Vogelschutz - Mit dem Steiger hinauf zu den Horsten in schwindelnder Höhe / Beringung hilft das Verhalten der Tiere besser zu verstehen

Jungstörche erhalten ihren „Ausweis“

Von 
Katrin Dietrich
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Altlußheim/Reilingen. Für die Weißstörche ist die Umgebung rund um den Auwald ein allseits beliebtes Sommerquartier. Einige haben sich sogar in Altlußheim, Hockenheim und Reilingen ihren festen Zweitwohnsitz eingerichtet. Sehr erfreulich ist es, dass sich in ihren Nestern jährlich Nachwuchs einstellt, der, wenn das Wetter den Jungen nicht zu sehr zusetzt, bestens gedeiht. Um die Geburtsorte des Nachwuchses ordentlich zu dokumentieren, werden sie im Alter von etwa vier bis sechs Wochen fachgerecht beringt. Dieser Ring ist so etwas wie der Personalausweis der Tiere, aus dessen Nummer sich ihre Daten ermitteln lassen.

„Mit der Nummer, die die Störche an ihrem Bein knapp über dem Sprunggelenk tragen, können sie jederzeit identifiziert werden. Dazu sind der Geburtsort und das Geburtsjahr dokumentiert und später auch die Orte, an denen sie gesichtet werden“, erklärt Gabi Picke, die gemeinsam mit ihrem Mann Thomas das Storchenprojekt Baden-Württemberg betreut. Picke ist dazu ausgebildet, die Störche im Auftrag der Vogelwarte Radolfzell ehrenamtlich zu beringen. Das tat er am Donnerstagmorgen bei sehr wechselhaftem Wetter. Doch Petrus scheint ein Herz für Störche zu haben, denn immer, wenn Thomas Picke in die Höhe fuhr, gab es eine Regenpause. Damit dieser sicher an die hohen Nester kam, stellte ihm die Firma Netze-BW einen Steiger samt Fahrer Christoph Damm zur Verfügung.

Zuerst begann Picke in den Gemeinden Oberhausen-Rheinhausen mit der Beringung der Störche und kam dann auf die Altlußheimer Rheinwiese. Mit dem Korb des Steigerns ging es zuerst einmal ein ganzes Stück über das Nest hinaus. Das ist wichtig, damit die Altvögel davon fliegen können und die Jungen sich in ihren Todstellreflex, die sogenannten Akinese, begeben. Dabei legen sich die kleinen Störche, deren Schnabel noch ganz schwarz ist, flach auf den Boden des Nestes und stellen sich leblos. Dieser Reflex schützt sie vor Raubvögeln. Diese denken dann nämlich beim Überfliegen der Nester, dass die Küken tot sind und greifen sie somit nicht an. Gleichzeitig erleichtert er die Beringungsaktion, die Thomas Picke zügig und fachgerecht durchgeführt. Dabei flog die Storchenmutter ständig über das Nest, um das Geschehen zu beobachten. Der Korb des Steigers war noch nicht richtig am Boden angekommen, da saß die Mutter auch schon wieder bei ihren zwei Kindern und schaute, dass ihnen ja nichts passiert war.

Ei im Nest gefunden

Nach dem gleichen Muster verfuhr Thomas Picke auch mit dem einen überlebenden Storchenkind auf den Reilinger Kieselweisen. Auch hier hielt sich die Mutter während der Beringung in unmittelbarer Nähe des Nestes auf und beobachtete genau, was mit ihrem Schützling passiert.

Gerne kam zu der Aktion Dieter Rösch hinzu, der sich seit vielen Jahren mit Herzblut für die Weißstörche in seinem Ort einsetzt und bei jeder Wetterlage nach dem Rechten bei ihnen schaut. Auch er durfte bei der Beringungsaktion einen Blick in das Nest werfen und sich davon überzeugen, dass das Kleine rundum gesund aussieht. Im Reilinger Nest wurde dazu auch noch ein Ei gefunden, das entweder nicht befruchtet oder nicht bebrütet war. Als alle wieder am Boden waren, kam auch hier die Mutter sofort wieder zu ihrem Nachwuchs zurück und überprüfte, ob es ihm gutging.

Da die Beringer sehr gut ausgebildet sind, ist das Anbringen der Ringe für die Störche völlig ungefährlich. Auch werden die Jungen von den Eltern nicht verstoßen, wenn sich der Menschengeruch auf ihren Nachwuchs überträgt, denn Störche können nicht riechen.

Thomas Picke schätzt das Alter der Altlußheimer Störche auf etwa sechs Wochen und das des kleinen Reilinger Bürgers auf fünf Wochen. Somit wurde der optimale Zeitpunkt gewählt, da nun die Ringe an den dünnen langen Beinen gut halten und der Reflex der Akinese noch vorhanden war. Da es in Altlußheim und Reilingen – im Gegensatz zu Hockenheim – keine Nestkamera gibt, muss das Alter von den Fachleuten geschätzt werden.

In Hockenheim musste die Beringung der Jungstörche in diesem Jahr ausfallen. Der Grund dafür ist, dass das Nest in der Hauptstraße nur mit der Drehleiter der Feuerwehr erreicht werden kann. Da diese jedoch als Rettungsorganisation zu den systemrelevanten Bereichen gehört, deren Einsatzbereitschaft in der aktuellen Corona-Situation sichergestellt werden muss, weshalb auch immer noch keine Übungen stattfinden dürfen (wir berichteten), konnte die Wehr in diesem Jahr aus Sicherheitsgründen kein Personal zur Verfügung stellten.

Der dänische Lehrer Hans Christian Mortensen hatte übrigens im Jahr 1898 als Erster die Idee, Vögel zu beringen. Er beobachtete Stare und Sperlinge in seiner Umgebung und erhoffte sich, durch die Beringung mehr über die Vögel zu erfahren. Im Jahr 1902 wurde dann auch der erste Storch beringt, und seit dieser Zeit ist es möglich, die Störche in ihren Brutgebieten und auf den Zugwegen zu identifizieren und so ihren Lebenslauf zu erforschen.

Seit 2003 werden in Deutschland die Störche mit dem verbesserten ELSA-Ring (European Laser Signed Advanced Ring) ausgestattet. Das sind schwarze, laserbeschichtete Kunststoffringe mit einem senkrecht stehenden weißen Buchstaben- und Zahlencode darauf. Dieser ist viermal auf dem Ring abgebildet und kann mit einem Fernglas aus einer Entfernung von bis zu etwa 200 Metern abgelesen werden.

Info: Weitere Bilder unter www.schwetzinger-zeitung.de

Altlußheim:

Jungstörche beringt

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Freie Autorin Seit 2001 fotografiere und schreibe ich regelmäßig und gerne als Freie Mitarbeiterin für die Schwetzinger Zeitung. Vor meine Linse und unter meine Feder kommen gerne die Feuerwehr, Tiere, Natur, Kinder, Kirche, Feste, Kultur, mein Heimatort Reilingen und

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