Hockenheim. Traditionsreiche Läden wie etwa „Radio Paul“ schließen, hier und da sind Leerstände nicht zu übersehen und jetzt auch noch Corona – eine große Belastungsprobe für den Handel, der sich trotzdem noch vital und schlagkräftig zeigt. Denn die Händler in Hockenheim machen das Beste aus der Situation. Und es gibt auch Positives, denn seit Anfang des Monats durften Friseure und Blumenläden wieder öffnen. Ab diesem Montag dürfen im Rhein-Neckar-Kreis wieder alle Einzelhändler mit Einschränkungen öffnen.
In den vergangenen Monaten blieb aber oft nur der Handel über das Internet. Auch „Click & Collect“ und „Click & Meet“ wurden angeboten: Bestellangebote an die Kunden inklusive Abholung oder Lieferung der Ware beziehungsweise ein ganz persönliches Einkaufserlebnis, bei dem man Geschäft und Verkäufer für einen gewissen Zeitraum für sich alleine hat. Doch hat das funktioniert? Darüber sprachen wir mit Gewerbetreibenden – und es ergab sich ein sehr durchwachsenes Bild.
„Endlich wieder ein Stück Normalität“, freut sich Anette Herm-Offenloch vom „Blumenkorb“. Liebevoll schweift ihr Blick über die blühende Pracht in ihrem traditionsreichen Blumenladen in der Hirschstraße. „Click & Collect“ wäre nicht so gut gelaufen, aber seit sie am 1. März wieder öffnen konnte, wenn auch unter den bekannten strengen Hygieneauflagen, hätte sie festgestellt: „Die Kunden halten sich alle an die Auflagen, sie tragen den Mund-Nase-Schutz, desinfizieren die Hände, halten Abstand und sind wahnsinnig nett, da muss ich ein großes Lob aussprechen.“ Allerdings hätte sie auch von Problemen gehört, die es anderswo geben würde, ohne konkret zu werden. Der Kontakt zu den Kunden wäre bei ihr jedoch trotz geschlossenem Laden immer vorhanden gewesen: „Wir haben Obst und Gemüse verkauft, was die ganze Zeit erlaubt war.“ Auch ihr Kollege Michael Heinzmann von Heinzmann Floristik freut sich über die Öffnung: „Die Kunden finden es toll. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen, ich habe so viel zu tun“, sagt er am Telefon. Die Nachfrage sei sehr groß.
Schreibwaren abgehängt
Mitarbeiter Raphael Förderer vom „HandyDrom“, einem Handyshop in der Unteren Hauptstraße, betont: „Wir bieten auch Service und Reparatur an, das geht schon die ganze Zeit. Da dürfen die Kunden mit einem Termin kommen. Aber Handyverträge sind Vertrauenssache und sollten persönlich besprochen werden.“ Er ergänzt: „Die Beratung geht zur Not auch am Telefon, aber spätestens beim Zusenden von Dokumenten sind besonders konservative Kunden vorsichtig. Dann lieber mit Termin. Wir haben viele Kundentermine ‚auf Halde‘, würden wir jetzt komplett öffnen können, wäre der Laden voll.“ Alexandra Schrank, die Ehefrau von Matthias Filbert, dem Inhaber des Schreibwarenladens, ist heilfroh: „Das ist wirklich befreiend. Im Dezember mussten wir die Schreibwaren abhängen, seit Januar dürfen wir wieder verkaufen und wir haben ja noch den Postshop dabei.“ Auf die Frage, ob die Zeit schwierig für sie sei, antwortet sie: „Es ist kein Zuckerschlecken, wir haben hart zu kämpfen, gerade einen Umzug hinter uns, die Kosten davon wiegen noch schwer.“
„Feste finden keine statt und große Firmen ordern weniger. Das sorgt für viel weniger Umsatz“, so Norbert Gaa vom gleichnamigen Getränkefachmarkt. Aber etwas ausgleichen könne er die Verluste dank mehr Verkauf an Privatkunden: „Bei uns sind nie viele Leute gleichzeitig im Laden. Hier kaufen sie sicherer ein und für sie ist es von der Handhabung einfacher, zum Beispiel mit dem Leergut. Zum Glück haben wir keine riesigen Verluste. Aber durch mehr Einzelkunden ist der Aufwand für uns höher, weil wir viel Service bieten. Wir überleben. Aber ich hoffe, dass man bald wieder ‚frei schnaufen‘ kann.“
Schon vor einem Jahr auf die Krise reagiert hat Geneviève Gansler, Leiterin der Buchhandlung Gansler: „Noch am ersten Tag des ersten Lockdowns bin ich aufs Rad gestiegen und habe Bücher ausgeliefert.“ Stolz präsentiert sie den blauen Metallkasten vor ihrem Geschäft: „Den haben wir schon lange, zur kontaktlosen Übergabe der Bücher. Die Kunden werden telefonisch beraten und können ihre Bestellungen dann dank eines zugeschickten Zahlencodes aus den elektronisch gesicherten Fächern holen.“ Kunden durften bislang allerdings keine in den Laden kommen. „Wir haben immer wieder total süße Anrufe von Omas, die für die Enkel Überraschungs-Buchpakete bestellen, die wir dann ausliefern, ohne dass die das vorher wissen. ‚Click & Collect‘ funktioniert bei uns sehr gut. Die Leute freuen sich, wir haben eine ganze Wand mit Dankesbriefen, vor allem von Kindern“, sagt sie.
Manches kostet jetzt das Doppelte
„Die Lieferketten sind zu Beginn der Coronakrise zusammengebrochen“, sagt Frank Blaser von TTH – Print & Office Solutions, der Drucker, Tinte und Toner verkauft. „Seitdem sind Drucker wie Klopapier, es gibt kaum welche und die Einkaufspreise sind enorm gestiegen, wodurch die Verkaufspreise für den Kunden ebenfalls in die Höhe geschnellt sind. Manche sogar um das Doppelte.“ Da er neben dem Ladengeschäft eher Industriekunden beliefere, hätte sich der Verkauf bei ihm nur verschoben. Auffällig sei gewesen, dass Firmen, die zum Jahresende normalerweise noch „Gelder herausballerten“, dies 2020 nicht gemacht hätten. „Die Event-, Gastro- und Reisebranchen hat es besonders hart getroffen. Sobald die Insolvenzanzeigepflicht wieder kommt, darf man gespannt sein“, ahnt Frank Blaser. Gewinner seien die Handwerker: „Da brummt es gewaltig. Ich wollte einen Termin mit einem Heizungsbauer machen. Der sagte mir, er kann mir den nächsten erst im November anbieten. Frühestens.“
Marion Lasetzky von der Firma Herzer, die das Geschäft seit Anfang Februar übernommen hat, berichtet erleichtert: „Wir verkaufen Grills, Zubehör und Modelleisenbahnbedarf. Das läuft sehr gut. Die Leute waren letztes Jahr viel mehr zuhause und haben viel gegrillt und an ihren Eisenbahnanlagen gebaut. Es war Wahnsinn, wie groß der Bedarf war.“ Online laufe es gut, in Hockenheim würden sie alles selbst ausliefern.
Juwelier Edgar Zahn zeigt auf die Absperrung des Durchgangs zwischen seinem Geschäft und dem angrenzenden Optikerladen seines Sohnes. „Da darf gerade keiner durch. Optiker gelten als systemrelevant, wir nicht. Sicher wären die Kunden auf beiden Seiten des Bandes. Das verstehe wer will.“ „Click & Collect“ laufe sehr schlecht. Würde jemand an die Scheibe klopfen, weil ihm ein Schmuckstück gefiele, so ließe er ihn rein. „Alle sind sehr gewissenhaft. Mund-Nase-Schutz, Abstand und Desinfektion sind da selbstverständlich“, berichtet er. Kein Verständnis habe er für die Ungleichbehandlung mit den Großen: „Der Globus hat eine Schmuckabteilung, auch wenn deren Programm sich eher weniger mit unserem überschneidet. Dort ist das aber kein Problem. Und uns wird es schwer gemacht.“
„Die Innenstadt wird gefühlt immer kleiner – Talhaus größer“, äußert sich Eyleen Zahn-Becker von Optik Zahn. „Man macht sich Sorgen um das Angebot in der Innenstadt. Aber immerhin durften wir auflassen.“ So manches Reisebüro habe aber schon die Türen geschlossen oder zumindest die Betriebsstätte in der Innenstadt aufgeben.
Zu ehrlich gewesen?
Silke Ruder hat das Autohaus Ruder zum April 2020 übernommen. Sie äußert sich besorgt: „Wenn es noch ein paar Monate so weitergeht wie in diesem Januar, habe ich ein dickes Problem.“ Das Geld würde bei den Kunden spürbar nicht mehr so locker sitzen. „Die Leute sparen sogar an der Inspektion ihres Fahrzeugs. Viele sind in Kurzarbeit. Wir haben auch eine Werkstatt und das merken wir dort besonders deutlich“, betont sie. Im vergangenen Jahr sei es zwischen den Lockdowns, als sie wieder öffnen durften, erfreulicherweise richtig gut gelaufen. „Wir hatten Corona-Hilfe bekommen. Als es dann gut lief, sicher auch unterstützt von der damaligen Mehrwertsteuer-Senkung, und wir keine Liquiditätsprobleme mehr hatten, haben wir das Geld zurückbezahlt. Ich dachte, dass andere Händler es besser gebrauchen könnten. Eventuell war ich mit der Rückzahlung zu ehrlich“, sagt sie und ergänzt wütend: „Jetzt geht es uns nicht gut, wir könnten Hilfen gebrauchen, aber wir bekommen gar nichts, weil ich das Haus noch kein Jahr übernommen habe. Keine Ahnung, wer sich diese Regeln ausgedacht hat, aber es gibt uns schon über 40 Jahre und es arbeiten 25 Mitarbeiter hier, für deren Arbeitsplätze ich verantwortlich bin.“ Kein Kunde durfte bislang in die Verkaufsräume, so dass bisher alles kontaktlos vonstattengegangen sei: „Will jemand ein Auto anschauen, bereiten wir es vor, schließen es auf, dann kommt der Kunde und sieht es sich alleine an. Danach wird telefoniert. Richtige Beratung funktioniert so kaum, ein Angebot über Whatsapp mit Videofunktion beim Besichtigen der Autos dabei zu sein, wurde nicht gut angenommen“, so die Geschäftsführerin. Nun dürfe sie zum Glück wieder einen Kunden pro 40 Quadratmeter hereinlassen.
Taner Togan von „Elvin‘s Schreib- und Spielwaren“ ist sauer: „Mir fehlen viele Einnahmen, ich habe zwei Mitarbeiterinnen, eine davon alleinerziehend. Das Kurzarbeitergeld stocke ich freiwillig auf 100 Prozent auf, obwohl die wirtschaftliche Situation für mich furchtbar ist. Das Ordnungsamt war oft hier. Sie sagten mir am 16. Dezember, ich müsse die Schreibwaren abdecken. Ich durfte sie erst Mitte Februar wieder anbieten, Zeitungen und Zigaretten waren davor erlaubt. Ich sah, dass andere früher wieder verkaufen durften. Ich habe verzweifelt den Text der gesetzlichen Regelung ans Ordnungsamt geschickt, den ich gelesen hatte. Erst da durfte ich wieder alles anbieten. Ich bin stinksauer“, erzählt Togan.
Das alles habe große Verluste gebracht. Im Globus sei das alles kein Problem. „Das verstehe ich nicht“, erhebt der Ladenbesitzer schwere Vorwürfe und ergänzt: „Ich erwäge zu klagen, auf Schadensersatz, auch wenn ich ungern in meiner Heimatstadt vor Gericht ziehen würde. Ich glaube, die haben auf dem Amt die Verordnungen gar nicht gelesen, das musste ich erst selbst machen.“
Auch hätte Togan aus wichtigem Grund in die Türkei reisen müssen. Ihm sei zugesichert worden, dass er danach nicht in Quarantäne müsse, wenn er einen negativen Coronatest vorweisen könne, was der Fall gewesen sei. Trotzdem hätte er nicht arbeiten dürfen. „Das Ordnungsamt hat oft kontrolliert. An einem Tag sogar drei Mal in einer Stunde. Das haben sie dann bestritten. Aber ich habe es auf Kamera.“ Oberbürgermeister Marcus Zeitler würde er sehr schätzen, aber mit einigen Mitarbeitern des Ordnungsamtes hätte er große Probleme.
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