Konzert - Pop-Superstar benötigt keine Band, um das Massenpublikum im gigantischen Motodrom in seinen Bann zu ziehen / Die größten Auftritte seiner Karriere

Faszinierender Alleingang mit Mega-Chor

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Kleiner Mann ganz groß: Ed Sheeran braucht außer Gitarre, Mikrofon und Loop Station nichts, um 100 000 Zuschauer in Stimmung zu bringen. © Rinderspacher

Am Ende eines Regenbogens soll ja ein Topf Gold zu finden sein. Wer das schillernde Wetterphänomen am Samstag im Stau vor Ed Sheerans erstem Open Air auf dem Hockenheimring bewundern kann, erlebt am Ende der Reise etwas ähnlich Wertvolles: ein faszinierendes, einzigartiges Popkonzert. Der Hockenheimring hat schon viel gigantischere Bühnen gesehen und einige (noch) größere Namen als Ed Sheeran. Aber noch nie hat ein Musiker sich vollkommen allein in das mit 100 000 Zuschauern gefüllte Motodrom gestellt. Er betritt die Bühne, stimmt den Folk-Song „Castle On The Hill“ an und strapaziöse Anreise, Regen oder sonstiger Alltagsärger verflüchtigen sich beim ersten Akkord. Und mit welcher Selbstverständlichkeit der 28-Jährige ein Publikum aller Altersklassen total in seinen Bann zieht, ist nahezu unglaublich.

Wie ein Straßenmusiker

Vor allem, weil das gigantische Areal der Rennstrecke oft nur für wuchtige Rock-Acts funktioniert – AC/DC, die Stones, früher Genesis oder Pink Floyd. Pop-Giganten wie Michael Jackson oder Tina Turner konnten dort auch überzeugen, aber selbst ein Robbie Williams bei seinem Doppelpack 2006 trotz extrem effektreichen Shows eher weniger.

Dann kommt da dieser rothaarige Kumpeltyp mit Jeans, rotem Shirt, als sichtbarem Instrument nur einer Akustikklampfe – und fesselt die Aufmerksamkeit der 100 000 Zuschauer fast zwei Stunden lang, als wäre es ein Kinderspiel. Und das bis unter die Tribünendächer, von wo aus der Hauptdarsteller gerade mal so groß aussieht wie eine Fingerkuppe – und zwar die vom kleinen Finger. Das eigentlich unwirkliche Szenario wirkt, als habe sich nahezu die ganze Stadt Heidelberg um einen Straßenmusiker versammelt, um ihm zu Füßen zu liegen. Damit kommt man dem Geheimnis des gelernten Straßenmusikers Ed Sheeran auf die Spur. Denn seine Wirkung resultiert nicht allein aus der unfassbaren Zahl von Hits, die er seit seinem Durchbruch 2011 wie ein Popkönig Midas am Fließband produziert hat (er muss sogar Medleys mit Kurzfassungen spielen, damit nicht allzu viel fehlt). Die kennt zwar fast jeder aus Dauereinsätzen im Radio, aber live verleiht die Ein-Mann-Show ihnen eine ganz andere Wucht und Dynamik.

Vor allem gesanglich, weil Sheeran alle Spielarten des Folk, Rock, Pop, Soul bis zum Falsett, Rap und natürlich das Balladenfach beherrscht. Seinen Gesang, wuchtig auf der Gitarre mitgeschlagene Rhythmen und Melodien reproduziert er – aus der Distanz kaum noch ersichtlich – auf einer Loop Station. Das heißt, er nimmt sich selbst live auf und collagiert daraus Chöre und einen kompakten, mitreißenden Sound. Und das so perfekt, dass niemand eine Band vermisst – nicht mal die eigentlich unerlässliche Rhythmussektion aus Schlagzeug und Bass. Dass Sheeran dabei kaum einmal innehalten muss, während er weiter singt und spielt, hat etwas „X-Men“-haftes, als hätte dieser Weltklasse-Alleinunterhalter zwei bis vier Gehirne. Am auffälligsten ist die größere Durchschlagskraft der Live-Versionen beim aktuellsten Hit „I Don’t Care“, eigentlich ein Duett mit Justin Bieber. An dem Vorboten des für 12. Juli angekündigten Albums „No.6 Collaborations Project“ ist musikalisch relativ wenig dran, eine auf US-Geschmack gedrillte Hochglanzproduktion. Mit unverkünstelter, leicht angerauter Stimme und schwungvollen Folkgitarren-Breitseiten kann die Nummer mit Sheerans restlicher Hitparade mithalten.

Natürlich ist es der beeindruckendste von mehreren Gänsehautmomenten, wenn ein perfekter Popsong wie die Ballade „Perfect“ von Zehntausenden Lichtern und einem monumentalen, aber mega-sensibel einsetzenden Publikumschor begleitet wird. Vom Dauerbrenner „Shape Of You“ in der Zugabe nicht zu reden. Aber das Unglaublichste an diesem Auftritt ist, dass Sheeran auch in dieser Dimension ganz intime, leise Passagen schaffen kann, bei denen man nicht einen Mucks von 100 000 Fans hört. „Deshalb liebe ich Deutschland“, sagt der Hauptdarsteller dazu und strahlt.

Imponierende Intimität

Das ist kein Entertainer-Blabla, sondern der Superstar begründet das mehrfach plausibel. Unter anderem weil das deutsche Publikum anders als in England an leisen Stellen intensiv zuhört, statt lautstark Bier holen zu gehen. Die Beweisführung beeindruckt beim fast tempolosen „Tenerife Sea“ noch mehr als beim berührenden Medley aus dem Traditional „Poor Wayfaring Stranger“ und dem „Hobbit“-Soundtrack-Beitrag „I See Fire“. Beispiellos. Wie überhaupt das ganze Setting mit nur einem Musiker, der seit Tourbeginn im März 2017 viel kommunikativer und ja, auch deutlich routinierter auftritt, aber ohne seine bodenständige Nahbarkeit zu verlieren.

Die Songliste

  • Hauptteil: 1. Castle On The Hill (2017), 2. Eraser (2017), 3. The A Team (2011), 4. Don’t (2014) / New Man (2017, 5. Dive (2017), 6. Bloodstream (2014), 7. I Don’t Care (2019), 8. Tenerife Sea (2014), 9. Medley vom Debütalbum (2011): Lego House / Kiss Me / Give Me Love, 10. Galway Girl (2017), 11. Medley: Poor Wayfaring Stranger (Traditional, Sheeran-Version 2011) / I See Fire (2013), 12. Thinking Out Loud (2014), 13. Photograph (2014), 14. Perfect (2017), 15. Nancy Mulligan (2018), 16. Sing (2014).
  • Zugabe: Shape Of You (2017), 18.You Need Me, I Don’t Need You (2011).

Vorprogramm voller Abwechslung



  • Das Vorprogramm auf dem Ring zäumt das Pferd von hinten auf: Wo der britische Star James Bay mit seinem Hit „Hold Back The River“ direkt vor Ed Sheeran mit sachter Stimme für melodisch erhabene Momente sorgt, hat Chartsstürmerin Zara Larsson zuvor noch tüchtig die Fetzen fliegen lassen. In eine silberne Flitterrobe gewandet und mit tonalem Pomp legt die junge Schwedin samt Band und Tänzerinnen ein Set auf die gigantisch anmutende Karussell-Bühne, als ginge es um ihr eigenes Schicksal.
  • Was man durchaus auch vokal zu spüren bekommt. Die Rap-Passagen im Hit „It Ain’t My Fault“ meistert sie zwar druckvoll, aber gerade in den Höhen hängt sie ihrem Nachfolger Bay deutlich hinterher. Was dem Briten dann doch wieder folgerichtig zur Position vor Sheeran verhilft: Er baut die thematische Brücke zwischen Imposanz und Fragilität mit einer Reinheit, die besticht. 
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