Brühl. Was mag der junge Mann wohl gedacht haben, welche Erwartungen mag er gehegt haben, als er im September 1878 im Dampfzug von Karlsruhe nach Schwetzingen aus dem Fenster schaute? Der 22-jährige Ignaz Hemmerich hat seine Entlassungspapiere vom Militär in der Tasche und ist auf dem Weg in seine Heimatgemeinde Brühl. Er benutzt dafür die Eisenbahnstrecke von Karlsruhe nach Mannheim, auch Rheinbahn oder Rheintalbahn genannt, die acht Jahre vorher ihren Betrieb aufgenommen hat.
Der Brühler Hermann Hemmerich hat noch den Militärpass seines Urgroßvaters Ignaz, in dem die Bahnfahrt vom September 1878 eingetragen ist. Der 61-Jährige, der Ende der 1970er Jahre seine Wehrpflicht beim Bund in Achern in der Ortenau und in Kastellaun im Hunsrück abgeleistet hat, freut sich ganz besonders, dass seine Familie noch so ein seltenes Dokument in ihrem Besitz hat. „Das ist unsere Vergangenheit und unsere Geschichte, an die sollte man sich erinnern“, spricht Hemmerich auch im Namen seiner Brüder Rolf und Johann sowie seiner Cousinen Martina Teske und Margarete Schneider, die weitere alte Fotografien ihr Eigen nennen dürfen.
Der historische Militärpass weist Ignaz Hemmerich, geboren am 11. November 1855 in Brühl, Verwaltungsbezirk Mannheim und Bundesstaat Baden, als Soldaten des Feldartillerie-Regiments Nr. 14 in Karlsruhe aus. Das Heerwesen des deutschen Staates Baden wird bis 1871 als Badische Armee bezeichnet. Im Gegensatz zu Württemberg und Bayern gab das Großherzogtum seine Militärhoheit damals endgültig an Preußen ab. Die Regimenter behielten ihre Standarten und Fahnen. Die Helme zeigten den Greif als badisches Landeswappen, das auch den Militärpass von Ignaz Hemmerich ziert. Kommandant der badischen Truppen war der Großherzog, auch als Dienstherr für Unteroffiziere und Mannschaften. Offiziere dagegen unterstanden per Eid dem preußischen König und deutschen Kaiser.
Baden stellte ein 15 000 Mann starkes Kontingent für das Bundesarmeekorps. Das Feldartillerie-Regiment umfasste ein berittenes und vier Fußbatterien. Die drei Rekrutierungsbezirke waren für Freiburg, Karlsruhe und Mannheim eingeteilt. Als Ignaz Hemmerich ab 1875 Militärdienst tat, gliederte sich das Armeekorps in das Badische Feldartillerie-Regiment Nr. 14, das Badische Feldartillerie-Regiment Nr. 30 und das Feldartillerie-Regiment „Großherzog“. Die Kaserne für das 14. Feldartillerie-Regiment befand sich beim Renaissance-Schloss Gottesaue in der Karlsruher Oststadt.
Zusatzkosten wurden bar erstattet
Nach abgeleisteter treuer Dienstpflicht wird der noch unverheiratete Ignaz Hemmerich am 25. September 1878 entlassen. Orden und Ehrenzeichen hat er keine. Feldzüge hat er keine mitgemacht und auch zum Glück keine Verwundungen erlitten. Unter „Beurlaubungen“ ist einmal Philippsburg eingetragen.
Bei seinem Abgang als Reservist erhält der junge Ignaz „Waffenrock, Hosen, Mütze, Halsbinde, Hemden, Paar Stiefeln“. „Auf dem Marsche nach seinem künftigen Aufenthaltsort Brühl“ darf er die Eisenbahn von „Carlsruhe“ bis Schwetzingen benutzen und hat „sowohl Eisenbahn und Kosten, als auch seine übrigen Bedürfnisse aus seinen ihm diesseits mit 93 Pfennigen behändigten Marsch-Kompetenzen sogleich baar zu bezahlen“. Hemmerich gehört fortan den „Mannschaften des Beurlaubtenstandes“ an, die aus dem aktiven Dienst entlassen worden sind. Er muss aber weiterhin den dienstlichen Befehlen seiner Vorgesetzten und öffentlichen Aufforderungen „unbedingt Folge leisten“. Wenn Hemmerich seinen Aufenthaltsort oder seine Wohnung wechselt, muss er das dem zuständigen „Bezirksfeldwebel“ melden. Im Jahr 1883 tritt der damals 28-Jährige zum „I. Landwehr-Bataillon Bruchsal“ über, weist der alte Militärpass noch aus. Zum Landsturm gehören alle Wehrpflichtigen bis zum vollendeten 45. Lebensjahr.
Ignaz Hemmerich, der noch zwei Brüder in Ketsch gehabt haben soll, arbeitet in seiner Heimatgemeinde als Fuhrmann. Auf seinen Fahrten soll er bis nach Frankreich gekommen sein, berichtet Helga Hemmerich, geborene Schäfer, die Mutter von Hermann Hemmerich. Die Vorfahren von Ignaz Hemmerich, dessen 1968 verstorbener Sohn Hermann als Landwirt in der Hufeisengemeinde gearbeitet hat, sollen im 19. Jahrhundert aus der norditalienischen Po-Ebene nach Baden eingewandert sein, meint die 81-Jährige noch. Genaueres sei aber nicht mehr in Erfahrung zu bringen gewesen.
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