Leserbriefe Der Zeitgeist hat es gerne einfach

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Zu Walter Serifs Kommentar „Zeitgeist nicht mehr grün“ (SZ-Ausgabe vom 5. September) wird uns geschrieben:

Walter Serif nimmt den Besuch von Ministerpräsident Kretschmann bei den MVV in Mannheim zum Anlass, um festzustellen, der Zeitgeist sei nicht mehr grün, der Markenkern der Partei angeknackst. Gleichzeitig stellt er fest, dass die MVV mit der Flusswärmepumpe bei der Energiewende vorangeht und das für das Unternehmen auch lukrativ ist. Dass die Wirtschaft mit der Energiewende gutes Geld verdienen kann (Stichwort Transformation), das erklären die Grünen schon seit gefühlt ewigen Zeiten, so Serif und er hat recht.

Wie aber kommt es, dass eine Partei, die Zutreffendes voraussagt und weiter auf die Notwendigkeit von Veränderungen in Anbetracht der Klima- und Umweltprobleme hinweist, soviel Ablehnung erfährt? Die Leute haben die Grünen satt? Sie sind zum Feindbild stilisiert worden? In dem Kommentar heißt es sogar, bei der anstehenden Landtagswahl sei Cem Özdemir zwar bekannter und beliebter, dennoch würden viele die Grünen lieber in der Opposition sehen. Serif: „Alles hat seine Zeit.“

Wie passt das zusammen? Gibt es keine Probleme und deshalb Aufgaben durch Umweltbelastungen und Klimaveränderungen mehr? Bei solchen irrationalen Schlussfolgerungen fällt mir auch der aktuelle Landwirtschaftsminister (CSU) ein, der meinte, die Bundesregierung nehme den Klimawandel sehr ernst, aber mit dem Fleischkonsum habe das nichts zu tun. Was passiert da? Man möchte die Probleme verdrängen, weil sie Ängste und Unsicherheiten auslösen. Diese Probleme lassen deutlich werden, dass sich vieles an unserem Lebensstil, dem Konsum und unseren Gewohnheiten ändern müsste. Das hören wir nicht gerne. Die einen nicht, weil sie mit gewohnten Angeboten weiter viel Geld verdienen wollen, die andern nicht, weil sie ihren Konsum nicht verändern möchten. Überbringer schlechter Nachrichten wurden im Altertum hingerichtet. Heute genügt gottlob das „Schlechtreden“: Zum Beispiel die Grünen sind ja eine Verbotspartei. Friedrich Merz sprach gar von „grünen Spinnern“. Und leider lässt sich „der Zeitgeist“ gerne einlullen: Ihr dürft weiter Verbrenner fahren, schmutzige Heizungen in Betrieb lassen, soviel billiges Fleisch essen, wie ihr könnt, Euch das Leben noch einfacher machen mit Plastikverpackungen, den Müll einfach im Ausland entsorgen, wir in Deutschland können doch gar nicht die ganze Welt retten.

Prokrastination nennt man bei Studenten die „Aufschieberitis“, wenn unangenehme Arbeiten auf die lange Bank geschoben werden. Das passiert gerade in Deutschland. Dafür wurden die Grünen abgewählt. Das erklärt die Zusammensetzung der aktuellen Bundesregierung. Wer noch mehr Zukunftsängste hat und sich aus verschiedenen Gründen auch noch benachteiligt fühlt, der wählt weiter rechts. Da wird dann nicht nur verdrängt, sondern auch noch projiziert: Da gibt es die Sündenböcke, die „Sozial-Schmarotzer“, die Migranten, auch „die da oben“, denen man es dann zeigen will. Mit all diesen Gruppen wird man viel schneller und einfacher fertig als mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Aufgaben und den Umwelt- und Klimaproblemen. Der Zeitgeist hat es gerne einfach. Damit macht er es sich aber leider auf lange Sicht schwerer.

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Dr. Kalliope Eberhardt- Rittmann,
Ort
Schwetzingen
Datum

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