Hockenheim. Die streng auf 111 Exemplare limitierte „Faschingsbox“ des Hockenheimer-Marketing-Vereins (HMV), mit der man sich mit allerlei Leckereien und Deko zuhause auf die Teilnahme am ersten virtuellen Fasnachtsumzug über Youtube-Live-Stream vorbereiten konnte, reichte noch nicht einmal ansatzweise für alle Teilnehmer, die am Samstag zwischen 13 und 16 Uhr dabei waren. Denn am Ende der Veranstaltungen hatten insgesamt fast 1600 Zuschauer der Veranstaltung beigewohnt und am Ende des Tages waren es sogar fast 4000 Aufrufe.
Die tolle Idee, den 62. Hoggema Faschingszug – zum allerersten Mal in der Geschichte – wenigstens virtuell stattfinden zu lassen, nachdem dieser Corona-bedingt zumindest in traditioneller Form nicht stattfinden konnte, stammte von HMV-Mitarbeiterin Sarah Nieder, die die Veranstaltung dann zusammen mit einem gut gelaunten Cihad Baz, ebenfalls im HMV aktiv, live aus dem Kulturhaus Pumpwerk moderierte. Dort sorgte auch DJ la Dous für Stimmung und animierte das ferne Publikum erfolgreich zum Tanzen.
Videoclips eingespielt
Über die Videokonferenz-Plattform Zoom gewährten viele Närrinnen und Narren Einblicke in die heimischen vier Wände und gaben allerlei Dancemoves in fantasievollen Kostümen zum Besten, die man dann in Einblendungen sah. Von Schunkeln bis zum Mann im Kuhkostüm der den „Gangnam Style“ tanzte, war alles dabei. Ziel sei es, so die Moderatoren, den Fastnachtszug virtuell nachzubilden. Die Akteure, die normalerweise daran beteiligt gewesen wären, hatten daher die Möglichkeit, Videoclips zur Verfügung zu stellen, was auch reichlich wahrgenommen wurde.
Oberbürgemeister Marcus Zeitler begrüße die Gäste zusammen mit Zugmarschall Christoph Kühnle. „Damit auch jemand in diesem Video gut aussieht, haben wir hier die Bilder unserer drei Prinzessinnen aufgestellt, die die gleichen sind wie im letzten Jahr“, scherzte das Rennstadt-Oberhaupt und zeigte lächelnd auf die Bilder ihrer Lieblichkeiten Melissa I, Sophie I. und Rennstadtprinzessin Eva I. Er betonte: „Corona verbietet, dass ich Sie in diesem Jahr direkt auf dem Umzug begrüßen kann, aber das heißt ja nicht, dass wir nix machen.“ Der Vorsitzende des HMV, Richard Damian, richtete sich ebenfalls an die Online-Gäste, kam dafür gleich auf einem Dino einher geritten und gab sich hoffnungsvoll: „Nächstes Jahr, da lassen wir es dafür ordentlich krachen in der Innenstadt.“ Natürlich ließen es sich im Verlauf des Nachmittags die Prinzessinnen nicht nehmen, ihre Untertanen zu grüßen, genau wie deren Karnevalsvereine.
Den virtuellen Zug eröffnete, wie üblich, der Fanfarenzug, diesmal allerdings mit einem Grußwort des ersten Vorsitzenden Dr. Ole Jakubik und anschließenden Bildern vergangener Jahre seiner Truppe vor „Corona“. Auch stellte er den neuen lateinischen Fanfarenzug-Slogan „Semper Sodalis“ vor, was so viel wie „immer kameradschaftlich“ bedeutet – ein Motto, das aktuell passender nicht sein könnte.
Bester Laune waren die Mitglieder der „Fairtradegruppe“, die, jeder für sich, im Bananenkostüm zum berühmten „Hafer- und Bananenblues“ vom „Äffle und Pferdle“ in einer gelungenen Collage tanzten und sangen. Auch die „Faschingsfreunde Hoggene“ hatten ein Video eingeschickt. Nostalgisch wurde es, als Aufnahmen des Fasnachtsumzug anno 1970 eingeblendet wurden. Seiner Wut auf Maskenverweigerer und unfähige Politiker machte „Der Pestarzt“ Luft. In mittelalterlichem Outfit und mit waschechter „Pestilenznase“, kritisierte er humorvoll das Krisenmanagement und die Unvernunft mancher Zeitgenossen. Hinter der Maske steckte der Konrektor der Theodor-Heuss-Realschule, Robin Pitsch.
Im Videobeitrag der AGAA (Alte Gaussianer auf Abwegen) „How to build a Festwagen“ ging es ebenfalls lustig her. Die „Ofdascha Hardtwaldhexen“ durfte man beim Skifahren und Abtanzen erleben, während die „Waldbronner Hexen 1982“ sich schwungvoll in Hexenmontur zum Megahit „Jerusalema“ von Master KG bewegten. Die Reilinger Kraichbachschlabbe zeigten die launige Odyssee eines Mitglieds.
Diese und viele weitere Beiträge bewiesen, dass sich aktive Fasnachter von dem Virus nicht die gute Laune verderben lassen, was auch die zahlreichen Einblendungen der daheim Feiernden verdeutlichten. Und der Karnevalverein Reilingen „Die Käskuche“ tanzte zur „Längsten Polonaise der Welt, weil jeder 1,50 Meter Abstand hält“.
Probleme schnell im Griff
Manchmal stockte die Übertragung, aber nie lange. Technische Probleme konnten immer schnell behoben werden. Auch konnte mal ein Videobeitrag nicht gezeigt werden, was aber die Ausnahme darstellte. Professionell agierten die beiden Moderatoren-Newcomer Sarah Nieder und Cihad Baz, scherzten untereinander, erzählten Witze oder tanzten neben dem DJ als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Entsprechend positiv fielen die Kommentare im parallel laufenden Youtube-Chat aus. So schrieb etwa Leon H. „Cihad for Oberbürgermeister“.
Was dem aufmerksamen Teilnehmer nicht entgangen sein dürfte ist, dass gegen Ende der Veranstaltung viele Chatkommentare in Rekordzeit gelöscht wurden. „Darin ging es unter anderem um Drogen“, so Cihad Baz auf Anfrage. Auch hatte ein Teilnehmer geäußert, dass er sich nicht länger nur virtuell treffen wolle, was auf Zustimmung einiger anderer stieß, worauf man begann, sich „draußen“ zu verabreden – genau das, was es zu vermeiden galt. „Es waren extra zwei Personen zur Chat-Moderation abgestellt“ so Sarah Nieder.
Die Moderatoren bedankten sich bei allen Beteiligten und freuten sich: „Im Schnitt waren immer 600-700 Zuschauer kontinuierlich dabei“, auch wenn Sarah Nieder schon zu Beginn verlautbaren ließ: „Wir treffen uns hier jetzt zum ersten und hoffentlich auch zum letzten Mal zum Online-Faschingszug.“ Es war eine großartige Veranstaltung, die allen Teilnehmern sicher viel Freude bereitet hat, auch wenn hin und wieder Wehmut aufkam – denn, obwohl „online“ geht – „real“ macht das Feiern an Fastnacht doch noch den meisten Spaß.
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