Der Kaiser regierte noch, das Säbelrasseln, mit dem sich der Erste Weltkrieg ankündigte, war schon vernehmbar und die Sozialistengesetze, die sich gegen die „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ richteten, waren gerade mal acht Jahre außer Kraft, als sich in Hockenheim 1898 der SPD-Ortsverein gründete.
120 Jahre sind seitdem ins Land gegangen, doch so richtig gefeiert wurde im vergangenen Jahr nicht, wie SPD-Vorsitzende Ingrid von Trümbach-Zofka und Fraktionsvorsitzender Willi Keller bei einem Gespräch mit unserer Zeitung betonten. Es war auch kein „klassisches Jubiläum“, aber doch ein Anlass zum Innehalten, zur Reflexion. Aber, und deshalb wollen sie das Datum doch nicht ganz unkommentiert vorüberziehen lassen, vor 100 Jahren war es, dass die Geschichte der Arbeitnehmerbewegung und damit der SPD so richtig Fahrt aufnahm.
Europa lag in Trümmern, der Krieg war vorüber und die Menschen sehnten sich nach Frieden. Der Kaiser war verjagt, die Novemberrevolution zwar niedergeschlagen, aber in der jungen Republik erhoben die Arbeitnehmer ihr Haupt, forderten ihre Rechte ein. Und nicht zuletzt waren es die Frauen, die während des Kriegs in die Verantwortung getreten und die nun nicht mehr gewillt waren, ins Glied zurückzutreten. Weshalb nicht ohne Grund gerade jetzt 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert werden. Eine berühmte Persönlichkeit der damaligen Zeit Rosa Luxemburg, die vor dem Weltkrieg ein große Rolle in der SPD spielte, die gegen Militarismus und Krieg war und deshalb mit anderen Kriegsgegnern 1916 die USPD gründete und 1919 zusammen mit Liebknecht die KPD gründete und die gemeinsam mit ihm am 15. Januar 1919 ermordet wurde.
Sozialdemokratin gründet Awo
Geschichte schrieb auch die Sozialdemokratin Marie Juchacz, die nach Erringung des Frauenwahlrechts am 19. Februar 1919 als erste Frau eine Rede im Reichstag hielt und die noch im gleichen Jahr zusammen mit anderen die Arbeiterwohlfahrt gründete. Kurzum, nach dem ersten Weltkrieg nahm die Geschichte der SPD so richtig Fahrt auf, immer eng verknüpft mit der Geschichte der Arbeitnehmerbewegung. Allerdings war die Weimarer Republik für einen wirklichen Neuanfang zu instabil, die logische Folge war eine zunehmende Radikalisierung, die letztlich in die Diktatur der Nazis mündete und damit in die Schrecken des Zweiten Weltkriegs.
Was folgte, war eine bisher einzigartige Zeit in der deutschen Geschichte – über sieben Jahrzehnte des Friedens. Für die Sozialdemokraten eine zwiespältige Angelegenheit. Zwar stellte sie mit Franz Hund und, in erster Linie Karl Buchter, bis Ende der 70er Jahre den Bürgermeister, doch bei den Kommunalwahlen pendelte sie sich um die 30 Prozent ein. Die Euphorie der beginnenden Industrialisierung mit der starken Tabakindustrie vor Ort hatte ihren Schwung verloren, die Arbeiter verdienten ihr Brot auswärts und Hockenheim blieb landwirtschaftlich geprägt.
Dennoch, gerade in der Ära Buchter schreiben sich die Sozialdemokraten zugute, die Geschicke der Stadt maßgeblich gelenkt zu haben. Buchter, nicht nur von ihnen als „Architekt des modernen Hockenheimes“ bezeichnet, drückt der Stadt seinen Stempel auf. Neubau des Rings, Schaffung des Schulzentrums oder Bau des Schwimmbades – Keller kann zahlreiche Punkte aufzählen, wo noch heute das Wirken von Buchter spürbar ist. Ob Bau der Rheintalbahn oder des Industriegebiets Talhaus, die Grundpfeiler für eine moderne Stadt wurden gelegt.
Wenn, so Willi Keller rückblickend, ein Thema den SPD-Ortsverein durch seine nunmehr 120-jährige Geschichte begleitet, so ist es der Wohnungsbau. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist heute so groß wie früher und eine permanente Aufgabe der Kommunalpolitik.
Weshalb sich Keller und Trümbach-Zofka zwar ihrer Wurzeln durchaus bewusst sind, aber dennoch lieber weiterarbeiteten als zu feiern. Zumal in diesem Jahr noch einige Jubiläen anstehen, erinnert sei nur an 100 Jahre Arbeiterwohlfahrt, eine Einrichtung, deren Geschichte eng mit der SPD verbunden ist. Und ein anderes örtliches Jubiläum könne der Bundespartei als Beispiel dienen, fügt Keller hinzu: Ingrid Trümbach-Zofka ist seit nunmehr 20 Jahren Vorsitzende des Stadtverbandes. Ein Beispiel, an dem sich die Bundespartei ein Beispiel nehmen könnte, die an ihrer Spitze kaum mit Kontinuität strahlt.
Arbeiten auch deshalb, weil in diesem Jahr noch einige entscheidende Wahlgänge und damit Weichenstellung anstehen. In erster Linie haben die beiden Vorsitzenden dabei die Oberbürgermeisterwahl im Sinn, die sie mit der Hoffnung verknüpfen, weiterhin das Stadtoberhaupt zu stellen.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim_artikel,-hockenheim-mit-dr-buchter-die-weichen-im-ort-gestellt-_arid,1386695.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim.html