Im Interview

Nosferatu-Spinne im Rhein-Neckar-Kreis: „Bestand wird sich weiter erhöhen“

Der Biologe Dr. Dietrich Nährig spricht über die Nosferatu-Spinne und informiert über etwaige Gefahren für den Menschen.

Von 
Henrik Feth
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Die Nosferatu- Spinne sieht aufgrund ihrer Größe und Zeichnung gefährlich aus, ist aber weitestgehend harmlos. © Bluethner

Hockenheim / Rhein-Neckar-Kreis. Die Nosferatu-Spinne verbreitet momentan Angst und Schrecken unter den Bürgern im Rhein-Neckar-Kreis. Durch Größe und Aussehen haben nicht nur Arachnophobiker Respekt und Furcht vor dem achtbeinigen Krabbler. Der Biologe Dr. Dietrich Nährig, der seit Jahren die Spinnenfauna und Artenvielfalt in Hockenheim untersucht, spricht im Interview über die Ursachen der Nosferatu-Ausbreitung, die Gefahren rund um die Spinnenart und gibt Tipps, was man bei einer Sichtung tun sollte.

Herr Dr. Nährig, die Nosferatu- Spinne breitet sich immer mehr im Rhein-Neckar-Kreis aus. Diese Art ist ursprünglich in eher südlichen Gebieten wie dem Mittelmeerraum beheimatet. Worin liegen Ihrer Meinung nach die Gründe für die zunehmende Ausbreitung?

Dr. Dietrich Nährig: Die Wanderung der Nosferatu-Spinne ist ein klares Indiz für die zunehmende Klimaveränderung. Wie in diesem Sommer zu sehen, wird es bei uns immer wärmer und die Trockenheit steigt. Dadurch breiten sich verschiedene wärmeliebende Spinnen- und Insektenarten immer mehr Richtung Norden aus. Zwar werden diese auch passiv aus anderen Regionen eingeführt, wie beispielsweise durch den internationalen Handel, aber die Hauptursache ist der Temperaturanstieg, der ideale klimatische Bedingungen für Tiere wie beispielsweise der Nosferatu-Spinne schafft.

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Stellt die Verbreitung der Art eine Gefahr für hier heimische Spinnen und Insekten dar? Beispielsweise durch das Auftauchen neuer Fressfeinde?

Nährig: Das ist absolut nicht auszuschließen, denn Spinnen sind Räuber. Wie erste Beobachtungen zeigen, hat das Vorkommen heimischer Zitter- und Winkelspinnen in Wohnhäusern bei Anwesenheit der Nosferatu-Spinne teilweise schon abgenommen. Vor allem im Herbst zieht es zum Beispiel die Winkelspinnen aufgrund der Fortpflanzung in die Häuser und die Nosferatu-Spinne hat durch ihre Physis einen Vorteil gegenüber den meisten hier heimischen Artgenossen. Und als Jäger, der keine Netze baut, ist sie auch ständig nachts aktiv auf Beutesuche. Hier ist nicht auszuschließen, dass auch andere Spinnenarten ihr zum Opfer fallen.

Da es die Nosferatu-Spinne auch vermehrt in Wohnhäuser zieht: Gibt es spezielle Orte im Haus oder der Wohnung, an denen mit der Spinne zu rechnen ist wie beispielsweise den Keller oder das Dachgeschoss?

Nährig: Aus eigenen Beobachtungen kann ich sagen, dass die Nosferatu- Spinne keine Vorzugsorte in den Innenräumen hat. Sie kann praktisch überall im Haus auftauchen. Natürlich ist sie gerade im Sommer, wenn man oft Türen und Fenster zum Lüften geöffnet hat, in der Nähe von Hauszugängen und Fenstern zu finden. Möglich ist es, dass es bevorzugte Stellen für das Ablegen der Eier gibt, allerdings liegen hierzu noch nicht die nötigen Daten und Informationen vor. Solange unsere Winter nicht noch wärmer werden, wird die Nosferatu-Spinne auch weiterhin in Wohnhäusern leben und vorkommen.

Dr. Dietrich Nährig bei der Arbeit und Analyse der Spinnenfauna am Tag der Artenvielfalt 2018 der Lokalen Agenda in Hockenheim. © Schollenberger

Wie schnell kann sich die Art vermehren? Ist es möglich, dass bald jeder Haushalt im Rhein-Neckar-Kreis ein oder mehrere Exemplare der Achtbeiner zu Besuch bekommt?

Nährig: Die Nosferatu-Spinne ist einjährig, Weibchen werden etwas älter, und entwickelt sich sehr schnell. Bereits nach einer Lebenszeit von etwa 22 bis 30 Wochen sind die Jungtiere geschlechtsreif. Die Hochzeit der Paarungssuche ist hier August und September, was auch die deutlich erhöhten Sichtungen der vergangenen Wochen zeigen. Die Eikokons (bis zu drei) einer weiblichen Nosferatu-Spinne beinhalten jeweils 20 bis 50 Eier, aus denen innerhalb von eineinhalb Monaten die Jungtiere schlüpfen. Die Kokons werden von den Weibchen bewacht. Durch die inzwischen hier anzutreffenden hohen Temperaturen und die Trockenheit sind die Bedingungen für den Fortpflanzungszyklus der Spinnen ideal und daher ist damit zu rechnen, dass sich der Bestand weiter erhöhen wird. Somit kann eine Vielzahl von Haushalten davon ausgehen, dass sie bald als neues Heim einer Nosferatu-Spinne auserwählt werden.

Zum Teil wurde die Nosferatu- Spinne als ungewöhnlich angstfrei gegenüber Menschen bezeichnet. Die Rede war sogar von Aggression und aktiven Angriffen. Können Sie dies bestätigen? Wie gefährlich kann ein Biss für den Menschen sein?

Nährig: Aggressivität kann ich aus eigenen Beobachtungen nicht bestätigen, ein Tier müsste schon sehr getriezt werden, um einen Menschen anzugreifen. Natürlich kann es Ausnahmen geben, aber der Mensch zählt grundsätzlich nicht zur Beute einer Spinne und entsprechend verhalten sich die Tiere dann auch. Bei einem Biss kommt es zunächst darauf an, wie tief die Spinne durch die menschliche Lederhaut gekommen ist. Von Lebensgefahr kann hier aber nicht die Rede sein, je nach Bisskraft bewegen sich die Auswirkungen zwischen einem Mücken- und einem Bienenstich. Gefährlich kann es natürlich bei Allergien werden, aber das ist bei allen Stichen und Bissen der Fall und nicht explizit auf die Nosferatu-Spinne zu beziehen. Grundsätzlich besteht also kein Grund, die Spinne übermäßig zu fürchten, auch wenn deren Größe, Aussehen und Name eventuell dazu führt.

Gilt diese geringe Gefahr auch für beispielsweise Hauskatzen? Diese jagen auch gerne mal Spinnen und kämpfen mit diesen . . .

Nährig: Auch hier sehe ich keine allzu große Gefahr. Es kann vorkommen, dass sich die Nosferatu-Spinne gegen einen Katzenangriff wehrt und zubeißt. Aber das gleiche Prozedere wie beim Menschen gilt auch in diesem Fall: Wenn keine Allergie vorhanden ist, besteht eigentlich keine Gefahr für das Leben des Tieres.

Zur Person

Studium der Chemie und Biologie in Heidelberg mit Schwerpunkt Zoologie und Ökologie.

Doktorarbeit über die Spinnenfauna im Kraichgau.

Ersteller der „Roten Liste“ für Spinnenarten in Baden-Württemberg.

Seit vielen Jahren Teil des „Tages der Artenvielfalt“ der Lokalen Agenda Hockenheim.

Inzwischen Ruheständler mit weiterer Tätigkeit zum Thema „Spinnen“ für Behörden und privat.

Beteiligung am Nachweis von 153 Spinnenarten in Hockenheim.

Was raten Sie im Falle einer Sichtung? Können die Nosferatu-Spinnen auch einfach „in Ruhe“ im Haus gelassen werden?

Nährig: Grundsätzlich sollte man das Tier vorzugsweise mit einem Glas einfangen, ein Papier als Abdeckung darunter schieben und die Spinne draußen aussetzen. Obwohl die Tiere recht schnell sind, lassen sie sich relativ unproblematisch einfangen. Natürlich kann man die Nosferatu-Spinne auch einfach im Haus lassen, schließlich kann sich diese, wie alle Spinnen, als nützlicher Jäger herausstellen. Schnaken, Fliegen und andere Insekten haben mit einer Nosferatu-Spinne im Haus wenig Chancen. Dazu würde ich allerdings nicht raten: Sollte sich die Spinne entscheiden, ihren Nachwuchs im Haus zum Schlüpfen und zur Entwicklung zu bringen, hat man schnell eine ganze Familie, sprich Kinderstube, zu „Gast“. Das ist zwar nicht gefährlich, kann aber mit bis zu 100 Tieren auf Dauer sehr lästig werden.

Ist die Nosferatu-Spinne erst der Anfang? Können weitere und eventuell gefährlichere Arten aus südlicheren Gebieten folgen?

Nährig: Auch das ist klimabedingt nicht auszuschließen. Natürlich wird es sich hierbei sicherlich nicht um lebensbedrohliche Arten, wie es sie zum Beispiel in Australien gibt, handeln. Eine gefährlichere in Südeuropa verbreitete Spinne ist wohl die Schwarze Witwe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Art in der nächsten Zeit hier heimisch wird. Andere „Neubürger“ werden bereits jetzt beobachtet, so hat sich die Gottesanbeterin, ein Insekt, das früher deutschlandweit nur am Kaiserstuhl ansässig war, inzwischen deutlich ausgebreitet und ist im Rhein-Neckar-Raum und in der Pfalz häufig zu finden. So kann es auch sein, dass weitere, neue Spinnenarten den Weg zu uns finden. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung, da höchstwahrscheinlich keine gefährliche Arten darunter sein werden.

Redaktion Verantwortlicher Redakteur für die Gemeinde Ketsch

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