Ein Paradies vor der Haustür (1) - Mit dem Biologen Uwe Heidenreich unterwegs im Hockenheimer Rheinbogen / Einzigartige Flora und Fauna wird seit 1990 geschützt

Leben pulsierte hier einst im Takt des Flusses

Von 
Andreas Wühler
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Unter Schutz gestellt, um die Auswirkungen menschlicher Eingriffe abzumildern: Die überschwemmten Matthäuswiesen erinnern an den Hockenheimer Rheinbogen vor Flussbegradigung, Autobahnbau und Flurbereinigung. © Heidenreich

Der Biologe Uwe Heidenreich kennt den Hockenheimer Rheinbogen wie kein Zweiter. Das seit 30 Jahren unter Schutz stehende, rund 2500 Hektar große Areal hat eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt und bietet dem aufmerksamen Beobachter immer wieder neue Entdeckungen. Doch um ein Gebiet wie den Rheinbogen mit seinen 30 einzelnen Naturschutzgebieten zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen, wissen wie das Land entstanden ist und wie es unsere Vorfahren prägten. Deshalb nimmt Heidenreich uns mit auf eine Reise in die Geschichte des Rheinbogens.

Jahrhundertelang prägte der Rhein das Auengebiet zwischen Ketsch, Hockenheim und Altlußheim. Immer wieder trat der ungezähmte Strom über seine Ufer, setzte das Land unter Wasser. Wie wild es der Rhein trieb, zeigt ein Blick auf den Insultheimer Hof. Nicht nur, dass dieser mehrmals überschwemmt wurde, er lag auch mal links, mal rechtsrheinisch – je nachdem, wie der Fluss gerade floss.

So wurde der Rheinbogen zum natürlichen Überschwemmungsraum seines Namensgebers. Es entstanden ausgedehnte Grünlandflächen mit einer einzigartigen Flora und Fauna. Das Schicksal dieses Idylls aus Wiesen und Feuchtgebieten, durch das unter anderem der Große Brachvogel zog, war Anfang des 18. Jahrhunderts besiegelt, als der Rhein nach Plänen von Tulla begradigt wurde. Die Wiesen wurden von Ackerland verdrängt, der Rheinbogen wurde durch Gräben sowie Be- und Entwässerungssysteme trockengelegt.

Und es wurde in großem Stil Ton abgebaut. Das in nassem Zustand formbare Material, das sich getrocknet oder gebrannt hervorragend als Baumaterial eignet, war ein begehrter Baustoff, mit dem unter anderem die Ziegelei im Herrenteich beliefert wurde.

Einen weiteren Einschnitt erfuhr der Rheinbogen in den 1960er Jahren mit dem Bau der Autobahn zwischen Hockenheim und Speyer samt Autobahnbrücke sowie einer Flurbereinigung. Das Gebiet wurde durch die Autobahn zerschnitten, Grabensysteme und Wege wurden neu angelegt, Wiesen samt ihrer Be- und Entwässerungssysteme aufgegeben, letztlich umbrochen und es entstanden neue Ackerflächen.

Dem versuchte man in den 1990er Jahren entgegenzuwirken, als der Rheinbogen unter Natur-, Landschafts- und Wildschutz gestellt und zum Natura-2000-Gebiet ernannt wurde. Ziel war es, insbesondere die Wiesen und Feuchtgebiete unter Schutz zu stellen, für das Dauergrünland wurde ein Umbruchverbot erlassen.

Großer Brachvogel bleibt fern

Drei Jahrzehnte sind seither vergangen und es hat sich eine vielfältige Landschaft entwickelt, für die Rebhuhn, Weißstorch und Laubfrosch typische Vertreter sind. Zahlreiche Libellenarten und der Urzeitkrebs Triops finden hier eine Heimat. Ein Ziel, die Wiederansiedlung des Großen Brachvogels, wurde hingegen verfehlt: Ihm fehlen im Rheinbogen die großflächigen, überschaubaren Moore. Hingegen hat ein anderer Vogel Gefallen an den immer mal wieder überschwemmten Feldern gefunden: der Kiebitz.

Die aufgegebenen Tongruben wurden als Naturschutzgebiete ausgewiesen, zu erkennen an den Bezeichnungen Tongrube Ketschau, Tongrube Neuwiesen, Tongrube Pfalzwört oder die Tongruben beim Siegelhain. Die wechselfeuchten Areale sind Refugien unter anderem für Amphibien und weitläufige Röhrichtgebiete, in denen sich Rohrsänger und Blaukehlchen ansiedelten.

Verschiedene Wiesen, wie die Matthäuswiesen oder die Bachwiesen, wurden ebenfalls unter Schutz gestellt. So sollte die für sie typische Flora und Fauna erhalten und gefördert werden. Am Weg, der vom Mörsch Richtung Insultheimer Hof führt, befand sich schon 1936 das erste Naturschutzgebiet im Rheinbogen, das Torfloch, später zum Naturschutzgebiet „Marlach“ erweitert.

30 einzelne Naturschutzgebiete umfassen heute das Schutzgebiet Hockenheimer Rheinbogen. Vom Karl-Ludwig-See, der sich nach Ketsch hin erstreckt, über den Rheinwald Altlußheim reicht das Gebiet in der einen Richtung, von den Matthäuswiesen beim Segelflugplatz Herrenteich bis hin zum Naturschutzgebiet „Schwarzer Teich“ südlich der ehemaligen B 39, zwischen Alt- und Neulußheim. 2500 Hektar umfasst das Natura-Gebiet Hockenheimer Rheinbogen, davon entfallen 1850 Hektar auf das Landschaftsschutzgebiet.

Landwirtschaft und Naturschutz leben heute in friedlicher Koexistenz, Wirtschaftswege sorgen für Erschließung – das ideale Gelände für Naturliebhaber, die zu Fuß oder mit dem Rad ihre Umgebung erkunden wollen. Und die dabei eine reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt entdecken können, die je nach Jahreszeit wechselt. Momentan lässt sich der Weißstorch bei der Futtersuche beobachten, auf den Feuchtwiesen tummeln sich Amphibien und in der Luft schwirren viele Libellenarten, beispielsweise die Hufeisen-Azurjungfer oder die Kleine Königslibelle. Von ganz „normalen“ Lebewesen wie Enten, Gänsen, Wasserfrosch oder Reiher ganz zu schweigen.

Refugium für verdrängte Arten

Für Biologen wie Heidenreich birgt das Gelände zahlreiche Arten, die andernorts schon durch Neobiota verdrängt wurden. So finden sich diverse Erbsenmuschelarten oder Ohrschlammschnecken ebenso wie die Spitze Sumpfdeckelschnecke oder die Knoblauchkröte. Und in den Gewässern tummeln sich Stichlinge und Schleien, in der Luft sind der Eisvogel und der Schilfrohrsänger unterwegs.

„Ein Paradies vor der Haustür“, schwärmt der Biologe und lädt uns in den nächsten Wochen zu einem Rundgang ein, bei dem er verschiedene Stellen ansteuert, die entweder wegen ihrer historischen oder baulichen Geschichte oder ihrer Lebenswelt exemplarisch für das Naturschutzgebiet Hockenheimer Rheinbogen stehen.

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Einladung zur Naturerkundung Der Hockenheimer Rheinbogen lädt zu jeder Jahreszeit zu Ausflügen ein. Ob zu Fuß oder mit dem Rad - es handelt sich um ein Naturschutz gebiet - lässt sich die Natur ideal erkunden. In den kommenden

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