Vortrag - Landes-Behindertenbeauftragter Gerd Weimer fordert mehr Engagement auf lokaler Ebene

"Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif"

Von 
Anke Koob
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Viele interessierte Zuhörer - unter ihnen auch Bürgermeister Thomas Jakob-Lichtenberg (Mitte) und Kreisrat Heinz Jahnke (rechts daneben) - verfolgten den Vortrag von Gerd Weimer, dem Behindertenbeauftragten des Landes Baden-Württemberg.

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Wo hört Integration auf und wo beginnt Inklusion? Für den Behindertenbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Gerd Weimer, ist das eine ganz einfache Antwort: in den Köpfen der Menschen. Der Fachmann lud ein, ihn auf seine Reise durch das weite Feld des "sozialen Nahraums" zu begleiten. Denn genau den brauche der Prozess der Inklusion, um in der Gesellschaft anzukommen. Sein Vortrag zum Thema fand daher auch großen Anklang in der Stadt: Gemeinderäte und Menschen mit Handicap hatten sich in der Zehntscheune eingefunden, um einmal nachzuforschen, wo in Hockenheim dieser Prozess bereits begonnen haben könnte.

Begeistert drückte der Behindertenbeauftragte den Hockenheimern daher zunächst einmal symbolisch die Hand, denn "Ihr Agendaprozess hat schon vieles bewirkt." Darauf waren die Beteiligten, die an diesem Abend im Publikum saßen, auch sichtlich stolz. Denn sie haben bereits das vorweggenommen, was Inklusion möchte: "Nicht die Frage, welche Anstrengungen Behinderte unternehmen müssen, um sich an unsere Werte anzugleichen, sondern die Frage, inwieweit wir unsere Normen und Prozessen angleichen müssen, damit Menschen mit einer Behinderung sich darin zurechtfinden", sagte Gerd Weimer, der auf Einladung der Lebenshilfe Schwetzingen/Hockenheim und der Stadt Hockenheim zum Vortrag angereist war.

Im Gepäck hatte er die UN-Behindertenrechtskonvention - ein Wortkonstrukt, mit dem die wenigsten Menschen etwas anzufangen wissen. Doch tatsächlich ist sie im Bundestag bereits vor fünf Jahren anerkannt worden und im Bundesrat ratifiziert. Ein nationaler Aktionsplan zum Thema begleite den Prozess. "Das ist ein wahrhafter Paradigmenwechsel", meinte der Behindertenbeauftragte, "und dennoch sind Länder wie Mali Deutschland weit voraus." Denn dort seien nie Sonderschulen eingerichtet worden, gebe es keine Werkstätten für Behinderte. In Deutschland hingegen arbeiteten 28 000 Menschen in solchen Werkstätten und es gebe neun verschiedene Sonderschulformen. Dies alles zu ändern, "geht nicht auf Knopfdruck".

Wichtig sei es daher, insbesondere auf lokaler Ebene zu agieren. "Die Lokalpolitik hat den Schlüssel zur Inklusion", betonte Weimer. "Denn genau hier werden konkrete Erfahrungen gemacht." Wichtig aber sei es, wach und offen zu sein für die Veränderungen. "Dort, wo Bürgermeister sich dieses Thema zur Chefsache gemacht haben, da läuft es auch", betonte der einstige Sozialbürgermeister von Tübingen.

Finanzielle Belastung?

Aus dieser praktischen Umsetzung aber wusste er auch: "Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif." Derzeit würden 53 Milliarden Euro für den Prozess einkalkuliert. Finanzielle Belastung für die Kommunen? "Nein", sagt der Fachmann, denn gerade ein Bundesteilhabegesetz, das derzeit in Berlin vorbereitet werde, solle eine finanzielle Entlastung mit sich bringen. Das durch diese neue Regelung eingesparte Geld müsse allerdings in die Barrierefreiheit investiert werden. Doch dies alles gehe noch viel weiter, denn Inklusion beginnt nun einmal in den Köpfen der Menschen. "Die Kommunen brauchen Hilfe vom Land", betont Weimer. Das bedeute, dass der Landesaktionsplan abrufbare Maßnahmen enthalten muss. Aber auch das Landesbehindertengleichstellungsgesetz muss novelliert werden."

Seine Forderung: eine Angleichung der Landesbauordnung. Künftig sollen, so seine Vision, alle Häuser ab zwei Wohneinheiten barrierefrei sein - bei entsprechendem Ausgleich für die Bauherren durch das Land. Weiter sollen die großen Einrichtungen für Behinderte dezentralisiert werden: "Diese Menschen sollen dann wohnen, wo sie es wollen - am Besten mittendrin!" Auch Alternativen am Arbeitsmarkt müssten eingerichtet werden. "Zu viele Betriebe kaufen sich noch immer frei von ihrer Pflicht, behinderten Menschen einen Arbeitsplatz einzuräumen." "Erfüllt die Verwaltung der Stadt Hockenheim eigentlich ihre Quote?", wollte er von Bürgermeister Thomas Jakob-Lichtenberg wissen. Spontan konnte dieser keine Antwort darauf geben.

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