Unterbringung

Hockenheim: Kapazitäten für ukrainische Geflüchtete sind ausgeschöpft

Die Hockenheimer Verwaltung sucht dringend Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine. Vielen Kommunen in Baden-Württemberg geht es nicht anders.

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Volker Widdrat
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Auch die Gemeinschaftsunterkunft im Pfälzer Ring ist bis auf den letzten Platz belegt. Die Umwidmung von Hallen zur Unterbringung wird realistischer. © Lenhardt

Die Lage ist ernst. Und die Zeit drängt. Bei einem durchschnittlichen Zugang Geflüchteter aus der Ukraine von rund 240 Personen pro Tag sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen von Baden-Württemberg die Kapazitätsgrenzen erreicht. Hinzu kommt allein bei Asylsuchenden der höchste Halbjahreszugang seit 2016. In einer Videokonferenz mit über 650 Personen, darunter Vertreter der Kommunalen Landesverbände, der Regierungspräsidien, der Landkreise und der Kommunen, warnte die Ministerin der Justiz und für Migration, Marion Gentges, vor einer Herkulesaufgabe für den kommenden Herbst, bei der man sich wieder auf den kurzfristigen Aufbau von Notunterkünften einstellen müsse.

Durch die weiterhin hohen Zahlen von ankommenden Geflüchteten müssten möglicherweise Turn- und Sporthallen umfunktioniert werden, meinte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (wir berichteten). Im Hockenheimer Rathaus schrillen deshalb die Alarmglocken. In der Rennstadt in nächster Zeit Hallen zu Notunterkünften umbauen zu müssen, mag sich in der Verwaltung noch niemand so recht vorstellen. „Es wird aber auch bei uns immer enger mit Wohnraum“, sagt Bürgermeister Thomas Jakob-Lichtenberg in einem Pressegespräch mit unserer Zeitung. Die aktuellen Unterbringungskapazitäten seien längst ausgelastet. Und die Beschaffung neuer Unterkünfte werde immer schwieriger: „Der Hockenheimer Weg, den wir gehen, führt uns nicht weiter.“

Situation wird dramatischer

Der städtische Integrationsbeauftragte Konrad Sommer ist seit Monaten mit der Vermittlung von Wohnraum für ukrainische Einzelpersonen und Familien aus dem Kriegsgebiet beschäftigt. Aus der Bevölkerung habe es viele Hilfsangebote gegeben, lobt er die großartige Solidarität. Jetzt werde es aber immer dramatischer. Sollte Ministerin Gentges recht behalten, „müssen wir uns darauf vorbereiten, weiteren 120 ukrainischen Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu besorgen“.

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Insgesamt hat Baden-Württemberg seit dem Kriegsbeginn durch Russland im Februar rund 120 000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Hinzu kommen in diesem Jahr bislang weitere rund 15 000 Asylsuchende. Hockenheim hat seit März 121 Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht, zumeist bei privaten Vermietern. Viele Kinder und Frauen sind aufgrund der schlimmen Fluchterfahrung traumatisiert, das sei nicht immer einfach für Vermieter und Wohnungsanbieter. Die Idee, möglichst alle Geflüchteten in privatem Wohnraum unterzubringen, bleibe aber bestehen, so Sommer, der sich gemeinsam mit seiner neuen Mitarbeiterin Nadine Grimmig auch um Verlegungen kümmert. Der Integrationsbeauftragte hat dazu einen „schlanken“ Mietvertrag entwickelt und arbeitet derzeit mit 38 Vermietern zusammen.

Der zum Juni dieses Jahres beschlossene Rechtskreiswechsel von Geflüchteten aus der Ukraine, also die Herauslösung aus dem Asylbewerberleistungsgesetz hin zu den Sozialgesetzbüchern, hätte für eine erhebliche finanzielle Belastung der Kommunen gesorgt, erklärt Jakob-Lichtenberg. Das habe außerdem einen Pull-Effekt gehabt. Der finanzielle Anreiz für die im europäischen Vergleich höchsten Sozialleistungen in Deutschland sei einfach da. Das erhöhe den Druck auf die Kommunen noch weiter. „Das spüren wir vor Ort täglich“, bestätigt Sommer.

Die Aktivierung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie hat zudem zur Folge, dass Flüchtende aus der Ukraine, anders als Asylbewerber, direkt in die vorläufige Unterbringung bei den Stadt- und Landkreisen dürfen. Daneben steigt auch die Zahl der Asylsuchenden stark an. „Wir müssen uns vorbereiten. Der Druck wächst, es werden noch weitere Menschen zu uns kommen“, bittet Bürgermeister Jakob-Lichtenberg angesichts der dramatisch zugespitzten Migrationslage um die Mithilfe der Bevölkerung bei der Bewältigung dieser Herkulesaufgabe.

Die bisher vermittelten 38 Wohnungen bieten knapp 2000 Quadratmeter Wohnraum, erklärt Sommer. Das reiche aber bei Weitem nicht aus, ist er sicher, in der Rennstadt weitere 1500 bis 2000 Quadratmeter finden zu können. „Öffnen Sie Ihr Herz und helfen Sie, es geht um die Menschen“, appelliert er an die Mitbürger, die Wohnraum anbieten können.

Bürgermeister Jakob-Lichtenberg hofft ebenso für die nächsten Wochen auf eine zusätzliche Bereitschaft der Wohnungseigentümer. Die Stadt brauche „jede ehrenamtliche Hand an Deck“, verweist Sommer noch auf die neue Ehrenamtsbörse-Homepage www.hockenheim-hilft.de. Wer sich engagieren möchte oder spezielle Hilfeleistungen anbieten kann, die über die Verfügungstellung von Wohnraum hinausgehen, ist hier richtig. Gesucht werden unter anderem Menschen als Helfer für Familien und Senioren sowie Unterstützer für das Asylnetzwerk Hockenheim.

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

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