Gemeinderat

Abschied von fossilen Energieträgern in Hockenheim

Von 
Andreas Wühler
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Die Mülldeponie soll mit einer Photovoltaikanlage bestückt werden, Energie für gut 300 Haushalte liefern. Die Idee für den Solarpark ist nur eine von vielen, mit denen Kohle und Gas ersetzt werden sollen. © Lenhardt

Hockenheim. Die Fortschreibung der Kooperationsvereinbarung zum Klimaschutz mit dem Rhein-Neckar-Kreis war nur die Ouvertüre zu einer über zweistündigen Sondersitzung des Gemeinderates, mit der die Verwaltung einen Paradigmenwechsel in der Energieversorgung der Stadt einläutete: weg von den fossilen Brennstoffen, hin zu den regenerativen.

Wie schnell der Wechsel in der Realität vollzogen wird, blieb in der Ratssitzung offen und Oberbürgermeister Marcus Zeitler, Kommunalpolitiker durch und durch, hob mahnend den Zeigefinger: Die Stadt dürfe sich in ihrer Entwicklung nichts verbauen und über allem schwebe die Frage der Finanzierbarkeit. Doch auch Zeitler machte deutlich – die Uhren werden sich nicht zurückstellen lassen. Wo die Rufe der Klimaschützer bisher im Land ungehört verhallten, hat der Krieg in der Ukraine für neue Prioritäten gesorgt: Der Abschied von Kohle und Gas wird zur existenziellen Frage.

Für den Weg zur klimafreundlichen Stadt muss sich der Oberbürgermeister allerdings einen neuen Lotsen suchen – nach etwas mehr als einem halben Jahr hat die frisch angeheuerte Klimamanagerin das Rathaus bereits wieder verlassen. „Sie war zu gut“, berichtete Zeitler von einem Angebot, zu dem die Managerin nicht habe Nein sagen und die Stadt nicht habe mithalten können. Dennoch, „wir fangen nicht bei null an“, sieht der Rathauschef wichtige Vorarbeiten geleistet.

Vor acht Jahren wurde die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Rhein-Neckar-Kreis und den ihm angehörenden Kommunen geschlossen. Durch gemeinsames Handeln sollten die Kräfte gebündelt, die Verwaltungen zum Vorbild für Privatpersonen und Unternehmen werden. Im Vordergrund standen damals die Liegenschaften, und dies durchaus mit Erfolg, wie Zeitler resümiert. Einsparpotenziale wurden gehoben und die energetische Sanierung von Gebäuden stand oben an auf der Agenda. „Nun geht es einen Schritt weiter“, leitete er über zur Fortschreibung der Vereinbarung, in deren Mittelpunkt nun die Verringerung klimaschädlicher Emissionen sowie der Ausbau erneuerbarer Energien und die Reduzierung fossiler Energieträger stehen – „besonders ums Gas müssen wir uns Gedanken machen“, blickt Zeitler auf die weltpolitische Lage.

Ganz klar, so der Oberbürgermeister, „wir sind in einer Vorbildfunktion und müssen daher richtig Geld in die Hand nehmen“. Womit er besonders das Ziel der klimaneutralen Verwaltung meinte. Denn für ihn heißt dies unter anderem – der Fuhrpark muss zur E-Flotte werden, die Mitarbeiter E-Bikes erhalten, Heizen und Beleuchtung neu geschult werden.

Ein wichtiger Eckpfeiler für die Verwaltung, aber auch für die Bürger, wird die Beratung durch die Kliba-Gesellschaft des Rhein-Neckar-Kreises bleiben. Denn, so Zeitler, in den Sanierungsgebieten soll künftig die energetische Sanierung im Vordergrund stehen und dazu bedürfe es neutraler Berater. Eine jährliche CO2-Bilanz, die öffentlich gemacht wird, zählt ebenso zur neuen Vereinbarung wie Netzwerktreffen oder kommunales Energiemanagement.

Kosten bleiben Gretchenfrage

Doch die Gretchenfrage bei allem bleibe: Was kostet es? Weshalb Zeitler den Blick auf einen Passus der Vereinbarung lenkte – „im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten“. Der Gemeinderat hat es also weiterhin selbst in der Hand, wie schnell er den Weg zur Klimaneutralität begehen möchte.

Markus Fuchs (CDU) malte ein Szenario dessen, was der Klimawandel an Katastrophen für das Land bedeute, begrüßte die Fortschreibung der Vereinbarung und konnte es gleichzeitig nicht fassen, dass davon nichts beim Bürger ankomme. Die Autos würden immer größer, die Straßen voller, Kreuzfahrten und Flugreisen alltäglich – niemand zeige Bereitschaft, seinen Lebensstil zu ändern. Als Beispiel nannte Fuchs den umweltfreundlichen Stromtarif der Stadtwerke, der gerade einmal von 450 Kunden genutzt werden. „Von 9500 Kunden – klar an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.“

Auch Gabi Horn legte den Finger in die Wunde: „Die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen benötigt das Dreifache aller heute geplanten Anstrengungen.“ Sie begrüßte die Fortschreibung, die Vorbildfunktion, die der Stadt zukomme und wünschte sich ein autarkes Hockenheim. Dies zu erreichen, habe ihre Fraktion einen Antrag gestellt, in dem konkrete Maßnahmen genannt würden.

Adolf Härdle (Grüne) erinnerte sich noch an die Energie-Karawanne, die vor acht Jahren Station im Rathaus und Werbung fürs Energiesparen machte. Damals sei die Verwaltung den Bürgern gegenüber deutlich in der Mehrzahl gewesen, hofft er nun auf eine Kehrtwende. Ganz wichtig ist ihm die Bürgerbeteiligung, ohne die es nicht gehe und die richtige Balance zwischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Härdle erinnerte an den Antrag der Grünen, einen Sonderausschuss Klima zu gründen.

Ganz oben auf der Prioritätsliste stehen für ihn der Ausbau der Windkraft und der Bau von Photovoltaik-anlagen. Wobei man mit der Windkraft durchaus auch Geld verdienen könne.

Auf den Dächern der Stadt ist noch jede Menge Luft für Photovoltaikanlagen. Ein Schatz, den es zu heben gilt. © Venus

„Klimaschutz ist nicht verhandelbar“, betonte Richard Zwick (SPD) und hatte zugleich seine Zweifel, ob die Stadt ihrer Vorbildfunktion gerecht werde, wenn sie gleichzeitig das Nextbike-Angebot auflöse und beim Netzausba langsam, bürokratisch und schwerfällig erscheine.

Frank Köcher-Hohn (FDP) sprach von einer der größten Herausforderungen, die gleichzeitig eine große Chance biete, wenn man sie richtig behandle. Die Erde zu schützen, sie für kommende Generationen zu bewahren und bis 2040 Klimaneutralität anzustreben seien hehre Ziele, doch hätte er sich klare Definition der kommenden Aufgaben gewünscht.

Kraft der Sonne nutzen

Während der Tagesordnungspunkt über die Fortschreibung der Kooperationsvereinbarung noch mehr deklaratorischen Charakter hatte, ging es beim Punkt „Kommunale Wärmeplanung“ an konkrete Vorgaben. Grundlage der Planung ist, wie Fachbereichsleiter Bauen Christian Engel anführte, eine Novelle des Landes-Klimaschutzgesetzes aus dem vergangenen Jahr. In dieser spielt der Wärmebereich eine zentrale Rolle zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2040. Kommunen mit mehr als 20 000 Einwohnern sind verpflichtet, einen solchen Plan aufzustellen und ständig fortzuschreiben. Dafür gibt es eine Förderung von rund 64 000 Euro bis 2023.

Wichtigster Schritt der Planung ist die Bestandsanalyse, die detailliert den aktuellen Wärmebedarf und -verbrauch aller Gebäude auf der Gemarkung auflisten muss. „Ein erheblicher Aufwand“, fürchtet Engel. Vom Bestand wird in einem zweiten Schritt das Potenzial der Energieeinsparung abgeleitet und letztlich ein Zielszenario definiert. Das Ziel zu erreichen, bedarf es einer Wärmewendestrategie inclusive Maßnahmenkatalog, spricht Engel vom Aufbau einer kompletten Versorgungsstruktur bis 2040, als in 18 Jahren – „ich weiß nicht, ob die Zeit reicht“. Doch Alternative gebe es nicht, dem Gesetz müsse Genüge getan werden.

Letztlich, betonte der Fachbereichsleiter, wird die Wärmeplanung „ganz starken Einfluss auf die Stadtentwicklung haben“, die den Zusatz energetische Entwicklung bekommen müsse. Von einer „Mammutaufgabe“ sprach Zeitler, der dennoch für einen Mittelweg plädierte. Immerhin dürfe beispielsweise das Ziel der Schaffung von Wohnraum nicht aus den Augen verloren werden. Ganz wichtig war ihm jedoch, dass die Gemeinde weiterhin die Entscheidungshoheit behalte.

Wie der Umbau der Energieversorgung vonstattengehen kann, zeigte Thomas Brümmer von der AVR-Energie an konkreten Beispielen auf. Seine Firma, eine hundertprozentige Tochter des Kreises, bezeichnet sich selbst als „Stadtwerk des Kreises“, gedacht für alle Kommunen ohne ein solches. Sein Haus bietet jede Menge Ingenieurwissen, vom Bau von Photovoltaikanlagen bis hin zu komplexen Biomasseheizkraftwerken.

In den Ratssaal hatte er sehr konkrete Pläne mitgebracht, in deren Mittelpunkt die ehemalige Mülldeponie steht, die zu einem Solarpark mit einer installierten Leistung von 1250 kWp werden soll, was einer jährlichen erzeugten Strommenge von rund 1,3 Millionen Kilowattstunden entspricht. Damit lässt sich der Bedarf von gut 300 Haushalten decken. Auf der benachbarten Bauschutt-Deponie ließe sich eine weitere Anlage in gleicher Größe errichten. Die Kosten pro Anlage liegen bei gut 1,3 Millionen Euro. Wie Fuchs später kurz hochrechnete, seien 300 oder beim doppelten Ausbau 600 Haushalte angesichts von 9500 Stromkunden eine kleine Zahl – „hier ist noch viel Luft nach oben.“

Noch Luft nach oben

Die Pläne für den Solarpark, er ist schon seit geraumer Zeit mit der Verwaltung in Verhandlungen, sind weit gediehen, bis Ende 2023 kann die erste Anlage stehen. Weitere Potenziale sieht Brümmer in den Bereichen Solarthermie, Absorptionskälte im Fernwärmenetz, bei der Beleuchtung von Fahrradwegen durch autarke, intelligente LED-Beleuchtung mittels Photovoltaik oder bei der Umstellung von kommunalen Liegenschaften und Gebäuden auf LED. Und natürlich in der Errichtung von Photovoltaikanlagen.

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„Wir waren in den vergangenen sechs, neun Monaten nicht untätig“, fasste Zeitler die Verhandlungen zusammen, die er demnächst in den Ausschüssen zur Vertragsreife entwickeln will. Ganz klar ist – je mehr die Stadt auf Solarenergie setzt, umso schwieriger wird die Situation für die Stadtwerke, die vor einem Transformationsprozess stehen.

Michael Schöllkopf, der Vorsitzende des Vereins Solardrom, sieht in der Kraft der Sonne keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Mittlerweile sei die Abkehr von fossilen Energieträgern auch eine moralische und sicherheitspolitische Notwendigkeit geworden. Die Regierung spreche bei den erneuerbaren Energien gar von einem „überragenden öffentlichen Interesse“. Schöllkopf zeigte dem Rat auf, dass es im Stadtgebiet jede Menge Potenzial für Photovoltaikanlagen gibt, von der Autobahn bis hin zur Feldflur – überall seien die Module vorstellbar.

„Wir wollen heute zeigen, dass das Thema angekommen ist“, fasste Zeitler den Abend zusammen, den er als Impuls, als Startsignal für die kommenden Wochen und Monate sieht. Eine Zukunft ohne Gas und Kohle, auch in den Augen des Oberbürgermeisters stehen die Stadtwerke vor einer schwierigen Zeit. Unabhängig von der Frage, was die Entwicklung für das Aquadrom bedeute, das bisher von den Gewinnen der Stadtwerke lebe. Auch hier werde man eine tragbare Lösung finden müssen.

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