Ameisen

Das große Krabbeln in Ketsch

Von 
Agnes Polewka
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Ameisen der Gattung „Tapinoma Magnum“ haben sich auf dem Ketscher Friedhof zur Superkolonie ausgewachsen. © Felke/ nstitut für Schädlingskunde Reinheim

Ketsch. Auf dem Ketscher Friedhof trägt sich gerade eine Geschichte zu, die sich wie der Filmstoff für den nächsten Ameisen-Animationsfilm aus dem Hause Disney/Pixar liest: Eine superinvasive Kolonie der Ameisengattung „Tapinoma Magnum“ nistet sich zwischen den Ketscher Grabsteinen ein. Wahrscheinlich ist die Gruppe in einem Pflanzenkübel auf den Friedhof gereist. Aus Nordafrika vielleicht, oder einem mediterranen Herkunftsland.

Die Ameisen bauen ihre Nester, in denen – im Vergleich zu anderen Ameisen – besonders viele Königinnen im Verbund leben. Sie vermehren sich. Millionenfach. Sie wachsen sich zur Superkolonie aus. Und buddeln sich immer tiefer in die Erde, graben verzweigte Schächte. So tief, dass Wegplatten und Grabsteine absinken könnten. Das sorgt für große Aufregung bei den Menschen. Schädlingsbekämpfer rücken in Schutzmontur an.

Die Filmemacher in Hollywood würden nun wahrscheinlich den Ameisenwiderstand inszenieren. Spannend, witzig und natürlich mit Happy End. Ein Happy End ist in Ketsch im echten Leben aber nicht in Sicht. 2019 ploppte die Ameisenplage auf dem Friedhof erstmals in einer Gemeinderatssitzung auf. Ein Fachgutachten ergab laut dem Ketscher Umweltbeauftragten Dominique Stang aber, dass die Ameisen ihr Lager wahrscheinlich schon 2016 auf dem Friedhof aufgeschlagen haben. Und mehr als fünf Jahre lang Zeit hatten, um sich zur Superkolonie auszuwachsen.

Bekämpfung kaum möglich

„Sobald eine Superkolonie entstanden ist, gilt diese eigentlich als unbeherrschbar“, sagt Bernhard Seifert vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz, der zu den führenden Ameisenexperten Deutschlands zählt. „Wenn man hellwach ist und gleich zu Beginn reagiert, hat man noch eine Chance, die Ameisen loszuwerden.“

Sobald diese aber weitere Nester gebaut hätten, kämen Hunderttausende Arbeiter und Hunderte Weibchen dazu. Die Kolonie wachse und wachse. Und Nester, die bekämpft werden, füllen sich immer wieder mit neuen Insekten. Der deutsche Winter macht den Ameisen trotz der Temperaturen in ihren Herkunftsländern indes kaum etwas aus. Die „Tapinoma Magnum“ gilt aus äußerst widerstandsfähig. „Diese Gattung tummelt sich in der Sierra Nevada auf über 2000 Metern Höhe“, sagt Ameisenexperte Seifert.

Und so haben sich die Ameisen in Ketsch inzwischen auf einem Gebiet ausgebreitet, das acht bis zehn Hektar umfasst. Und auf dem sie beträchtliche Schäden anrichten könnten. „Tapinoma Magnum-Ameisen sind intensive Schachtarbeiter“, sagt Seifert. Die Ameisen höhlen den Boden aus, dadurch könnten Wegplatten und Grabsteine absinken. „Eine richtig aktive Kolonie schafft das innerhalb von fünf Jahren“, sagt Seifert. Und: Sie greifen in unser Ökosystem ein. Gegen den „chemischen Kampfstoff“ der Drüsenameise haben heimische Arten keine Chance. „Zugleich sind sie Pflanzensaftsauger und auch als Stressfaktor für Bäume lästig“, sagt Seifert. Direkte gesundheitliche Risiken – etwa durch Berührung der Tiere oder einen Biss – sind laut dem Ketscher Umweltbeauftragten Stang nicht zu befürchten.

Die Gemeinde will die Ameisen nun mit einem Kontaktinsektizid bekämpfen. Zunächst auf öffentlichen Flächen, im nächsten Schritt sollen auch betroffene Anwohner miteinbezogen werden. Ein mühsames Unterfangen. „Es gibt noch viel Forschungsbedarf zur Bekämpfung dieser Ameisen“, sagt Experte Seifert. „Noch gelten sie in hoher Zahl als unbezwingbar.“

Allerdings beobachten Experten gelegentlich, dass die „Tapinoma Magnum“ von alleine wieder verschwindet. Weil die Kolonie über Inzuchteffekte zusammenbricht oder sich neue natürliche Feinde etablieren – Bakterien, Viren, parasitäre Fliegen. „Manchmal kollabieren sie auch, weil die Ressourcen knapp werden“, sagt Seifert.

Das wäre zwar kein echtes Hollywood-Happy End, aber ein Ende, mit dem die Ketscher sicherlich gut leben könnten.

Präventivmaßnahmen

Um eine Einnistung der Ameisen der Gattung „Tapinoma Magnum“ zu verhindern, rät die Gemeinde Ketsch dazu, „blütenreiche Pflanzenflächen“ anstelle von „Steinwüsten“ anzulegen, da sich die Insekten auf vegetationsarmen Flächen besonders wohlfühlen.

Auch empfiehlt die Gemeinde, auf heimische Pflanzenarten zurückzugreifen. Dadurch würden weniger neue Arten eingeschleppt und heimische Insekten könnten sich davon ernähren. agp

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