste Kunstwerk des Münsters, gestiftet vermutlich von Zähringerherzog Bertold V. und bestehend aus vollständig mit silbernen, zum Teil vergoldeten Platten und Reliefs verzierten Eichenholzbrettern mit der aus Silberblech getriebenen und vergoldete Figur Jesu Christi.

Auf den Säulen, die das Dach des Langhauses tragen, thronen Jesus sowie seine zwölf Apostel über den in den Bänken sitzenden Gläubigen. Aber es gibt 14 Pfeiler – während sonst meist Paulus oder Mattias dargestellt wird, sind es hier alle beide.

Maßa als mittelalterlicher Verbraucherschutz

Während es sich bei den Figuren und Schätzen im Innern des Münsters überall um Originale handelt, hat man zahlreiche Sandsteinskulpturen der Fassade wegen der Verwitterung durch Kopien ersetzt und die Originale im Augustinermuseum – einem ehemaligen Augustinerkloster – ausgestellt. Aber so kann man den riesigen Propheten, sonst unter Baldachinen an den vier Ecksporen des Turms in etwa 50 Metern Höhe angebracht, nahekommen. Das gilt auch für die Hauptlaster der Menschen, dargestellt als Scheinwasserspeier in 65 Metern Höhe - darunter etwa der Geiz als kahlköpfiger Idiot, die Wollust als nacktes, junges Weib, der Zorn als brüllender Mann oder die Völlerei mit gierigem Maul. Neid und Trägheit sind verschwunden - (leider) nicht aus dem Leben, aber die steinernen Darstellungen davon.

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Ob im Innern oder an der Fassade - überall fällt die reiche plastische Gestaltung auf, zu der neben biblischen und allegorischen Figuren teils nahezu naturgetreue, teils ornamentale Darstellungen von Ranken, Blättern und Blumen auf und an Kapitellen und Konsolen zähle. Sie dienen nicht nur als Zierde, sondern sollen den Gläubigen auch immer wieder die Schöpfung vor Augen führen.

Weltbekannt und markant ist der 116 Meter hohe Westturm. Vermutlich zwischen 1270 und 1330/40 errichtet, zählt er zu den frühesten gotischen Türmen, die noch im Mittelalter fertiggestellt worden sind. Über dem Unterbau und dem Oktogon mit acht hochaufragenden Pfeilern prägt die 46 Meter hohe filigrane Maßwerkspitze das Bauwerk, das laut dem Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) der „schönsten Turm auf Erden“ sein soll - und Vorbild für viele andere.

Beim Spaziergang um die Fassade fällt auf, dass an einer Stelle etwas in den roten Sandstein eingeritzt ist. Doch es handelt sich nicht um eine Respektlosigkeit gegenüber dem mittelalterlichen Bau. Der Eisenstab stellt eine Elle dar, weitere eiserne Marken den Klafter für den Holzhandel. Das Getreidemaß ist zu finden, der Umriss für Brote aus dem Jahr 1320 und der für kleinere Brötchen in den Hungerjahren 1270 und 1313. Schließlich findet damals wie heute der Markt direkt am Münster statt, und die Maße sind für alle verbindlich und damit mittelalterlicher Verbraucherschutz.

Redaktion Chefreporter

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