Die Abgesänge hätte man sich sparen können. Wenn eine Rock-Institution mit Malocher-Ehrenkodex wie AC/DC auf Welttournee geht, dann sind sich Angus Young und Co. absolut sicher, dass sie auch liefern können. Da mag die aktuelle Platte "Rock Or Bust" etwas schmalbrüstiger ausgefallen sein als üblich, der aussortierte Kult-Drummer Phil Rudd mit einem halben Bein im Gefängnis stehen und Gründungsmitglied Malcolm Young fehlen, weil er die Rhythmusgitarre an den Nagel hängen musste - all das kann diesem 1973 gegründeten Hardrock-Denkmal nichts anhaben.
Noch besser als 2009
Im Gegenteil: "Wenn ihr wegen Rock 'n' Roll kommt, dann seid ihr hier richtig", brüllt Frontmann Brian Johnson den 105 000 von Beginn an ekastatischen Fans aus allen Altersklassen zu. Und er hat völlig Recht. Denn spätestens beim vierten, euphorisch gefeierten Song "Back In Black", seines Zeichens Titellied der erfolgreichsten Rock-Platte aller Zeiten, ist klar: AC/DC sind an diesem Abend tatsächlich eher besser sortiert als vor sechs Jahren. Der brüllend laute Sound ist differenzierter, auch wenn Delay-Effekte irritieren. Der mit "Angus, Angus"-Rufen gefeierte Leadgitarrist spielt konzentriert mit mehr Plektrum-Einsatz auf den Punkt. Und der über die gesamten zwei Stunden konstant präsente Brian Johnson lässt das Konzept Rente mit 67 gnadenlos alt aussehen.
Der Rock-Shouter presst seine Töne zwar immer noch so brutal nach oben, dass er oft klingt wie ein Transformer, der sich die Stimmbänder mit der Stahlbürste abschrubbt. Aber Songs wie "Dirty Deeds Done Dirt Cheap" oder "You Shook Me All Night Long" interpretiert er mit ungeahnten Anflügen von Finesse. Sein Vorgänger - und Fan - Bon Scott wäre an diesem Abend stolz auf den von vielen altgedienten AC/DC-Fans immer noch ungeliebten Kraftprotz.
Dass das Quintett auch tighter, also kompakter, klingt, als bei der letzten Tour hat auch mit den Neuzugängen zu tun, die eigentlich alte Hasen sind: Nur puristische Experten dürften den lässig-präzisen Stil von Phil Rudd am Schlagzeug vermissen. Der Waliser Chris Slade, der schon von 1989 bis 1994 für die Australier die Trommelfelle gerbte, bringt mit seiner vielfältigen Erfahrung von Manfred Mann bis Asia noch etwas mehr Dynamik ins Spiel - und eine wahnsinnige Energie, die man bis in die letzten Reihen dieses gigantischen Open-Airs spürt. Von seinen 68 Jahren spürt man dagegen gar nichts.
Stevie Young, ein Neffe von Angus und mit zarten 58 neuerdings das Nesthäkchen der Band, gehört klar erkennbar zur Familie: Sein kraftstrotzendes, exzellent getimtes Spiel erdet zusammen mit Cliff Williams' Bass den Sound und ergänzt die wild solierende Lead-Gitarre so kongenial, wie man das gewohnt ist.
Sogar die glänzenden US-Bluesrocker Vintage Trouble finden Gnade vor den Ohren der Fans, die in Hockenheim schon Größen wie Buddy Guy oder den Toten Hosen im Vorprogramm von AC/DC ein regelrechtes Waterloo bereitet hatten. Dass sie mit "The Thrill Is Gone" der verstorbenen Legende B.B. King - und damit den Wurzeln aller Rockmusik - die Ehre erwiesen, kommt sehr gut an.
Pausen zwischen den Songs
Nur bei der neuen Nummer "Play Ball" läuft die Taktung dieses explosiven Fünfzylinders unrund, ohne dass er ganz an die Wand fährt. Und ein Zugeständnis an das Alter macht dieses Rock-Kraftwerk doch: Pausen zwischen den Songs, die früher im Hammer-und Amboss-Stakkato von der Bühne prasselten. Wobei auch das kein Novum für AC/DC auf dem Hockenheimring ist: Als sie 2003 als Vorgruppe den Rolling Stones halfen, auf die erträgliche Zuschauerzahl von 65 000 zu kommen, bremsten sie zwischendurch auch demonstrativ ab, um die britischen Kollegen nicht durch die Wand zu spielen.
Dass AC/DC gleich drei Stücke vom aktuellen Album (plus "Rock 'n' Roll Train" vom Vorgänger) spielen, erlebt man dagegen nicht oft: Das tragende Riff von "Baptism By Fire" reißt live überraschend heftig mit. Der Tour-Titelsong "Rock Or Bust" überzeugt gleich zu Beginn, wird aber überstrahlt von der monumentalen Intro-Show. Sie zeigt auf der riesigen Leinwand die erste Mondlandung. Nur dass die Astronauten hier in einem Krater eine Art AC/DC-Vulkan entdecken, der prompt eruptiert, wie ein Geschoss durchs All zur Erde rast, auf der gehörnten, in allen Farben glühenden Bühne einschlägt und sie buchstäblich in Brand setzt. Aber Houston hat hier kein Problem, dass harter Rock nicht lösen könnte.
All das und selbst das fulminante "Hells Bells" verblassen vor der Wucht der unheiligen Song-Dreifaltigkeit am Ende des Hauptprogramms: Schon mit "T.N.T." sorgen AC/DC bis auf den letzten Platz unter dem Tribünendach für Ausnahmezustand. "Whole Lotta Rosie" ist ein vor Testosteron strotzendes Stück Hochleistungssport, nur noch getoppt von "Let There Be Rock". Aus diesem Epos macht der gerade 60 gewordene Angus Young eine wahre Gitarren-Olympiade, auch wenn die Version dieses Mal "nur" 15 Minuten dauert. Die erste Zugabe "Highway To Hell" treibt das Spektakel auf die Spitze, bevor "For Those About To Rock" mit buchstäblichem Kanonendonner und Feuerwerk den traditionellen Schlusspunkt setzt. "Hockenheim, we salute you", brüllt Johnson zum Abschied. Danke, gleichfalls - und Respekt! So kann's noch lange weitergehen . . .
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