Hockenheim. „Es wird uns nicht gelingen, den gesamten Wald durch unsere Maßnahmen wieder bis zum alten Niveau aufzuforsten“, schickt der Mann in der typisch braun-grün-grauen Kluft voraus, obenrum im Fleecepullover, an den Füßen mit festem Schuhwerk. Eine ernüchternde Feststellung. Dafür reichten Ressourcen und Kapazitäten nicht aus.
Hinter ihm ragen die Bäume des Waldes in die Luft. Zumindest das, was überhaupt noch in die Luft ragen kann. Denn bedingt durch den Klimawandel haben die bislang dominanten Baumarten in den hiesigen Wäldern schweren Schaden genommen. Auf dem Boden hingegen sprießt und gedeiht es. Dort, wo es nicht soll. Ein Rundgang durch den Hockenheimer Stadtwald mit Revierförster Achim Freund zum Tag des Waldes.
Kiefer und Buche geschädigt: Was das Waldsterben für andere Arten bedeutet
Die Dürrejahre 2018, 2019 und 2020 hätten besonders Kiefern und Buchen schwer zugesetzt, erklärt er eingangs. „Wenn die Buche ausfällt, verändert sich das Waldgefüge. Es fällt mehr Licht auf den Boden.“ Auflichtung genannt. Doch, wo es im komplexen Ökosystem Wald Verlierer gibt, dort gibt es auch Profiteure. Die in diesem Zusammenhang oft genannte Kermesbeere ist eine der Arten, die sich durch die Zunahme an Licht und Wasser rasant ausbreitet - zu rasant. Besonders in der Startphase wachse sie schneller als alle anderen heimischen Arten, schildert Freund. „Damit besetzt sie die Flächen.“ Und verdrängt die einheimische Flora.
Der Tag des Waldes
- Der internationale Tag des Waldes findet jährlich am 21. März statt. Er wurde 1971 von der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ins Leben gerufen. Anlass war die globale Vernichtung von Wäldern.
- Der Tag des Waldes soll an die vielfältige Rolle der Wälder in unserem Leben erinnern, aber auch auf die aktuellen Gefährdungen durch den Klimawandel aufmerksam machen.
- Das von der FAO festgelegte Motto lautet dieses Mal „Wälder und Nahrung“. Damit soll auf die vielen Funktionen von Wäldern und Bäumen in Ernährungssystemen aufmerksam gemacht werden.
- Zahlreiche Bündnisse rufen am Tag das Waldes zu verschiedenen Aktionen auf, oft wird der Wald dabei von Müll befreit.
- Mit 11,4 Millionen Hektar ist rund ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands mit Wald bedeckt. Damit zählt Deutschland zu den waldreichsten Ländern der EU.
Nicht einheimische Arten gibt es laut Freund „über 400“ - legt man den Maßstab zu Grunde, was vor der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 in den jeweiligen Regionen gewachsen ist. Demnach zählen auch Tomaten, Kartoffeln und Mais dazu. Problematisch sind längst nicht alle, wie Freund klarstellt. „Es ist nur ein Bruchteil davon.“ Dazu zählen neben der Kermesbeere etwa der Götterbaum aus Asien oder das ursprünglich südafrikanische Schmalblättrige Greiskraut.
Einst vom Menschen eingeführt: Spätblühende Traubenkirsche im Hockenheimer Wald
Ein verblüffender Fall ist die Spätblühende Traubenkirsche. Sie wurde einst für Gartenbau und zur Holznutzung nach Mitteleuropa geholt. Der aus Nordamerika stammende Baum hat die Hoffnungen aber nie erfüllen können. Stattdessen gilt er inzwischen als invasive Art. Freund: „Die Spätblühende Traubenkirsche besetzt jetzt auch Flächen, an denen wir sie gar nicht haben wollen.“
Aber nicht nur die invasiven, auch heimische Arten wie die Brombeere breiten sich in völlig neuen Dimensionen aus. Bei der Brombeere liegt der Grund darin aber nicht nur an der Auflichtung. Einst stand Stickstoff den Wäldern nur in geringem Umfang zur Verfügung, das Vorkommen hat sich durch Abgase und Nutztierhaltung aber stark erhöht. Das fördert das Pflanzenwachstum stickstoffliebender Arten. Brombeeren und Brennessel etwa wachsen prächtig - und verdrängen damit Arten, die auf stickstoffmagere Verhältnisse angewiesen sind.
Zum Tag des Waldes in Hockenheim: Eiche trotzt dem Klimawandel
Wie sich das Klima in Zukunft im Detail entwickelt, können Experten mit Blick auf die nächsten 50 bis 100 Jahre insbesondere regional noch nicht präzise prognostizieren. Zu komplex ist das System, zu zahlreich die Einflussfaktoren. Förster Freund aber weiß: „Für die nächsten 30 Jahre ist man sich ziemlich sicher, wo die Reise hingeht.“ Eine Baumart, die bei dieser Reise mit on Tour ist, ist die Eiche. Sie hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen.
Deshalb setzen die Fachmänner bei der Aufforstung unter anderem auf diese heimische Art. Dem Förster ist es wichtig, festzuhalten: „Die Veränderungen, die wir haben, sind für keine Baumart positiv.“ Dennoch könne die Eiche „eher damit leben“, so Freund. Um Jungeichen beim Wachstumsprozess zu schützen, hatte das Kreisforstamt im vergangenen Jahr Hordengatter in Hockenheim gebaut. Die hölzernen Gatter, im 80 Hektar umfassenden Stadtwald sind es in Summe acht Stück, stehen unter anderem nahe des Waldrands am Pumpwerk. Sie dienen den eingesäten Eicheln als Verbissschutz, zunächst vor Wildschweinen, später auch vor Rehen. Erstere sind in den vergangenen Jahren in immer größerer Menge in unseren Wäldern zu finden - weil die milderen Winter der Population zugutekommen.
„Assisted Migration“: Wie fremde Baumarten im Hockenheimer Stadtwald integriert werden
Um dem Ziel eines klimaresilienten und möglichst vielfältigen Waldes näherzukommen, ist die Aussaat heimischer Eicheln eine von mehreren Maßnahmen. Ein anderer Ansatz ist die sogenannte „Assisted Migration“. Dabei werden Baumarten aus fremden Gefilden, die mit der zunehmenden Trockenheit besser zurechtkommen, gezielt in die Wälder unserer Region integriert. Es ist eine Art Anschubhilfe. Denn, wie Förster Freund erklärt: „Wir unterstützen damit die Arten, die perspektivisch ohnehin zu uns kommen würden.“
Auf natürlichem Weg verbreitet sich eine Eiche von ihrem Ursprungsort in einhundert Jahren rund drei bis vier Kilometer weiter. Bei der unterstützenden Migration hingegen werden Baumarten aus Süd- und Osteuropa nach Deutschland geholt. In den Wäldern von Hockenheim, Reilingen und Walldorf wachsen in eingezäunten Bereichen etwa Flaum- und Zerreichen aus Frankreich und Italien oder die türkische Baumhasel aus dem Südosten des Kontinents.
Der Haken daran: Der Blick ins Ausland liefert keine Blaupause, wie Flora und Fauna in Zukunft aussehen wird. Obwohl sich unser Klima Jahr für Jahr mehr jenem weiter südlich auf der Erdhalbkugel annähert, herrschen dort andere Einflüsse - in Südfrankreich unter anderem das Mittelmeer. „Die mediterranen Baumarten ersetzen uns nicht zielsicher die heimischen Baumarten“, erklärt Freund im Hinblick auf die in diesen Breitengraden milderen Winter und selteneren Fröste.
Tag des Waldes im Hockenheimer Stadtwald: Invasive Arten bekämpfen aussichtslos
Ob radikal mittels Umgrabung und Zaun oder mit weniger Eingriffen in die Natur wie es die Saat im Holzgatter vormacht: Die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion unserer Wälder soll mit diesen Mitteln erhalten bleiben. Nur die invasiven Arten zu bekämpfen, ist dabei nicht die Marschroute. Es wäre ein weitestgehend aussichtsloser Kampf. Vielmehr gilt es, Flächen vielfältig und klimaresilient zu gestalten in der Hoffnung, dass sowohl heimische als auch eingeführte Baumarten sich auf lange Sicht mit den hiesigen Bedingungen anfreunden.
Ein Kampf, den Förster Achim Freund nicht nur im Hockenheimer Stadtwald führt, sondern auf einer Fläche von 1.000 Hektar. Der Revierförster ist neben dem Stadtwald Hockenheim auch für die kommunalen Wälder in Reilingen und Walldorf verantwortlich.
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