Waghäusel. Das hätte sich der Fürstbischof vor knapp 300 Jahren auch nicht gedacht, dass aus seinem barocken Jagd- und Lustschloss einmal ein vielbeachtetes Museum wird. Heute bietet die Eremitage, ein Kulturdenkmal von europäischem Wert, das Damian Hugo Philipp von Schönborn ab 1724 hat erbauen lassen, ein höchst begehrtes Ambiente insbesondere für Trauungen, Konzerte und Theateraufführungen.
In den vier sogenannten „Ohren“ des Kuppelsaals, jeweils etwa 50 Quadratmeter, ist ein Museum mit regionalgeschichtlichen Akzentsetzungen eingerichtet. Die Räume widmen sich den Themen Eremitage, Zuckerfabrik Waghäusel, Badische Revolution und Naturschutzgebiet Wagbachniederung. Ab 1724 wurde das Schloss als sechzehneckiger Bau mit zunächst acht „Eremiten-Pavillons“ in einem von Mauern umgebenen Wegestern angelegt.
Exponate, Unikate, zumeist in speziellen UV-Vitrinen, Schautafeln, Bilder und Medienstationen zeigen die Vergangenheit: die Eremitage seit den ersten Plänen um 1723, die Zuckerfabrik seit dem Kauf durch die „Zuckerfabrikation“ 1837, das Revolutionsgeschehen um 1848/49 und die Wagbachniederung als 1983 ausgewiesenes europäisches Vogelschutzgebiet. „Ein Ort geschichtlicher Dichte“, so nennt die städtische Kultur-Sachgebietsleiterin Dr. Antje Gillich „ihr“ Museum, dessen überzeugende Konzeption sie zusammen mit einem „Lenkungskreis“ erarbeitet hat. Die vier Ausstellungsbereiche sind übersichtlich gestaltet, informativ gebündelt, verständlich erläutert – und lenken die Blicke auf das Wesentliche.
Die ersten Pläne für die Eremitage stammen von Michael Ludwig Rohrer, Hofbaumeister von Franziska Sibylla Augusta, der Markgräfin von Baden, Witwe des „Türkenlouis“. Um 1732 erfolgte die Ausmalung durch ein Deckenfresko von Giovanni Francesco Marchini, das 1946 einem Brand zum Opfer fiel. Nach der Auflösung des Fürstbistums Speyer 1803 behielt der letzte Fürstbischof Philipp Franz Wilderich bis zu seinem Tod 1810 das Wohnrecht. 1837 erwarb die „Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation“ die Schlossanlage vom badischen Staat und errichtete die Zuckerfabrik. Das Schlösschen diente als Verwaltungssitz und Werkswohnungen. 1969 musste das nordwestliche Kavaliershaus einem Melassetank weichen. In den 1920er Jahren wurde der Hauptbau umfassend erneuert, weitere Sanierungen standen nach dem Übergang an die Stadt an. Zu sehen ist Inventar aus den Anfangszeiten, etwa eine Meißner-Porzellan-Tasse, eine Zahnbürste aus Knochen, eine Tonpfeife oder ein üblicher Nachttopf.
Auszeichnung bei Weltausstellung
Im Großherzogtum Baden wurde 1836 Carl Sebastian Schuzenbach gestattet, sein Verfahren zur Zuckertrocknung und -konservierung in einer Fabrik einzusetzen. 1837 zahlte die „Zuckerfabrikation“ für das Gelände und Gebäude einen Preis von 22 670 Gulden, was etwa 650 000 Euro entspricht. 160 Jahre später kaufte die Stadt das 42 Hektar große Areal der Südzucker AG für eine Deutsche Mark, musste dafür aber in die Sanierung des Schlosses und den Gewerbepark rund 21 Millionen Euro investieren, wofür es teils Bundes- und Landeszuschüsse gab. Im Laufe der vielen Jahrzehnte hatte sich die Fabrik zum größten Industrieunternehmen im Großherzogtum Baden entwickelt. Zeitweise verdienten dort mehr als 1000 Arbeiter ihren Lebensunterhalt. Etliche Exponate beeindrucken, so die Medaillen als Auszeichnung der Zuckerfabrik auf der Weltausstellung 1873 oder der alte Raffinadensack an der Wand.
Zum zentralen Ort der Badischen Revolution 1848/49, des Volksaufstandes und des Kampfes für Freiheit, Bildung und Wohlstand wurde Waghäusel, wo es zur Entscheidungsschlacht kam. Der erbitterte Kampf auf dem Gelände 1849, dem ein Tag zuvor ein Gefecht bei Wiesental vorausgegangen war, läutete letztlich die Niederlage der Freiheitskämpfer ein.
Zu den augenfälligen Exponaten gehört die Grabsteinplatte eines preußischen Hauptmanns, der 1849 in Waghäusel gefallen ist. Lebensgroß fallen die bildlichen Darstellungen der Revolutionäre Amand Goegg, Gustav Struve und Friedrich Hecker aus. Eine thematische Ergänzung ist das Freiheitsdenkmal in der Nähe der Eremitage. Es wurde vom Speyerer Bildhauer Franz-Werner Müller-Steinfurth geschaffen und weitgehend über Spenden finanziert. Die bronzene Statue hat eine Höhe von über drei Metern und zeigt zwei Freischärler.
Obwohl die Wagbachniederung meist den Zusatz Waghäusel führt, befindet sich das Areal auf der Gemarkung von Oberhausen-Rheinhausen. Das Gebiet liegt nördlich der Eremitage in einer uralten Rheinschlinge. Bis zur Aufgabe der Produktion im Jahre 1995 wurde es von der benachbarten Zuckerfabrik für Schlammklär-Ablagerungen genutzt. Derzeit umfasst die Wagbachniederung auf einer Fläche von 225 Hektar eine Vielzahl unterschiedlicher Biotope, so zwei große Wasserflächen, im Flachwasser stehende Schilfbestände, Schlammflächen, Nasswiesen und Riedflächen. Ein Teleskop ermöglicht eine nahe Sichtweise auf die Pflanzen und Tiere im europaweit bedeutsamen Brut- und Rastplatz für heimische und durchziehende, vom Aussterben bedrohte Vogelarten. Seit 1983 ist das Gebiet als Naturschutzgebiet ausgewiesen. In diesem sind besondere Vogelarten zuhause, wie der seltene Eisvogel. Aus den Glasvitrinen schauen der hier ansässige Purpurreiher, sonst nur im Mittelmeerraum beheimatet, die Rohrweihe und das Blaukehlchen.
Wegen der Corona-Pandemie ist das Museum geschlossen, es wird danach wieder am letzten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr öffnen. ws
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