"Glaubt mir, ihr braucht eure Sonnenbrillen nicht mehr", ruft Felix Brummer den rund 14 000 vom Regen durchnässten Fans zu, damit sie beim Song "Randale" alle Coolness ablegen und für einen zünftigen Abriss beim überschaubar gut besuchten dritten Rock-'n'-Heim-Festival auf dem Hockenheimring sorgen. Fast punktgenau zum Auftritt seiner Band Kraftklub hatte sich der Hochsommer verabschiedet - das hindert niemanden daran, die für diese Band typische Party zu feiern.
Wenn die Zuschauer freiwillig im Regen tanzen, dann haben die fünf Jungs aus Chemnitz viel richtig gemacht. Sie bringen die Masse zum Schwitzen. Wärme von innen sozusagen. Spätestens, als Rampensau Felix Brummer "Hey Randale, hey hey Randale" schreit, ist Eskalation angesagt. Die Indie-Rocker mit selbstironischem Sprechgesang sind einfach nicht mehr aus der deutschen Festivallandschaft wegzudenken. Dass sie von Rock am Ring bis Chiemsee Summer fast überall vertreten waren, ist trotzdem nicht spürbar. Ihre geballte Energie bei Songs wie "Karl-Marx-Stadt" ist stark wie eh und je - und so unverbraucht, als wäre es ihr erster großer Auftritt. Man spürt den Spaß, den sie haben, und der überträgt sich auf das Publikum.
Farin Urlaub feiert "Sau am Spieß"
Unter den zunehmend kühleren Bedingungen ist es erstaunlich, wie gut auch der sonnige, Ska-basierte Sound des Farin Urlaub Racing Teams (FURT) funktioniert. Das Big-Band-artig besetzte Soloprojekt des Ärzte-Sängers und -Gitarristen beeindruckt mit extrem ausgefeilten Arrangements, die ein Schlaglicht darauf werfen, wie exzellent der Sound bei diesem nasskalten Open Air ist. Jedenfalls transportiert er die mehrstimmigen Choreinlagen der Background-Sängerinnen genau so differenziert wie die druckvollen Bläsersätze, die quasi von Lokalmatadoren kommen: Zumindest Saxofonist Hans-Jörg Fischer, Trompeter Reinhard Appich und Posaunist Robert Solomon Göhring waren oder sind Mitglieder der deutschen Ska-Institution The Busters aus Wiesloch.
Das Stil-Spektrum reicht dabei von einer Art Samba-Rock ("Ich gehöre nicht dazu") über eine Volksmusik-Einlage mit "Rob" Solomons wuchtiger Tuba bei der Mitspringnummer "Zehn" bis zu handfesten Metal-Einlagen. Dabei legt FURT-Drummerin Rachel Rep los, als wolle sie künftig für Slayer arbeiten. Da lassen auch hartgesottene Headbanger den Schädel kreisen - und amüsieren sich köstlich, über den Humor des Hauptdarstellers, der aus dem Namen eines Imbissstandes kurzerhand einen Rap-Refrain und damit den Running-Gag des Abends kreiert: "Sau am Spieß" ist auch einfach eine Hit-Zeile. Komisch, dass das den Hip-Hop-Anarchos von K.I.Z. am Nachmittag nicht aufgefallen war. Am Ende bleibt aber der Refrain von "Glücklich" stehen: "Es ist egal, was du bist, Hauptsache, es macht dich glücklich." Im Fall von Rock'n'Heim scheint das auch für nass zu gelten.
Dann ist Warten auf die Hauptattraktion angesagt: Linkin Park. Die Pioniere des Crossover-Genres Nu Metal dehnen ihre Umbaupause auf fast eine Stunde aus, man sieht sofort, warum: Ihre Show setzt auch auf der Leinwand Maßstäbe, mit Landschaften, Szenarien und monströsen Gestalten wie aus einem aufwendigen Fantasy-Blockbuster. Der Opener "Papercut" punktet mit kompromissloser Härte, aber Sänger, Shouter und Rapper Chester Bennington hat ein viel breiteres Spektrum als aggressives Kreischen zu Liedern vom Rand des Abgrunds der menschlichen Existenz. Bei "A Line in the Sand" sorgt sein A-cappella-Intro für Gänsehaut-Atmosphäre, bevor es wieder hart zur Sache geht.
Das hymnische Element nimmt zwischendurch allerdings etwas Überhand, und nicht jede technoide Quasi-Rave-Einlage, die im Formatradio funktioniert, reißt live jedermann mit. Überhaupt kocht die Stimmung bei Linkin Park nur direkt vor der Bühne richtig über. Aber spätestens als Co-Frontmann Mike Shinoda zwei Songs seines Rap-Projekts Fort Minor abfeuert und sich starke Nummern wie "Numb", "Faint" und das grandiose Finale "Bleed it out" aneinanderreihen, scheint auch hier die Sonne in der Nacht.
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