Ketsch. Nach dem Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege ist in Naturschutzgebieten, Nationalparks, Naturmonumenten sowie gesetzlich geschützten Biotopen der flächige Einsatz von Biozidprodukten verboten. Die zuständige Behörde kann allerdings im Einzelfall auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot zulassen, „soweit dies zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier erforderlich ist“. Derzeit verbreitet sich die Asiatische Tigermücke in Baden-Württemberg mit rasender Geschwindigkeit. Schwerpunkte seien nach wie vor Regionen im Land, in denen es im Sommer sehr heiß werde, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha Mitte Mai in Stuttgart. Mit der Ausbreitung wächst auch die Angst vor tropischen Krankheiten, die diese neuen Mücken verbreiten könnten.
Die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) versucht auch dieses Jahr, die Schnakenplage am Oberrhein „unter Schonung der Umwelt mit ökologisch vertretbaren Maßnahmen einzudämmen“. Wir haben bei dem als gemeinnützig anerkannten Verein in Speyer nachgefragt, ob die seit März gültige neue Anwendungsverordnung im Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege mit den Maßnahmen kollidiert. „Das kollidiert eigentlich nicht direkt mit unseren Maßnahmen, denn wir haben rechtzeitig eine Ausnahmegenehmigung für die Ausbringung in Naturschutzgebieten und geschützten Biotopen beantragt. Diese Ausnahmegenehmigung ist bereits in Kraft und läuft noch bis Ende 2026. Für Baden-Württemberg waren die Regierungspräsidien Karlsruhe und Freiburg in die Erteilung involviert. Der Antrag war sehr ausführlich und enthielt unter anderem eine komplette Aktualisierung unserer Brutstätten-Kartierung und der dazugehörigen Bekämpfungsstrategie für jede einzelne Fläche“, teilt Pressereferentin Xenia Augsten mit.
Mit Ausnahmegenehmigung
Dank der Ausnahmegenehmigung dürfe die KABS in den beantragten Flächen „nach wie vor bekämpfen“. Bisher habe es nur „zwei sehr kleine Einsätze im Raum Ketsch und Hockenheim“ gegeben. Im April sei durch Regenfälle und Schneeschmelze ein kleines Hochwasser entstanden. Deshalb seien Kontrollen der eher niedrig gelegenen Senken durchgeführt worden, um festzustellen, ob diese ausreichend mit Wasser geflutet wurden. In vielen dieser Flächen sei das Hochwasser aber niedrig ausgefallen: „Die Flächen mit Larvenbesatz trockneten so zügig wieder ab, dass eine Behandlung gar nicht nötig war.“
Der zweite Einsatz war gerade. Durch die Regenfälle zu Pfingsten führte der Kraichbach verhältnismäßig viel Wasser und überflutete Brut-areal in unmittelbarer Nähe von Hockenheim. Dort gab es verhältnismäßig viele frisch geschlüpfte Stechmückenlarven. Vor einigen Tagen fand nun ein kurzer Überflug statt.
Der ausgebrachte Wirkstoff BTI (Bacillus thuringiensis israelensis) besteht aus Kristallproteinen, die aus dem gleichnamigen Bakterium gewonnen werden, erläutert Biologin Augsten. Die Kristallproteine werden als Nahrung aufgenommen und im Darm der Mücke in einzelne Toxine aufgespalten. Diese Aufspaltung funktioniert nur in einem hoch alkalischen Darmmilieu. Die einzelnen Toxine können dann an spezifische Darmwandzellrezeptoren andocken. Es kommt zum Wassereinstrom in die Zellen, die schließlich platzen und so die Darmwand perforieren, was letztlich zur Abtötung führt.
„BTI ist sehr selektiv“
„BTI ist aufgrund dieser Wirkungsweise sehr selektiv und wirkt nur gegen bestimmte Mückenfamilien in unterschiedlicher Effektivität. Schon bei niedriger Dosierung erreicht man eine hundertprozentige Sterberate bei Stechmücken“, erklärt die Pressesprecherin.
Im Juni vergangenen Jahres herrschte an der Messstelle Speyer des Rheins ein Wasserstand von 478 Zentimetern. Die vierte bekämpfungsrelevante Hochwasserwelle hatte am 10. Juni 2021 ihren Peak. In diesem Jahr sind es aktuell 307 Zentimeter mit einer Tendenz zum andauernden Niedrigwasser.
Für den gesamten Oberrhein betrachtet, ist die Kabs am häufigsten im Raum Rastatt aktiv. Dort ändert sich der Gewässerabschnitt des Rheins hin zur Mäanderzone mit großen, teilweise noch angebundenen Altrheinschlingen. Das Wasser verteilt sich bei einem Anstieg direkt in die breite Fläche. Für die Region rund um Ketsch und Hockenheim sind die häufigsten Stellen, die einen Einsatz erfordern, bei Oberhausen-Rheinhausen, die Mannheimer Reißinsel und die Verladungssenken der Ketscher Insel, die relativ tief liegen und mit als erste Flächen geflutet werden.
Und wie stark ist zurzeit die Tigermücke in der Region vertreten? „Wir wissen, dass die Tigermücke derzeit in Hockenheim und Ketsch ansässig ist. In Hockenheim wurde sie 2020 erstmals gesichtet, es handelt sich um eine sehr kleine, lokal begrenzte Population, die glücklicherweise sehr früh von einem aufmerksamen Anwohner gemeldet wurde. Dass es Tigermücken auch in Ketsch gibt, wissen wir seit letztem Jahr. Die Population in Ketsch ist aber deutlich größer und hat sich die letzten Jahre erfolgreich zwischen den typischen Rheinschnaken versteckt und ist deshalb erst spät aufgefallen“, erklärt Augsten.
Ob wir in diesem Sommer mit einer Schnakenplage rechnen müssen, kann die Biologin noch nicht sagen: „Wir können nicht abschätzen, wie der restliche Sommer verläuft. Sollte sich der sonnige Trend fortsetzen, ist eher mit weniger Stechmücken zu rechnen. Das Auftreten der Auwald-Stechmücken ist stark an das Wetter gebunden, sollten plötzlich wieder lang anhaltende Starkregen auf uns zukommen, könnte das den Wasserstand des Rheins wieder deutlich ansteigen lassen, was zum Larvenschlupf führen würde.“
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