„Faire Woche“

Frank Herrmann redet in Hockenheim über Kleidung „Made in Hell“

Betriebswirt und Autor Frank Herrmann deckt mit seinem Vortrag „Ultra Fast Fashion“ erschreckende Zustände in der weltweiten Textilindustrie auf

Von 
Henrik Feth
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Gebrauchte Kleidungsstücke wie hier in der Atacama-Wüste liegen bergeweise in den unterschiedlichsten Regionen der Welt. © Cossio/dpa

Hockenheim. Todesopfer, Löhne jenseits des Existenzminimums, erheblich einschneidende ökologische Belastung oder schonungslose Ausbeutung Schwächerer: Dies sind nur einige der schockierenden Facetten, die die weltweite Produktion von Kleidung mit sich bringt. Der Betriebswirt und Journalist Frank Herrmann (Foto) zeigt in seinem von der Steuerungsgruppe „Fairtrade“ der Lokalen Agenda organisierten Vortrag knallhart die Schattenseiten der Globalisierung und des Kapitalismus auf.

Als zweite Veranstaltung der „Fairen Woche“ kam Herrmann mit seiner Präsentation „Ultra Fast Fashion“ in die Hockenheimer Zehntscheune und gab den Besuchern einigen Stoff zum Nachdenken mit auf den Weg. Die Gier und der Wachstumswahn großer Bekleidungsunternehmen belastet zunehmend die Umwelt und ist von einer Ausbeutungsphilosophie geprägt, die ihresgleichen sucht.

20 Jahre lang lebte Herrmann in Südamerika und hat dort „Armut über einen langen Zeitraum“ beobachten können. Eine Armut, die von den Großkonzernen des Westens mit zu verantworten ist.

Doch zunächst muss der Herstellungsprozess von Kleidung genauer betrachtet werden. Längst haben sich die Modeunternehmen von einem klassischen Standort verabschiedet und verlagern einzelne Produktionsschritte jeweils in das Land, das die günstigsten Bedingungen bietet. So kann es vorkommen, dass ein Shirt einmal um die ganze Welt gereist ist, bevor es beim Endabnehmer in Deutschland landet.

Die CO2-Belastung solcher Prozesse ist mittlerweile in einen unvorstellbaren Bereich vorgedrungen: Die Textilindustrie verursacht bis zu 1,7 Milliarden Tonnen CO2 jährlich, Tendenz steigend. Damit liegt sie noch vor Branchen wie dem Tourismus oder dem Schiffsverkehr. Zudem wird die Umwelt durch über 30 bei der Produktion verwendete Chemikalien belastet. Die gedankenlose Auswahl der produzierten Stoffe kommt noch hinzu: Es gibt kaum noch Kleidungsstücke, die kein Polyester enthalten. Diese verlieren mit jedem Waschgang Mikroplastik, das letztendlich im Meer landet.

Sterben für unsere Mode

Doch auch von der humanistischen Seite triumphiert die Gewinnmaximierung über die Moral. Katastrophen in Produktionsstätten wie der Kik-Brand in Karatschi 20212 oder der Gebäudeeinsturz in Rana Plaza 2013 forderten viele Todesopfer. „Diese Menschen sind für unsere Mode gestorben“, hält Herrmann fest.

Nicht nur, dass die Arbeiter in den Produktionsstätten aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen ihr Leben aufs Spiel setzen, sie werden dafür noch zusätzlich mit einer Arbeitszeit von 90 Wochenstunden und einer Vergütung jenseits der errechneten Existenzlohns an den Rand eines würdigen Daseins gedrängt. Berichte der UNO über Zwangsarbeit in China setzen dem ganzen noch die Krone auf.

Als Anschauungsbeispiel vergleicht Herrmann die Löhne einer Näherin in drei wirtschaftlich unterschiedlichen Ländern: So verdient diese in Deutschland pro Stunde 9,50 Euro, in Bulgarien 2 Euro und in Bangladesch 0,51 Euro. Durch den stetig steigenden Bedarf an Bekleidung herrscht zudem ein hoher Produktionsdruck, dem die wenigstens physisch und psychisch gewachsen sind.

Dieses unaufhaltbare Wachstum der Konsumgesellschaft bringt noch weitere Probleme mit sich. Rund um die Uhr trifft neue Mode in den Läden ein. Wo früher noch ein bis zwei Kollektionen pro Jahreszeit erschienen sind, hat sich mittlerweile die „Ultra Fast Fashion“ durchgesetzt.

So werden pro Jahr 200 Milliarden Kleidungsstücke produziert, wovon jedoch nur 160 Milliarden tatsächlich verkauft werden. 5,214 Milliarden davon landen in Deutschland. Die überschüssigen 40 Milliarden werden zumeist verbrannt. Das Fazit daraus ist klar, wie Herrmann beschreibt: „Er wird Neuware produziert, die Umwelt dadurch extrem belastet und Menschen dafür ausgebeutet. Nur um diese letztendlich dem Feuer zu übergeben.“

Angetrieben wird der Konsumwahn von den großen Bekleidungsunternehmen, die sich mittlerweile zum Großteil im Internet verbreitet haben. So verkauft der weltweit größte Modekonzern ausschließlich über soziale Medien und nutzt dabei eine Armee von Influencern, um seine Ware unter die Leute zu bringen. Von Aufklärung über die Produktion oder sinnvolles Kaufverhalten wird hier mit keinem Wort erwähnt. Der kapitalistische Gedanke herrscht hier vor, ohne Rücksicht auf Umwelt oder Menschenwürde.

„Müllkippe des Westens“

Bemerkbar macht sich dieses Kaufverhalten auch in den Kleiderschränken: Die meisten Menschen aus westlichen Ländern haben dermaßen viele Klamotten, dass regelmäßig aussortiert werden muss. Die nicht mehr gebrauchten Stücke werden meistens nicht nur direkt durch neue ersetzt, sondern landen bei der Kleiderspende. Diese kann jedoch aufgrund mangelnder Qualität mit einem Großteil nichts anfangen. Statt in Secondhand-Läden werden die Klamotten nach Afrika verschifft, wo sie nochmals aussortiert werden. Letztendlich stapeln sich jedoch die kaputten und nicht tragbaren Teile in großen Bergen und Afrika mutiert zur „Müllkippe des Westens“. Zu diesen schockierenden Fakten schließt Herrmann auch mit einigen Lösungsvorschlägen. Bei diesen nimmt der Betriebswirt an vorderster Front die Politik in die Pflicht. Ein angemessenes Lieferkettengesetzt kann dafür sorgen, dass die Zustände in den Fabriken besser werden. Gleiches gilt für sukzessive der Volkswirtschaft des jeweiligen Landes angepasste Lohnerhöhungen. Hier müsse die Weltpolitik mit Regelungen und Gesetzen einschreiten, so Herrmann. „Non-Government-Organisations“ wie „Greenpeace“ oder die „Fair Wear Foundation“ müssten in den Prozess einbezogen werden.

Auch kleinere Unternehmen könnten mit einem „Fairtrade“ Angebot und einer bewussteren Stoffauswahl für Besserung sorgen. Natürlich hänge dies auch viel vom Umdenken der Verbraucher ab. „Höher, schneller, weiter“, das Credo der Großkonzerne, dürfe nicht weiter mitgefahren werden.

Der Kaufrausch der Gesellschaft müsse gestoppt werden. Alternativen wie Secondhand, Kleidertauschpartys oder „Kleidung mieten“ sollten mehr in den Fokus rücken. Gleichzeitig könne der Endverbraucher auch von seiner Macht Gebrauch machen und Einfluss auf die Politik ausüben. Aufklärung sei für ein Umdenken unabdinglich.

Die erschreckenden Zustände in der Bekleidungsindustrie ergänzen indes nur das Gesamtbild der Globalisierung und des Kapitalismus: Im Handel, Tourismus oder der Elektronikproduktion herrschen vergleichbare Handlungsweisen. Aus dem Vortrag des Betriebswirts kristallisiert sich ein klares Fazit: So kann es nicht weitergehen, die Zustände müssen sich ändern. Bild: Lenhardt

© Dorothea Lenhardt

Redaktion Verantwortlicher Redakteur für die Gemeinde Ketsch

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