Altlußheim. Eine Region in Angst: An der Landstraße zwischen Altlußheim und Neulußheim finden Kinder Anfang November 1952 die Leiche einer jungen Frau. Bald stellt sich heraus: Sie ist einem Serienmörder zum Opfer gefallen. Der Täter, Bernhard Prigan, wird einige Tage später verhaftet. Der Fall macht weltweit Schlagzeilen. Krimiautorin Gabriele Keiser hat die Geschichte recherchiert, die sie in ihrem neuen Roman verarbeiten wird.
Frau Keiser, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Roman über Bernhard Prigan zu schreiben?
Irgendwann erinnerte ich mich daran, dass die Rede davon war, Anfang der 50er Jahre - vor meiner Geburt - habe auf dem Nachbarhof meiner Eltern ein Serienmörder gelebt.
Wie oder von wem haben Sie erfahren, dass er auf dem Nachbarhof Ihrer Eltern lebte?
Meine Mutter wusste den Namen nicht mehr. Die Nachbarin - damals noch ein Kind - konnte sich jedoch noch sehr gut an den ehemaligen Knecht erinnern, der mit ihrer Familie unter einem Dach wohnte. Das war in der Westpfalz in der Nähe von Kaiserslautern. Obwohl er sich in diesem Sommer 1950 nichts in seiner unmittelbaren Umgebung hatte zuschulden kommen lassen, hat sich ihr dieser Mensch tief eingeprägt. Sie wusste den Namen Berhard Prigan und konnte sich noch genau daran erinnern, wie er aussah, dass er nach einem bestimmten Rasierwasser roch. Und, dass er mit einem Fahrrad unterwegs war.
Sind Mitglieder Ihrer Familie oder Bekannte ihm jemals begegnet?
Leider kann ich meine Eltern nicht mehr fragen, sie sind beide verstorben. Aber soviel ich weiß, hatten sie nichts mit ihm zu tun. Mit meiner damaligen Nachbarin stehe ich noch in Kontakt. Sie hat mir einiges über ihn erzählt und verfolgt mein Vorhaben mit großem Interesse.
Es ist lange her, aber fühlt es sich beunruhigend an, zu wissen, dass ein Serienmörder Ihrer Familie so nahe war?
Ich bin Krimiautorin. Da findet man solche Geschichten hoch interessant. Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wenn dieser Mann meiner Mutter, die damals durchaus in sein Beuteschema passte, näher gekommen wäre, dann würde es mich wahrscheinlich nicht geben.
Was hat Sie an der Geschichte gereizt?
Im Grunde wollte ich eine - fiktive - Geschichte über das damalige Bauernleben schreiben und meine Mutter in den Mittelpunkt stellen. Also, was wäre wenn ... weiterspinnen. Auf ungefährliche Weise. Die Hauptperson ist folglich eine 19-jährige junge Frau namens Linde, die allein mit ihrer Mutter einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. Der Vater ist „im Krieg geblieben“. Man sehnt sich nach einem Mann, der hilft und mit anpackt. Linde verliebt sich in ihn ... Dann kamen noch mehr Personen hinzu, die eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel ein Kaiserslauterer Polizist, Jude, der ins Lager Gurs verbannt wurde, ausbrechen konnte und sich der Résistance anschloss. Oder seine Sekretärin Irene, die dieser Polizist schätzt und die er fördert. Irene ist quasi der städtische Gegenpol zur ländlichen Linde. Insofern kann man sagen, es ist mehr als ein Roman über einen Serienmörder, weil sehr viel Lokalkolorit und Zeitgeschichte darin enthalten ist. Es ist auch die Zeit, als gerade die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft worden war. Als Prigans Morde bekannt wurden, kam die Diskussion um eine erneute Einführung wieder auf. Auch das habe ich im Roman thematisiert.
Ist das Ihr erster Roman über einen Serienmörder?
Das Thema hat mich schon immer gereizt. Ich habe viele Sachbücher gelesen, insbesondere die des deutschen Serienmörder-Experten Stephan Harbort. Auch die Geschichte von Jack Unterweger habe ich intensiv verfolgt. Aspekte davon habe ich immer wieder in meinen Büchern aufgegriffen. Etwa in „Vulkanpark“, das ist ein Roman aus der Franca-Mazzari-Serie, der in der Gegend um Koblenz spielt, wo ich heute wohne. Darin hat es ein Serienmörder auf Kinder abgesehen.
Ab wie vielen Morden gilt jemand in Deutschland als Serienmörder?
In der Regel spricht man ab drei Morden von einem Serienmörder. Das ist allerdings das modernere Wort, früher sprach man eher von „Massenmörder“ – das meint in diesem Fall dasselbe.
Wie nahe bleiben Sie in Ihrem Roman an den Fakten?
Glücklicherweise hat mal als Autorin dichterische Freiheit, die ich in jedem Fall nutze. Im Roman muss man sich – anders als im Sachbuch – nicht an die reinen Fakten halten, aber wenn sie dramaturgisch passen, dann nutze ich sie durchaus. Im Roman heißt Bernhard Prigan zum Beispiel Johannes Margan.
Es gibt nur wenige Informationen über Prigan. Wie haben Sie seinen Fall recherchiert?
Ich habe mich an das baden-Württembergische Landesarchiv in Karlsruhe gewandt, dort war man mir sehr behilflich. Allerdings dürfe man die Original-Akten nicht herausgeben. Einmal aus Datenschutzgründen, aber auch, weil viele von Prigans Opfern minderjährig waren. Jedoch hat man mir Zeitungsartikel über den Fall kopiert, das war genug Material. Außerdem bin ich auf einen dreiteiligen Artikel in der Fach-Zeitschrift „Kriminalistik“ gestoßen: „Der ,Würger‘ Prigan.“ Zwei Polizisten, Peter Lösch und Sepp Beranek, haben viele seiner Fälle zusammengetragen und ausgewertet. Lösch war ein Mannheimer Polizist.
Was haben Sie Neues über ihn herausgefunden?
Sehr vieles, sodass sich langsam ein Bild über diese Person zusammensetzte. Er war intelligent, konnte sich gut ausdrücken, hatte ein phänomenales Gedächtnis und – wie alle Serienmörder – keine Empathie. Außerdem war er Sadist und Narzisst, wies also wirklich viele der Attribute auf, die man gemeinhin einem Serienmörder zuschreibt. Das dazu passt, dass aus einem desolaten Elternhaus kam.
Wann hat sich die Tat bei Altlußheim ereignet?
An der Verbindungsstraße zwischen Neulußheim und Altlußheim fanden spielende Kinder hinter einem Trafohäuschen am 2. November 1952 die übel zugerichtete Leiche der Schneiderin Wilma Sulzer. Unter der Leiche lag eine Papiertüte mit einem Stück Brot, an dem sich rote Fasern befanden. Diese Indizien trugen später unter anderen dazu bei, Prigan zu überführen.
Was ist zum Tatablauf bekannt?
Die junge Frau war mit ihrem Freund beim Tanzen gewesen und hatte ihn danach zum Bahnhof gebracht, da er mit dem Zug nach Schwetzingen fuhr, wo er wohnte. Sie selbst wohnte in Altlußheim. Auf dem Rückweg wurde sie von Prigan überfallen. Er hatte vorher eine Anzahl von Mädchen und Frauen sexuell belästigt. Auch das ist das Kennzeichen eines pathologischen Sadisten: Weil er vorher nicht zum Zuge kam, war er maximal gekränkt. Einige konnten ihn gut beschreiben. Eine Fahndung wurde ausgelöst. Am 6. November 1952 wurde er festgenommen.
Wie viele Taten konnten ihm letztlich zugeordnet werden?
Anfangs hat er alles geleugnet. Nach langwierigen Verhören konnten ihm drei Morde nachgewiesen werden. Und viele Sittlichkeitsdelikte. Noch etwa 130 weitere Fälle konnten Prigan zwar einwandfrei nachgewiesen werden, blieben aber wegen der schon zu erwarteten hohen Strafe in der Anklage unberücksichtigt. Man geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Als er bereits im Gefängnis einsaß, wurde man auf einen vierten Mord im Juli 1951 aufmerksam, der auch ihm zugeschrieben wurde. Ein Unschuldiger war für den „Wyhler Mädchenmord“, wie die Zeitungen schrieben, verantwortlich gemacht worden. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg klärte den Fall auf, Prigan wurde überführt und der unschuldig Inhaftierte freigesprochen.
Lässt sich heute sagen, was ihn zu seinen Taten getrieben hat?
Es ist die alte Geschichte eines misshandelten, vernachlässigten Kindes. Der Vater, ein gewalttätiger versoffener Krimineller, die Mutter ebenfalls kriminell, vorbestraft wegen Kuppelei und gefährlicher Körperverletzung. Mit zwei Jahren kam Bernhard in die Obhut eines begüterten Schuhfabrikanten in der Oberlausitz. Ich zitiere: „Trotz der ausgezeichneten Pflege holte die Mutter ihren Sohn wieder nach Essen zurück, wo er bald restlos verkam. Zerlumpt und voll Ungeziefer kam er nach drei Monaten Aufenthalt wieder zu seinen Pflegeeltern.“ Was ein solches Verhalten in einem Kind bewirkt, wird nach heutigen psychologischen Erkenntnissen derart erklärt, dass er verlässliche Zuwendung nicht hat kennenlernen können. Er selbst sagte, dass seine Verärgerung den Frauen gegenüber durch „Enttäuschungen in der Liebe“ hervorgerufen worden sei und er sich auf gewaltsame Weise das nehmen wollte, was er „auf normalem Wege entbehren musste“.
Die Tochter eines seiner Opfer – in diesem Fall einer Vergewaltigung - hat mit Ihnen Kontakt aufgenommen. Haben Sie die Frau oder vielleicht sogar ihre Mutter persönlich getroffen?
Bis jetzt nicht. Mit der Tochter stehe ich seit Längerem im E-Mail-Kontakt. Sie hat mir sehr ausführlich die Auswirkungen dieser Tat auf sie selbst und ihre Familie geschildert. Die Mutter ist inzwischen 90 Jahre alt.
Wie hat sich die Tat auf diese Frau und ihre Familie ausgewirkt?
Das hat mir die Tochter beschrieben: „Die Tat liegt jetzt schon 74 Jahre zurück und ist immer noch fast jeden Tag präsent. Solches wird im Zuge des momentanen True-Crime-Hypes zu wenig berücksichtigt. Mein Anliegen wäre, dass den Opfern und ihren Familien genauso viel Aufmerksamkeit geschenkt wird wie den Tätern. Ich habe mich schon oft gefragt, was einen Menschen dazu bringt, andere zu quälen und zu ermorden. Im Fall unserer Familie beeinflusst dies tatsächlich schon mehrere Generationen.
Wo hat Prigan noch zugeschlagen außer bei Altlußheim?
Das erste Mal aktenkundig wurde er Anfang 1941, er war bei der Flak, vergewaltigte eine Belgierin und wurde wegen Verdachts der Notzucht angeklagt, aber lediglich wegen Körperverletzung zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Der erste nachgewiesene Mord geschah an der 18-jährigen Hildegard Ö. aus Oberhausen, dann folgte der Mord an der 14-jährigen Renate P. aus Düsseldorf. In beiden Fällen hatte er seine Opfer überfallen und gewürgt. Im Prozess nannte er das „peinliche Fälle“. Er habe keinerlei Tötungsabsicht gehabt, beide hätten noch gelebt, als er gegangen sei. Im Sommer 1951 ereignete sich eine Tat in der Nähe von Andernach, wo ich heute wohne. Ein achtjähriges Mädchen, das am Rhein badete, lockte er ins Gebüsch, wo er sich an ihm verging und dem Kind schwerste Verletzungen beibrachte, sodass es Monate im Krankenhaus lag.
Die Autorin
Wie verarbeiten Sie selbst die Informationen über Einzelheiten der Taten und Fotos, auf die Sie bei Ihren Recherchen stoßen? Belasten Sie diese Eindrücke?
Wenn mich solches belasten würde, würde ich mir das nicht antun. Ich finde es einfach interessant, ein wenig intensiver hinter die Dinge zu schauen. Um herauszufinden, was hat den Menschen angetrieben, solche schlimmen Dinge zu tun - warum hat er manche seiner Opfer umgebracht, manche aber am Leben gelassen. Insbesondere interessieren mich unbekannte Details, wie bei Prigan, dass er seinen Würgegriff bei amerikanischen Catchern abgeschaut hat und seine Finger mit Hartgummikugeln trainierte. Das klingt grausig. Meine damalige Nachbarin bestätigte mir, dass ihre Mutter, die Prigans Wäsche wusch, in seinen Hosentaschen solche Kugeln fand.
Sie arbeiten seit fünf Jahren an dem Roman. Ist das eine normale Dauer oder liegt das an der aufwendigen Recherche?
Normalerweise brauche ich zwei Jahre für einen Roman, der in der Jetztzeit spielt. In diesem Fall liegt es einmal an der aufwendigen Recherche, aber auch an der Tatsache, dass ich über Polizeiarbeit in den 50er-Jahren sehr wenig wusste. Es gibt ein Standardwerk von Hans Kirsch „Sicherheit und Ordnung betreffend. Die Geschichte der Polizei in Kaiserslautern und in der Pfalz 1276-2006“ – über 800 Seiten dick, die wollten nicht nur durchgelesen, sondern durchgearbeitet werden. Dazu habe ich vieles aus den 50er-Jahren gelesen, um ein Gefühl für die Zeit zu bekommen, in der ich groß geworden bin.
Wo wird ihr Roman herausgebracht?
Er wird im Rhein-Mosel-Verlag erscheinen, der Titel steht noch nicht endgültig fest
Haben Sie schon Pläne für ein weiteres Buch?
Als nächstes werde ich mich mit einem weiteren True-Crime-Fall beschäftigen. Kurz nach dem Krieg hat eine Frau aus Ahrweiler ihre beiden Kinder umgebracht. Das ist hier in der Nähe. Hierzu sind vor Kurzem die Akten freigegeben worden. Dann wird man mich wohl eine Zeit lang im Koblenzer Landesarchiv antreffen können.
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