Nach zähen Verhandlungen ist jetzt endgültig das letzte Kapitel des Hockenheimer Werks von Cooper Standard Automotive (CSA) eingeleitet. Bereits im Juli wurde mitgeteilt, dass das Werk im Talhaus, in dem Bremsleitungen für die Automobilindustrie gefertigt werden, zum 30. Juni kommenden Jahres geschlossen wird (wir berichteten). Die Belegschaft wurde in einer Betriebsversammlung über den vom Betriebsrat mit Unterstützung der IG Metall Heidelberg ausgehandelten Sozialplan für die 160 Beschäftigten in Kenntnis gesetzt.
Betriebsratsvorsitzender Walter Keller ist mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden, blickt aber weiter voraus: "Uns ist es zwar gelungen, einen guten Sozialplan mit Abfindungen von 1,25 bis 1,35 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr herauszuholen. Das wird jedoch schnell aufgebraucht sein und dann stehen immer noch 160 Einzelschicksale mit ihren Familien vor einer ungewissen Zukunft."
Zunächst werden die Beschäftigen nach der Werksschließung ein Jahr lang in die Transfergesellschaft "Weitblick" aufgenommen. Dort erhalten sie rund 80 Prozent ihres letzten Nettolohns. Elf der 160 Beschäftigten sind im Sommer 2016 älter als 60 Jahre und damit rentennahe Arbeitssuchende. 68 Mitarbeiter werden zwischen 50 und 60 Jahre, 35 zwischen 45 und 50 Jahre und 46 Mitarbeiter jünger als 45 Jahre alt sein.
Vielen bleibt nur Niedriglohnsektor
Walter Keller, seit 42 Jahren in der Firma und seit 1989 Betriebsratsvorsitzender, gegenüber unserer Zeitung: "Wenn man jetzt noch weiß, dass die große Mehrheit von uns aus Ungelernten mit Migrationshintergrund besteht, kann man sich in etwa vorstellen, wie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt in der Region aussehen werden. Mindestens ein heftiger Absturz in den übergroßen Niedriglohnsektor steht den meisten bevor, wenn nicht Schlimmeres."
Das Traditionsunternehmen wurde 1966 als Fulton Rohr von Alfred Reiert (Thermal-Werke) und ITT Higbie (Ohio/USA, 49 Prozent) gegründet. Schnell wurde die Firma ein ernstzunehmender Wettbewerber bei der Herstellung von Brems- und Kraftstoffleitungen sowie Rohren für die Kälteindustrie. Zum Jahresende 1995, kurz vor der Insolvenz von Thermal, übernahm ITT auch die restlichen 51 Prozent.
Fulton Rohr durfte damit unter dem Dach von ITT, einem großen Zulieferer der Automobilindustrie (Bremsen, Wischer, Beleuchtung), Konzernluft schnuppern. Walter Keller blickt zurück: "Diese war auch nicht so gesund. Es folgte dilettantisches Wirtschaften mit veralteter Technik, versäumte Investitionen, in den Sand gesetzte Neuanläufe, Millionenverluste, Krisensitzung auf Krisensitzung, diverse Sparprogramme, Personalauf- und Personalabbau, Sozialplan auf Sozialplan."
Schon 1998 verkaufte ITT die Tevesgruppe an Continental und SWF an Valeo, die auch Thermal-Hockenheim aus ihrer Insolvenz übernommen hatte. Ex-Fulton mit ihren Weiterverarbeitungswerken in Marsberg und Creutzwald verblieben bei ITT-Industries, bis das Unternehmen im Februar 2006 an Cooper Standard Automotive verkauft wurde.
"Es wurde schlimmer"
Die Belegschaft dachte, so Keller, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte, doch: "Es wurde schlimmer: Forderungen wie 40 Stundenwochen ohne Lohnausgleich, flexible Schichten von Sonntagnacht bis Samstagsabend nach Auftragslage, Zeitkonten, über die nur der Arbeitgeber verfügen konnte, und keine Mehrarbeitszuschläge scheiterten an zu großer Gier von CSA und daher an der Belegschaft und ihrer Vertretung." Im Jahr darauf sollten dann 85 Leute (ein Drittel der damaligen Belegschaft) abgebaut werden. Die Hälfte davon ging nach einem Sozialplan. Danach kamen die Bankenkrise und zwei Jahre Kurzarbeit. Investitionen, um die alten Anlagen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine moderne Fertigung zu ersetzen, wie es der Betriebsrat in allen Krisensitzungen immer gefordert hat, waren unter ITT selten und bei CSA fast gar nicht vorhanden, betont Keller. Dafür kaufte CSA den Metzeler-Konzern (Autofenster- und Türdichtungen) dazu.
2010 folgten Verhandlungen über einen Personalabbau, die in einen Interessenausgleich und Sozialplan mündeten. 29 Mitarbeiter verließen das Werk und gingen erstmals für zwölf Monate in eine Transfergesellschaft, unter anderem auch, um dem von der Regierung gekürzten Arbeitslosengeldbezug etwas entgegenzusetzen.
Im Oktober 2013 wurde dann das Ende langsam eingeleitet: Die Geschäftsführung plante eine europaweite Restrukturierung. Überkapazitäten sollten abgebaut und Geschäftsbereiche zusammengefasst werden. Von Hockenheim sollte nach 48 Jahren die Rohrfertigung nach Schelklingen bei Ulm verlegt werden. Das Werk im Talhaus war stattdessen als europäisches Zentrum für Thermal- und Emission-Produkte (T&E-Bereich) wie Abgaskühlermontage vorgesehen. Damit könnte der Standort bei einer Halbierung der noch vorhandenen Fertigungsbelegschaft erhalten bleiben. So der Plan der Geschäftsführung.
Fehlentscheidung laut Betriebsrat
Der Betriebsrat hingegen hielt dies für eine krasse Fehlentscheidung. Er verwies auf die große Erfahrung bei der Rohrherstellung, wohingegen der neue Geschäftsbereich mit der Montage von vielen weltweit einzukaufenden Einzelteilen und das Bedienen von unbekannten Automaten Neuland bedeute. Dieses Know-how war in Schelklingen vorhanden. Nach Ansicht der Arbeitnehmervertreter wäre es deshalb vernünftiger, die Rohrfertigung in Hockenheim auszubauen und den anderen Bereich in Schelklingen. Die Entscheidung war zum Leidwesen der Hockenheimer jedoch getroffen.
Es wurde über einen Teilinteressenausgleich mit einer ersten Transfergesellschaft ab Juli 2014 und einen Sozialplan verhandelt. Kaum war dieser unterschrieben und der Versuch unternommen, die ersten Abgaskühler auf einer neuen Fertigungsstraße im Talhaus zu produzieren, folgte der finale Hammer: Cooper Standard Automotive mit Hauptsitz im US-Bundesstaat Michigan hat den T&E-Bereich weltweit an HVCC ( Halla Visteon Climate Control Corp. mit Hauptsitz in Südkorea) veräußert. Da nur die Maschinen und Aufträge (nach Tschechien) verkauft wurden, bedeutete dieser Deal das endgültige Aus für die Rohrfertigung in Hockenheim zum 30. Juni 2016.
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