Hockenheim/Oberhausen-Rheinhausen. „Chap“ blickt in die Handykamera von Rebecca Streibel, Sohn Noel (5) sitzt in seinem Bollerwagen und wird durch den Wald geschoben. Was aussieht wie ein kleiner Familienausflug, ist für die Familie Streibel aus Oberhausen-Rheinhausen ein Trip in den Norden Deutschlands. Von Urlaub ist dabei nicht die Rede, es geht um das Kennenlernen von Assistenzhund „Chap“ und die ersten Bindungsaufbautage, die für Hund und Familie enorm wichtig sind.
Zwei Jahre ist es bereits her, dass Familie Streibel, deren Sohn in den Kindergarten Sonnenblume in Hockenheim geht, Kontakt zum WZ-Hundezentrum in Lalendorf bei Rostock aufnahm. Die Hoffnung war groß, dass im Notfall ein Hund das Leben des Sohnes retten könnte. Noel leidet an Epilepsie – einer Genmutation, die sehr selten und spontan ist. Noels anfängliche kurze Anfälle veränderten sich zu ständigen „status epilepticus“, das bedeutet andauernde Anfälle, die bis zu zwei Stunden am Stück in Folge auftreten können. Im Fall der Fälle kann „Chap“ zum Lebensretter werden. Er könnte den Eltern Rebecca (28) und Etienne Streibel (30) zum Beispiel das Telefon bringen, wenn Noel Anfälle hat. Außerdem könnte der Vierbeiner die Familie vor einem bevorstehenden Krampfanfall warnen, durch Auflegen bei einem Anfall für Wärmeerhalt sorgen und Noel dabei schützen. Des Weiteren vermittelt der Hund Noel ein Gefühl von Sicherheit, was wiederum Krampfanfälle nachweislich verringern kann.
Eine erste Hürde stellte die Summe von 26 000 Euro dar, die für die zweijährige Ausbildung des Hundes aufgebracht werden musste (wir berichteten mehrfach). Durch Spenden, Spendenläufe und „Kinder unterm Regenbogen“ – einer Hilfsaktion des regionalen Radiosenders Radio Regenbogen – kam nicht nur die Summe für die Ausbildung zusammen. Es konnte zudem ein Lärmschutz für Noels Zimmer finanziert werden. Denn Lärm fördert die Gefahr von Anfällen, wie seine Mutter und gebürtige Hockenheimerin Rebecca Streibel damals erklärte.
Am Gründonnerstag ging es für die Familie los Richtung Rostock – eine Woche dauerte der Aufenthalt. Mit einer Notwendigkeitsbescheinigung konnten Streibels ein Ferienhaus mieten, um die Bindungsaufbautage mit Assistenzhund „Chap“ und dem Trainer umsetzen zu können. „Wir haben das kurzfristig gebucht, was recht gut ging, weil ja kaum einer wegfahren kann“, sagt Rebecca Streibel, als wir mit ihr ein paar Tage nach der Rückkehr telefonieren.
Nach einem Jahr traf die neue Familie von „Chap“ also wieder im Norden ein. „Es war eine Art Schock für uns und ,Chap‘“, beschreibt die junge Mutter die Situation, die am Anfang ungewohnt und neu war. Dazu kommt, dass Noel derzeit viele schlechte Phasen hat – nicht anfalls-technisch, sondern in der Entwicklung. „Seit einem Jahr baut sich da nicht mehr so viel auf. Wir müssen nun schauen, dass es nicht rückwärts geht, weil er auch viele Spasmen dazubekommen hat“, beschreibt die 28-Jährige die Situation ihres Sohnes – ruhig und gefasst wirkt sie dabei. An nichts und niemandem habe der fünfjährige Junge derzeit Interesse, „was er auch in vollem Zuge in Lalendorf zeigte“.
Schön war für die Eltern, dass „Chap“ Noel an seinem Geruch direkt wiedererkannt hat. Für die Ausbildung wurden Geruchsproben von Noel genommen, mit denen der Australian Shepherd trainiert wurde. „Immer wieder hat er die Schnauze in den Bollerwagen gesteckt, in dem Noel saß“, sagt Rebecca Streibel erleichtert und mit viel Freude in der Stimme. Immer wieder kam „Chap“ zu Noel, obwohl der Fünfjährige ihm nicht so viel Beachtung schenkte – doch die Aufmerksamkeit des Hundes galt stets dem jungen Noel. An eine Situation erinnert sich Rebecca Streibel positiv zurück: Noel hat einen kleinen Spasmus und packte „Chap“. Dieser blieb ruhig und gelassen – bekam ein Leckerli für die Situation. Ein gutes Zeichen für alle.
Aura tut Mensch und Tier gut
So haben die Reise und das Kennenlernen allgemein sowohl Noel als auch „Chap“ gutgetan. Beide konnten entspannen. Auch wenn Trubel mit den zwei anderen Söhnen (7 und 2 Jahre) von Rebecca und Etienne Streibel war, blieb „Chap“ entspannt liegen und schloss seine Augen. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Die Aura tat einfach beiden gut“, beschreibt Streibel. So zeigt sich auch „Chaps“ Hundetrainer zufrieden, wie sie verrät. Obwohl die Situation für den Australian Shepherd neu und laut war, ließ er sich schnell darauf ein. „Aber er brauchte auch ein paar Minuten, um warm zu werden. Das könnte noch etwas besser werden“, erklärt die junge Mutter, dass die Trainer sagten, dass „Chap“ einen guten Eindruck macht. Auch weil er sich einfach fallenlassen konnte in der Situation.
Stolz und zufrieden zeigt sich Rebecca Streibel mit ihrem Sohn. Obwohl es eine ungewohnte Umgebung für den Fünfjährigen war, konnte auch er sich fallen lassen. Er war nicht immer unter Strom und irrte umher. „Wäre Noel die Situation nicht geheuer gewesen, hätte er da dauerhaft rausgewollt“, erklärt die Mutter, wie sich ihr Sohn ansonsten verhalten hätte.
Familie Streibel ist glücklich, dass sie die Reise nach Lalendorf in der aktuellen Situation überhaupt antreten konnte. So können sich Noel und „Chap“ in zwei Monaten, wenn der Australian Shepherd bei den Streibels in Oberhausen-Rheinhausen einzieht, wiedererkennen. Und es liegt kein Jahr zwischen einem erneuten Wiedersehen. Die Teamschulung, die dann ab Juni ansteht, werde dadurch für Kind und Hund sowie für Mutter Rebecca Streibel einfacher und muss daher auch nicht länger sein – wenn alles klappt, wie es soll.
Im Juni kommt der Einzug
Wie geht es nun für die Familie weiter? Am 14. Juni reisen Streibels erneut nach Lalendorf. Dort beginnt die Teamschulung, die bis zum 20. Juni dauern wird. Und dann wird es ernst. Die Rückfahrt in die Heimat steht an. Der Trainer und „Chap“ werden der Familie mit ein paar Stunden Versatz hinterherreisen. Die erste Nacht verbringt „Chap“ dann auch in seinem neuen Zuhause in Oberhausen-Rheinhausen. Etwa vier Tage wird der Trainer dann bleiben und der Familie unterstützend zur Seite stehen, bevor er wieder abreist.
Die ersten Stunden dienen der Schulung für die 28-jährige Rebecca Streibel. Denn sie wird diejenige sein, die den Hund versorgt, „denn in unserem Fall ist es eine Dreiecksbeziehung – Noel, ,Chap’ und ich.“ Außerdem ist sie diejenige, die die Zusammenführung und den Bindungsaufbau weiterbetreibt. „Bis die zwei dann ein richtiges Team sind, kann es ein Jahr dauern“, erklärt sie, dass alle drei Monate ein Trainer kommt und neue Dinge aufgebaut und erlernt werden. „Ich führe beide zusammen und festige das Miteinander. Ich muss darauf achten, dass ,Chap’ in gewissen Situation zu Noel geht und mit ihm fest verbunden ist“, macht die Mutter weiter klar, welche Aufgabe sie hat. Theoretisch sei es auch so, dass niemand außer Rebecca und Noel Streibel mit „Chap“ etwas zu tun haben dürften, was sich in einer Familie schwer gestaltet. Daher hat der Assistenzhund bereits gelernt, was er darf und was nicht und auch die anderen beiden Kinder von Rebecca und Etienne müssen lernen, wo die Grenzen sind – „es ist eben was anderes als ein Familienhund.“
Schwer werde wohl die Situation werden, dass niemand anderes „Chap“ berühren darf. „Nur Familienmitglieder, die im Haus leben, dürfen das“, erklärt die 28-Jährige. Wenn Familie Streibel Besuch hat und „Chap“ kommt von selbst zu den Gästen, dann dürfen diese über seinen Kopf streicheln. „Aber es muss vom Hund aus kommen“, stellt sie klar und betont auch, dass der Trainer sagte, dass „Chap“ dies wohl nicht tun wird. „Da bin ich noch sehr gespannt“, sagt die junge Mutter und lacht.
„Chap“ ist ein Hund, der vieles darf. Dies bedenken die meisten Menschen nicht, wie Streibel erklärt. „Er darf mit in den Supermarkt, er darf im Flugzeug vorne zu den Passagieren. Er darf einfach überall mit hin“, benennt die 28-Jährige Beispiele. „Chap“ hat eine Kennzeichnungsdecke und es gibt ein Zertifikat, was die Familie mit sich trägt. Was da noch auf Streibels zukommen wird, kann die junge Mutter nur erahnen. Sie ist positiv gestimmt, dass die Menschen tolerant reagieren und die Situation verstehen, wenn sie es erklärt.
Allgemein geht es der Familie derzeit gut, die Aufregung ist da, aber die Gesundheit von Noel steht im Fokus. Große Anfälle hatte er in den vergangenen Monaten nicht, aber Absencen über den Tag sind dazugekommen – drei waren es dieses Jahr bereits. „Noel ist dann abwesend, liegt mit dem Kopf auf, bricht und braucht gute zwei Stunden, bis er wieder richtig da ist“, beschreibt Rebecca Streibel, was dann mit ihrem Sohn passiert.
Die nächsten Monate werden für die Familie spannend und neu werden. Eine aufregende Zeit steht bevor, wenn der mögliche Lebensretter sein neues Zuhause bezieht.
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