Stadthalle

Hockenheimer Gauß inszeniert leidenschaftlich Zeitreise in Hippieära

Musik-Theater-AG bringt in großer Besetzung Musical „Hair“ auf die Bühne und erhält Standing Ovations von den Zuschauern.

Von 
Katja Seneadza
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Fröhliche Blumenkinder: So unbeschwert wie in dieser Szene bleibt es nicht für die Hippies im Central Park. © Sebastian Korff

Hockenheim. Freiheit statt Fremdbestimmung, Liebe statt Krieg, gemeinsam statt gegeneinander – wie kein anderes Bühnenstück spiegelt „Hair“ die Widersprüche und Sehnsüchte der 1960er Jahre wider. Am Freitag und Samstag entführte die Musik-Theater-AG des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums das Publikum in die bunte Welt der Blumenkinder, deren Ideale politisch scheinbar immer mehr in Vergessenheit geraten. Ganz leise beginnt das Stück auf der Bühne der voll besetzten Stadthalle. Der junge Claude Bukowsky (Leven Salamon) wartet mit seinen Eltern (Tamia Eckelt und Luan Hesse) auf den Bus, der ihn von seiner Heimat Oklahoma zur Musterung nach New York bringen soll. Große Emotionen und Berührungen passen nicht zu den Männern der kleinbürgerlichen Welt, wie der unbeholfene Abschied zwischen Vater und Sohn deutlich zeigt.

Ganz anders ist das bunte und laute Leben der Hippie-Gang, die Claude im New Yorker Central Park trifft. Der charismatische Berger (Jakob Schirmer) strotzt vor Selbstbewusstsein, Woof (Lilly Korff) kennt sich mit Esoterik und Drogen aus. Hud (Ailiyah Jackson) kämpft für die Rechte von Afroamerikanern und für die schwangere Jeannie (Aleyna Parmaksiz) ist die Gruppe zur Familie geworden. Mit Leichtigkeit und Spielfreude verkörpern die Hockenheimer Schüler eine beinahe kindliche Offenheit der Hippie-Kultur. Für sie ist jeder Tag ein Abenteuer, das gelebt werden muss.

In eine Welt aus Freiheit, Freundschaft und Rausch eingetaucht

Claude ist fasziniert. Statt wie geplant ein straffes Touristenprogramm zu absolvieren, taucht er mit der Gruppe in eine ihm unbekannte Welt aus Freiheit, Freundschaft und Rausch ein. Und dann ist da noch Sheila (Katrin Mues), das Mädchen aus der Upper Class, das ihm beim Nordic Walking buchstäblich in die Arme fällt und dabei sein Herz erobert. Mit jedem Moment schwindet seine bisherige Überzeugung. Dennoch sind die konservativen Wertevorstellungen und Erwartungen der Gesellschaft und Familie zu stark in ihm verwurzelt.

Liebe ist die Botschaft - das war schon in den 1960ern das, was der Welt fehlte. © Sebastian Korff

Er folgt dem Einberufungsbescheid und schließt sich der US-Armee an. Seine Freunde vergessen ihn aber nicht. Sheilas naiver Bruder Steve (Leandro Baldus) besorgt das Auto des Vaters und macht sich mit der Gang auf den langen Weg nach Nevada, wo Claude stationiert ist. Schließlich kann Berger Claude überzeugen, für einen Tag die Rollen zu tauschen, um Sheila und die anderen zu treffen. Doch genau an diesem Tag wird die Einheit nach Vietnam geschickt und der Kriegsgegner Berger muss als Soldat Bukowsky in den Krieg ziehen.

Der Drill für die jungen Rekruten vor ihrem Einsatz in Vietnam wird eindrucksvoll in Szene gesetzt. © Katja Seneadza

Die arbeitslosen Schauspieler Gerome Ragni und James Jado schrieben das Stück auf einer geliehenen Schreibmaschine. Galt MacDermot, der seine musikalische Karriere als Kirchenmusiker begonnen hatte, komponierte den Soundtrack, der zu einem Meilenstein der Popgeschichte wurde. Im Gegensatz zu bisherigen Musicals brachte „Hair“ moderne Rockmusik mit gesellschaftskritischen Texten auf die Bühne, die von Drogenexperimenten, Liebe und Rebellion erzählen.

Laut, rebellisch, politisch, freizügig: „Hair“ traf den Nerv der Zeit

1967 wurde „Hair“ Off-Broadway uraufgeführt und traf den Nerv der Zeit. Das Stück war laut, rebellisch, politisch, freizügig, mit der ersten Nacktszene in der Geschichte des Broadway Theaters. Natürlich blieben die Darsteller in Hockenheim angezogen, der dargestellte Konsum von Drogen gehörte aber auch hier einfach zur Geschichte.

Musik, Gesang und Tanz nehmen auch in der Inszenierung des Gauß-Gymnasiums eine wichtige Rolle ein. © Sebastian Korff

Die Hauptrolle in den schnell wechselnden episodenhaften Szenen spielte die Musik. Insgesamt 13 Songs des Musicals brachte die Musik-Theater AG auf die Bühne. Der mystische Auftakt „Aquarius“ etwa beschwört eine Ära des Friedens, der Harmonie und des spirituellen Erwachens. „Where do I go“ dokumentiert Claudes schwierige Entscheidungsfindung und seine Suche nach Orientierung. Natürlich darf auch „Let the Sunshine in“ nicht fehlen, der Ruf nach Veränderung und die Hymne der Hoffnung.

Die großartige Band um den Leiter Bernhard Sommer und seinen Assistenten Julian C. Seiler überzeugte mit Johanna Möbius (Saxofon), Tim Schaufler (Trompete) und Julian C. Seiler (Trompete und E-Piano), Johannes Sommer (Posaune), Elias Zavodny (E-Gitarre), Johann Dubrau (E-Bass), Alexander Münkel sowie Emil Strümpel (Drumset). Ihr Spiel verschmolz mit dem der gesanglich starken Darsteller immer mehr zu einer Einheit. Vor allem Rosalie Bartolles begeisterte mit „Doors Locked“ und als verlassene Verlobte von Hud mit „Easy to be hard“.

Die Liebe zu Sheila (Katrin Mues) ändert für Claude Bukowsky (Leven Salamon) nach wenigen Tagen in New York alles. © Sebastian Korff

Ob mit bunten Flatterklamotten im Schwarzlicht oder in olivgrünen Militärshirts - eine besondere Energie entfaltete sich dann, wenn das komplette Ensemble inklusive Chor gemeinsam auf der Bühne stand und tanzte. Der Funke, der dann auf der Bühne entfacht wurde, sprang immer mehr auf das Publikum über. Die Schülerin Madeleine Grebencikov entwickelte gemeinsam mit den Lehrerinnen/Regisseurinnen Claudia Klement und Yaël Schneider die Choreografien und studierte sie mit den Darstellern ein.

Beeindruckende Teamleistung und große Talente

Mit der Musik-Theater-AG bringen Claudia Klement, Yaël Schneider und Bernhard Sommer Schüler aus dem Chor und der Theatergruppe zusammen. Die „Hair“-Inszenierung in Hockenheim ist eine beeindruckende Teamleistung der vielen Akteure vor, auf und hinter der Bühne. Raimund Becker entwickelte das Bühnen- und Lichtkonzept und Felix Gutbrod baute das Bühnenbild. Auch das Licht (Kai Blümchen, Assistenz Pendeloque Lichtkunst, Mika Stäcker) und der Ton (Sascha Birkenstock, Assistenz Rana Erdönmez, Jonas Krist, Kiana Mayer, Niklas Philipp, Dario Vogel) passten.

Das Publikum feiert die jungen Akteure nach der Schlussszene. © Katja Seneazda

Bereits im vergangenen Herbst begann die Rollenverteilung mit dem Vorsprechen und Vorsingen. Von Anfang an war klar, dass alles in Schülerhand bleiben soll. Das Ergebnis zeigt eindrucksvoll, welches Talent die Jugendlichen mitbringen und wie viel Engagement und Eigeninitiative dahintersteckt. Die sichtlich stolze Schulleiterin Anja Kaiser betonte, dass das gerade in der herausfordernden Phase am Schuljahresende alles andere als selbstverständlich ist und von der Gesellschaft oft nicht wahrgenommen wird.

Das Stück zeigt: Es geht nur gemeinsam

Fast 60 Jahre nach der Entstehung von „Hair“ scheinen die Werte der Blumenkinder – Toleranz, Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität – immer weiter zu verblassen. Populisten geben vor, die wahren Interessen des Volkes zu vertreten, indem sie demokratische Politiker als abgehobene „Elite“ denunzieren und eine Solidarität beschwören, die sich abgrenzt und auf Kosten anderer geht.

Die Wahl der Musik-Theater AG war also alles andere als ein Zufall. „Die resiliente Demokratie braucht keine falsche Toleranz gegenüber Demokratieverächtern, wohl aber wieder einen starken Sinn für das, was Menschen miteinander verbindet und zusammenhält. Sie braucht ideelle Hippies und keine Feindbilder – Love, Peace, Happiness“. Es geht nur gemeinsam.

Das Publikum ließ sich gerne mitreißen. Am Ende gab es Standing Ovations der Zuschauer, die offensichtlich nicht wollten, dass der Abend endet. Bei der dritten Zugabe waren dann alle, denen es möglich war, auf den Beinen, um zusammen „Let the Sunshine in“ zu singen. Wie wohltuend solche gemeinsamen Momente sind, machten die beseelten Gesichter nach der Vorstellung deutlich.

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