Reilingen. Tosend brandete der Applaus am Sonntag minutenlang durch St. Wendelin – als Dank nicht nur für einen ganz ausgezeichneten Musikabend, sondern auch für ein historisches Stück verlässlicher Kunst zwischen Wasserturm, Spargel- und Vier-Sterne-Gemeinde: Der Madrigalchor Hockenheim beging mit seiner „Una passeggiata musicale“, einem „musikalischen Spaziergang“, stiltreu und charakteristisch sein 40-jähriges Bestehen – ein qualitativ wie programmatisch lupenreines Konzert. Es steht exemplarisch für die herausragenden Hörgenüsse aus einer eigentlich eher zu den musikalischen Nischen zählenden Kunstgattung, mit denen der Madrigalchor seit seiner Gründung 1984 immer wieder auf sich aufmerksam gemacht und glühende Anhänger gefunden hat.
Garant dafür ist seit vier Jahrzehnten, wofür Konrad Schillinger, der erste musikalische Leiter des Madrigalchors, und Kurt Rothbauer, ehemaliger Rektor der heutigen Schule am Kraichbach und Gründer des Hockenheimer Kammerorchesters, als Gründungsmitglieder standen: die Konzentration auf eine historisch plausible, qualitativ herausragende, am Klang und dem transportierten Gefühl orientierte Aufführung musikalischer Kleinodien hauptsächlich aus den Epochen zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert.
Robert Sagasser führt den Chor mit Freundlichkeit, Beharrlichkeit und Erklärungen - aber ohne Druck
In den zwölf Jahren, in denen Schillinger am Pult stand, war das ebenso leitende Zielmarke wie es das heute unter dem Dirigat des für seine Expertise in Bezug auf Alte Musik bekannten Robert Sagasser ist, der seit fast 30 Jahren den Madrigalchor zu seiner heutigen Qualität „gebimst“ hat – mit viel Freundlichkeit, Beharrlichkeit und viel Erklären und ohne Druck, wie die Sänger lobend schwärmen. Glänzendes Beispiel dafür war der Auftritt in Reilingen, der ein ebenso verzaubertes wie begeistertes Publikum zurückließ.
Zwischen dem gleichzeitig feierlichen wie lebhaften Opener mit Georg Philipp Telemanns Vertonung des 117. Psalms – übrigens der kürzeste Psalm überhaupt und gleichzeitig auch das kürzeste Kapitel der gesamten Bibel – bis zur vom Publikum vehement eingeforderten Zugabe „Geh aus, mein Herz“ punkteten die Sänger mit einer ganz besonderen musikalischen Qualität. Die 40 Stimmen des Madrigalchors ergossen ebenso wie die 30 Sänger der Kinder- und Jugendchöre und der Musikschule mit jeder Silbe einen Wimpernschlag der Ewigkeit auf ihre Zuhörer, der erst den besonderen Liebreiz und die außergewöhnliche emotionale Wirkmacht dieser Ensembles ausmacht.
75 Minuten in reinen Hörgenuss verwandelt
Technisch perfekt, interpretatorisch fantasievoll und zugleich höchst behutsam begleitet, umrahmt, angerührt und eingebunden wurde der Chor vom in verschiedenen Besetzungen auftretenden achtköpfigen Barock-Ensemble. Die Vorsitzende des Madrigalchors, Bianca Wolfgramm, konnte ebenso wie Vorstandsmitglied Ralph Pfahler, der zum Musikabend begrüßte, zurecht stolz sein auf das, was die 80 Mitwirkenden dieses Abends wieder einmal geleistet haben: Sie haben 75 Minuten in reinen Hörgenuss verwandelt.
Der Madrigalchor überzeugte vor allem mit John Wilbyes „Draw on, Sweet Night“, einem wundervollen Madrigal aus dem frühen 17. Jahrhundert. Ein sphärischer Klang, der sich ganz und gar aus den vielfältigen Harmonien speist und dabei in seinem Schreiten fesselt und berührt. Die klare Absprache, die hochpräzise Intonation und eine die spannungsgeladene Komposition voll auslebende Dynamik schenkten Hör- und Fühlgenuss in einem, als sich der volle, warme Klang des Chors in die Kirche förmlich einschmiegte, deren lange Laufzeiten allenfalls die Verständlichkeit etwas trübten, dafür aber die Homogenität des Klangs ins Maximum steigerte.
Fundiert ausgebildeter Chornachwuchs verzaubert und imponiert
Dass gesangliche Größe auch schon bei den Youngsters leitend ist, konnten die Zuhörer bei mehreren Auftritten der Kinder und Jugendlichen mal allein, mal mit den „Großen“ zusammen, erhören. Martina Rothbauer, die in die Stimmausbildung der Nachwuchssänger viel Zeit, vor allem aber viel Eifer investiert, steht ebenso wie Sagasser für höchste Ansprüche – die sich in liebevollen, reizenden und von ganz besonderer Schönheit geprägten Musik-Miniaturen offenbarten. Mit den Volksliedern „Der Winter ist vergangen“ und „Der Mai, der Mai, der lustige Mai“, aber auch mit dem beeindruckenden „Lasset uns fröhlich singen“ aus Johann Erasmus Kindermanns „Musikalischem Friedensfreund“ konnten die jungen Stimmen gleichsam verzaubern und imponieren.
Unbestrittenes Highlight des Abends war Antonio Vivaldis „Gloria in D“ (RV 589). Mit dem zwölfteiligen geistlichen Werk des Barockkomponisten, der den meisten vor allem durch seine „Vier Jahreszeiten“ bekannt ist, verzahnte Sagasser die Strahlkraft seines Chores, den vielfältigen Klang seines für diesen Teil um eine Barocktrompete und eine Barockoboe erweitertes Barock-Ensembles und zwei Solistinnen zu einem zwischen Festlichkeit und transluzenter Leichtigkeit changierenden Hörgenuss der Sonderklasse.
Zwischenapplaus trübt Konsistenz von Vivaldis Höhepunkt „Gloria in D“
Gestört wurde dieses künstlerisch wie aufführungspraktisch grandiose Erlebnis vom etwas übereifrigen Publikum, dem man – bei allem Verständnis für die große Begeisterung – doch ankreiden muss, dass Zwischenapplaus die Konsistenz eines Werks wie diesem doch arg trüben kann. Und getrübt hat. Sei’s drum. Die Sopranistin Ellen Grau – ein Eigengewächs – gab das „Laudamus te“ im Duett glockenklar, durchzugsstark und mit einem umwerfend kultivierten Timbre, während Alexandra Paulmichl hier und mit drei weiteren Solopartien ihr natürlich schönes, fesselndes Organ mit einer ganz bemerkenswerten Ausdruckskraft und grandiosem interpretatorischem Feingefühl hören lassen konnte. Die vielen sauber herausgearbeiteten Koloraturen im sechsten Teil „Domine Deus, Rex coelestis“ waren hinreißend und ein Destillat aus Anmut und großer Würde.
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Gemeinsam beeindruckten alle Künstler mit einer anrührenden, inbrünstigen und hochvirtuosen Aufführung und einem kraftvollen Stück sakraler Musik, wie es sein soll: Botschaft, Offenbarung und Seelenheil zugleich. „Quoniam“ und „Cum Sancto Spiritu“ setzten ein von den Bläsern in seiner Strahlkraft maximiertes Schlussfanal, das nicht nur mit der frohen Botschaft, sondern mit wuchtiger Musik entließ, die lange in die kommende Woche nachklingen kann. Und da war es wieder, was diesen ganzen Musikabend ebenso prägte, wie die vielen Jahre mit dem Madrigalchor davor: „Lasst uns alle fröhlich singen“.
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