Oberhausen-Rheinhausen. Noel sitzt auf seinem Stuhl am Esstisch und puzzelt. Assistenzhund „Chap“ liegt zu seinen Füßen. „Zwischen beiden klappt alles sehr gut. Wir konnten auch 2023 wieder Teamschulungen machen und möglicherweise im Sommer können wir die Prüfung ablegen“, berichtet Rebecca Streibel (31) erfreut über die Entwicklung ihres Sohnes mit dem Australian Shepherd. Durch die Teamschulungen in Norddeutschland und zu Hause in Oberhausen-Rheinhausen hat sich auch eine Änderung in der Handhabe mit „Chap“ ergeben. Er hat nun „Ausgang“, wie Streibel es nennt. Das bedeutet, dass er nicht mehr, wie zu Beginn trainiert, in seinem Körbchen bleiben muss und nur auf Rufen der 31-Jährigen dieses verlassen darf.
Das Anzeigeverhalten von „Chap“ ist sehr gut, wie Rebecca Streibel erklärt. Vor allem, wenn die Familie unterwegs ist, funktioniere das sehr gut. Doch zu Hause tauchen Probleme auf. „Wenn ,Chap‘ in seinem Korb liegt, bekommen wir es teilweise ja gar nicht mit, wenn er anschlägt. Er merkt schon mehrere Stunden, bevor ein Anfall kommt. Unterwegs ist das kein Problem. Aber zu Hause schon, wenn er nur in seinem Korb liegen darf“, klärt die vierfache Mutter auf.
Schulbegleitung
Ob ein Kind eine Schulbegleitung bekommt, ist abhängig vom Bundesland. Bei Familie Streibel kam eine Gutachterin und legte der Familie nahe, Noel auf eine Schule mit Schwerpunkt für körperliche und motorische Einschränkungen zu schicken.
Ein Schulbegleiter ersetzt keine Lehrkräfte. Aber er hilft diesen bei ihren Aufgaben, damit das Kind mit Behinderung das Angebot der Schule wahrnehmen kann.
Zudem hilft die Person dem Kind im sozialen und emotionalen Bereich sowie bei der Kommunikation oder auch bei Tätigkeiten wie dem An- und Ausziehen, den Mahlzeiten oder Toilettengängen.
Wer selbst Interesse hat, sich als Schulbegleitung für Noel zu bewerben, oder wen kennt, der dafür Zeit hat, kann sich per E-Mail an vanessa.schwierz@ schwetzinger-zeitung.de wenden. Wir leiten die Mail dann an die Familie Streibel weiter. vas
Daher war in den Teamschulungen ein wichtiges Anliegen von Rebecca Streibel, dass „Chap“ den Korb auch ohne Aufforderung beziehungsweise Befehl verlassen darf. „Wenn Noel in den Raum kommt, dann kommt ,Chap’ direkt raus und bleibt immer in Noels Nähe“, sagt Streibel. Dies habe den großen Vorteil, dass der Vierbeiner auch unter Beobachtung der Eltern ist und so schneller gesehen werden kann, ob „Chap“ einen möglichen Anfall von Noel anzeigt.
Anfälle häufen sich
2023 war ein von Anfällen geprägtes Jahr. Der Gesundheitszustand von Noel war sehr schlecht. Die Anfälle reihten sich aneinander. Atemstillstand und Reanimation gehörten alle paar Wochen zum traurigen Alltag. Doch es gibt eine Lösung, von der die Familie nun Gebrauch macht. Um den Anfällen Herr zu werden beziehungsweise diese für Noel und seine Familie „angenehmer“ zu gestalten, bekommt Noel seit Ende 2023 ein Medikament für Epileptiker – ein Cannabidiol. Es ist zum Beispiel entkrampfend und angstlösend. Zweimal am Tag bekommt der Siebenjährige die Tropfen. Und es zeigt seine Wirkung. Auch, wenn Krämpfe alle zwei bis drei Wochen auftauchen, krampft Noel nicht mehr mit Atemstillstand. Er ist ansprechbar. Kommt schneller aus dem Anfall raus. Ansonsten entwickelt sich Noel gut, wie seine Mutter im Gespräch sagt. „Er ist sehr anwesend, fokussiert, hat Lust, zu lernen“, sagt die 31-Jährige und betont, dass genau dies ihr Sorgen mache, denn Noel fehle zu oft in der Schule.
Die Familie war auch wieder mit Assistenzhund „Chap“ zur Teamschulung in Norddeutschland, machte auch einen Abstecher nach Berlin. Denn dort hatte Noel einen Termin in der Charité. Im Fernsehen sah das Ehepaar Streibel eine Reportage zu einer Gentherapie, die derzeit am Berliner Krankenhaus getestet werde. Mit einer Professorin tauschte sich das Ehepaar aus. Doch es kam die Ernüchterung. Zum einen, weil Noel die entsprechenden Genmarker nicht mitbringe und zum anderen mit seinen sieben Jahren auch schon etwas zu alt dafür sei.
Viele Fehltage
Der Junge besucht eine Schule in Kronau – ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Es ist sein zweites Schuljahr und die Schule macht ihm Spaß. Doch viel zu häufig kommt es zu Fehltagen. Im ersten Schuljahr war er mehrere Monate nicht in der Schule. „Zum einen sind es die Ferien, die logisch sind, aber durch Erkrankungen seiner Schulbegleiterin verpasst er sehr viel Unterricht. Und wenn er dann selbst mal noch krank wird, häuft sich dies einfach“, erklärt Rebecca Streibel und ist enttäuscht, da sie mit diesen Problemen vonseiten der Schule und des Bundes allein gelassen werde. Eine Schulbegleitung muss die Familie auf privatem Weg finden. Das gestalte sich schwierig, auch wenn es dafür keine spezielle Ausbildung brauche.
Alle Kinder in Deutschland unterliegen der Schulpflicht – auch Förderkinder. Doch diese seien nach Streibels Meinung oft von der Bildung ausgeschlossen. Vor allem dann, wenn sie eine Schulbegleitung haben. „Mein Sohn soll lernen und will auch, aber er ist unterfordert und wir als Familie können das nicht auffangen“, erklärt sie. Wenn die Schulbegleitung ihres Sohnes erkrankt, dann kann Noel nicht in die Schule gehen. Und er ist auf eine Schulbegleitung angewiesen, seine Mutter erklärt warum: „Noel ist sehr agil, kann sich frei bewegen, aber Gefahren einfach nicht erkennen. Er braucht jemanden, mit dem er kommunizieren kann, weil er nicht sprechen kann. Wenn ihm der Alltag zu viel wird, dann muss man mit ihm auch mal den Klassenraum verlassen, raus ins Freie gehen. Auch Handlungsschritte müssen ihm genau erklärt werden. Er kann vieles dann auch allein, beziehungsweise mit Unterstützung, aber man muss ihm sagen und erklären, was als nächstes kommt.“ Die Kommunikation mit Noel läuft immer mehr über Gebärden und Bildkarten, wie seine Mutter sagt. Damit kann er sich gut ausdrücken. Auch einen Computer soll er noch bekommen, wodurch er zeigen kann, was er will.
Freie Wahl nicht möglich
Was Rebecca Streibel problematisch sieht, ist die Tatsache, dass sie die Schule für ihren Sohn nicht allein wählen kann. Sie lebt im Landkreis Karlsruhe, ist also auf entsprechende Schulen in diesem Landkreis angewiesen. Privatschulen zu finden ist ebenfalls nicht einfach. „Ich wäre bereit, eine solche Schule zu zahlen, wenn ich dann weiß, dass mein Sohn auch sicher am Unterricht teilnehmen kann und dort gut aufgehoben ist“, erklärt Streibel, dass sie sich derzeit viel umhört, welche Schulmöglichkeiten sie für ihr Kind hat und betont: „Gesunde Kinder haben doch auch die Möglichkeit, ihre Schule selbst zu wählen, wieso darf ich das für mein krankes Kind nicht?“
Gute Bildung als Ziel
Noel besuchte den integrativen Kindergarten Sonnenblume in Hockenheim, der von der Lebenshilfe betrieben wird. In diesem Alter stehen den Familien noch alle Möglichkeiten offen. „Der Kindergarten war toll. Noel war mit gesunden und kranken Kindern zusammen. Sie lernen und profitieren voneinander. Es gab Therapien für die Kinder.“ Das alles vermisst Rebecca Streibel aktuell. Vor allem die Regelmäßigkeit.
Diese fehlt auch ihrem Sohn. „Wenn er wieder lang nicht in die Schule konnte, dann kommt er aus dem Rhythmus und braucht ein paar Tage, um wieder reinzufinden“, sagt die 31-Jährige. Daher hofft sie, dass es möglich ist, eine zweite Schulbegleitung für ihren Sohn zu finden. „Unsere aktuelle ist toll, aber vielleicht finden wir wen, der es sich auch vorstellen kann, unseren Sohn zu begleiten. Und möglicherweise können sich die zwei Personen diese Aufgabe auch einfach teilen“, erklärt Rebecca Streibel und hofft darauf, mit einem Aufruf weitere Hilfe zu bekommen. Denn Noel kann die Schule nicht besuchen ohne Schulbegleitung, da „zu wenig Personal in der Schule ist, um sich richtig kümmern zu können“.
Ein Problem, das Rebecca Streibel sieht, aber hinterfragt. Denn sie möchte eine gute Bildung für ihren Sohn – wie andere Eltern eben auch. Dass ihr dabei so viele Steine in den Weg gelegt werden, sei für sie schwer zu verstehen.
Die Geschichte von Noel und „Chap“
Noel (7), der zweite Sohn von Re-becca (31) Etienne Streibel (34) leidet an Epilepsie – einer Genmutation, die sehr selten und spontan ist. Seit September 2022 geht er in die Schule. Er hat drei Brüder Leon (9), Valentin (5) und Nicolai (1).
Noels anfängliche kurze Anfälle veränderten sich zu ständigen „status epilepticus“ (andauernde Anfälle, die bis zu zwei Stunden am Stück in Folge auftreten können).
Seinen ersten Anfall hatte Noel mit sieben Wochen in den Armen seiner Mutter.
Ein Assistenzhund wie „Chap“ dient der Familie als Erleichterung und ist Freund und Helfer für Noel. Ein Assistenzhund kann vor Krampfanfällen warnen, Hilfe holen, durch Auflegen bei einem Anfall für Wärmeerhalt sorgen und Noel dabei schützen, Begleiter im Alltag, Straßenverkehr und öffentlichen Veranstaltungen sein.
Die zweijährige Ausbildung für den Hund kostete die Familie 26 000 Euro. Durch Spenden, Spendenläufe und „Kinder unterm Regenbogen“ – einer Hilfsaktion des regionalen Radiosenders Radio Regenbogen – konnte die Ausbildung finanziert werden. Zudem kam so viel Geld zusammen, dass ein Lärmschutz für Noels Zimmer finanziert werden konnte.
Seit Juni 2021 lebt „Chap“ bei der Familie. Zu Teamschulungen reist die Familie nach Norddeutschland oder bekommt vom Trainer auch Besuch zu Hause. Bei jeder Teamschulung wird auf die Entwicklung von „Chap“ geachtet und die Verbindung zwischen Mensch und Tier. Rebecca Streibel ist für die Zusammenführung und den Bindungsaufbau zwischen Noel und „Chap“ sowie für die Versorgung des Hundes zuständig. Dies wird in den Teamschulungen vertieft und in Alltagssituationen trainiert. vas
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