Hockenheim/Ketsch. 1070 Kilometer, 4560 Höhenmeter, insgesamt 50 Stunden auf dem Rad und dies mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 21,4 Stundenkilometern – die Daten der Tour durch Deutschland, die Dr. Thomas Soballa innerhalb einer Woche mit dem Fahrrad absolvierte, sind beeindruckend. Doch die Strapazen sieht man dem Ausdauersportler nicht an, entspannt und mit der typischen Radfahrerbräune im Gesicht und an den Armen, erzählt er im Anschluss an die Tour im Gespräch mit unserer Zeitung von den vielen Erfahrungen, die er gemacht, Eindrücken, die er gewonnen hat.
Wobei, von Strapazen will der Allgemein- und Sportmediziner, der in Ketsch lebt, im Med-Center arbeitet, nicht sprechen. Ganz klar, der Körper muss mitspielen, aber auch der Geist muss willens sein. Und für diesen spricht Soballa von Erholung pur: „Es war wie Urlaub.“ Den ganzen Tag habe er sich bewegt, sich einzig auf die Frage nach dem richtigen Weg konzentriert – „es gibt nichts Stressfreieres“, freut sich der Mediziner, der von seinem Arbeitsalltag her weiß, was Stress bedeutet.
Dennoch, verhehlt er nicht, an zwei Tagen ist auch er an seine Grenzen gekommen. Beispielsweise an Tag sechs, als ihn seine Tour freitags von Ketsch nach Freiburg führte. Gut 195 Kilometer lang ist die Strecke, die er vorsichtshalber schon früh am Morgen in Angriff nahm – die Hitzewelle zwang ihn schon um 5 Uhr aufs Rad. Doch ab 10 Uhr, erinnert er sich, wurde die Hitze fast unerträglich – 35 Grad Celsius seien schon grenzwertig gewesen. „Ich weiß gar nicht, wie viel Wasser ich an diesem Tag getrunken habe.“
Besser Hitze als Sturm
Klar, es hätte nicht die Hitzewoche sein müssen, die sich der Radler für seine Deutschlandtour aussuchte, doch war ihm die Wärme immer noch lieber, als wenn ihm Wind und Regen um die Ohren geheult hätten, wenn er ein Sturmtief erwischt hätte.
Auf das Wetter hatte er keinen Einfluss, doch die Tour selbst hatte er akribisch vorgeplant, für die sieben Tourtage Route und Hotels im Vorfeld festgelegt. Was gerade bei den frühzeitigen Hotelreservierungen ein Glücksfall war – in Corona-Zeiten sind Hotels spontan nur schwer zu belegen. Die Route selbst war im Navi programmiert und so konnte sich Soballa tagsüber ganz aufs Radeln konzentrieren.
Los ging es sonntags in Flensburg, über 172 Kilometer führte die Routen nach Stade, wofür der Arzt fast acht Stunden im Sattel saß. Tags darauf war nach 134 Kilometer und sieben Stunden Fahrzeit Cloppenburg erreicht und dienstags ging es weiter bis Gevelsberg – 186 Kilometer und achteinhalb Stunden Fahrzeit stehen im Logbuch. Kurze Anmerkung von Soballa: Als Etappenziel sollte man tunlichst keinen Ort auswählen, der auf -berg endet – „die letzten Meter hoch nach Gevelsberg hatten es in sich“.
Zwischenstopp in der Heimat
Mittwochs ging es dann weiter in Richtung Koblenz – 145 Kilometer, sieben Stunden Fahrzeit und von dort aus war donnerstags nach 172 Kilometern und knapp acht Stunden die Heimat erreicht – Ketsch diente als Etappenziel. Freitags dann das letzte Gewaltstück nach Freiburg, fast neun Stunden brauchte Soballa für die gut 195 Kilometer, und Samstag die Schlussetappe nach Weil am Rhein mit 65 Kilometern und einer Fahrzeit von gut drei Stunden.
Zum Glück war Soballa zu Tourbeginn topfit, sonst hätte er die extremen Anforderungen wohl nicht gepackt. Der Mediziner, der sich im Frühjahr beim Skifahren den Schenkelhals gebrochen hatte und die Deutschlandtour deshalb vom Juni auf den August verschieben musste, war schon im Mai wieder im Training, baute Kräfte auf für die Tour.
Das einzige Zugeständnis, was er der erlittenen Fraktur einräumte: Er verzichtete darauf, quer durchs Land zu radeln, wollte sich die Mittelgebirge mit ihren Anstiegen ersparen und wählte stattdessen den Weg durchs Rheinland.
Im Nachhinein eine gute Wahl, wie er feststellt, die Strecke entlohnte ihn mit zum Teil fantastischen Blicken. Über 150 Kilometer ging es beispielsweise am Rhein entlang, schwärmt Soballa noch jetzt von dem Abschnitt Bonn nach Bingen.
Highlights waren für ihn auch die Unterquerung des Nord-Ostsee-Kanals, die Überquerung mit einer kleinen handbetriebenen Fähre der Sieg bei Bonn oder die Fahrt durchs Ruhrgebiet mit seinen zahlreichen Industriedenkmälern oder der Hochbahn der Uni Dortmund.
In Erinnerung wird ihm auch die Etappe von Cloppenburg nach Dortmund bleiben, als am Hinterrad seines Fahrzeugs – er nennt es ein geländetaugliches Rennrad – Probleme auftraten. In Münster fand er einen Fahrradhändler, der ihm helfen konnte, ihm einen pannensicheren Reifen aufzog. Eigentlich keine große Geschichte, aber sie kostete ihn jede Menge Zeit. Er erreichte sein Hotel an diesem Tag erst um 20 Uhr – um 6.30 Uhr am nächsten Morgen saß er schon wieder auf dem Rad.
Zeitplan eng getaktet
Sein Zeitplan drohte übrigens schon am ersten Tag ins Wanken zu geraten. Mit der Bahn wollte er von Mannheim nach Flensburg, wo am nächsten Morgen die Tour starten sollte. Probleme mit seinem Zug führten dazu, dass er mit sechs Stunden Verspätung in Flensburg ankam, kurz nach Mitternacht noch etwas Schlaf bekam, bevor er früh am Morgen aufs Rad musste.
Doch wenn er etwas auf seiner Tour gelernt hat, dann Gelassenheit. Beispielsweise als ihn sein Navi zu einem Umweg zwang oder die letzte Etappe bei Windböen und Regen, vor Weil am Rhein standen 500 Höhenmeter, zur Tortur wurde – da lachte er in den Wind, ändern konnte er an den Gegebenheiten ohnehin nichts. „Man lernt die Dinge hinzunehmen“, hat ihn die Natur Demut gelehrt. Diese Gelassenheit will er in den Alltag hinüberretten.
Auch wenn die Tour den Körper forderte, Urlaub für den Geist war, stand Soballa dennoch unter einem selbstauferlegten Druck – fuhr er doch nicht nur für sich, sondern auch für ein Krankenhaus in Tansania, in dessen Einzugsgebiet über 90 000 Menschen leben und wo das Coronavirus grassiert. Über 2000 Euro kamen am Ende zusammen – der Mediziner hatte im Vorfeld in den sozialen Netzwerken kräftig die Werbetrommel gerührt. Und dieses soziale Engagement war ihm Antrieb, die Tour auf jeden Fall zu beenden.
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