Abschied - Der Gründer des Tafelladens „Appel + Ei“ geht in Ruhestand / Klaus Stürmer hat ein eher ungutes Gefühl für die Zukunft der karitativen Einrichtung

„Eine Routine entwickelt man in dem Job nie“

Von 
Volker Widdrat
Lesedauer: 
Klaus Stürmer, der langjährige Leiter des Schwetzinger Tafelladens „Appel + Ei“ in der Markgrafenstraße, genießt jetzt seinen Ruhestand. Die Gartenarbeit am Haus in Ketsch gehört für den 66-Jährigen dazu. © Widdrat

Ketsch/Schwetzingen. „Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen für eine tolle Zusammenarbeit und Ihre wohlgemeinte Berichterstattung Danke zu sagen. In fast 15 Jahren haben sich tolle Kontakte und Freundschaften ergeben, welche für mich nie selbstverständlich waren“, schrieb Klaus Stürmer an unsere Zeitung und verabschiedete sich damit in den Ruhestand. Ganz so leise wollten wir den in Ketsch lebenden Gründer des Tafelladens „Appel + Ei“ in Schwetzingen aber nicht gehen lassen. Deshalb haben wir den 66-Jährigen noch einmal in seinem Haus in seiner Heimatgemeinde besucht.

Stürmer erinnert sich noch gut daran, wie er vor eineinhalb Jahrzehnten im Auftrag von Caritas und Diakonie die Projektleitung für das Ladengeschäft in der Schwetzinger Markgrafenstraße übernommen hat. Eigentlich habe er sich damals als Hausmeister beworben, doch Caritas-Geschäftsführer Peter Kohm habe eine andere Aufgabe für ihn vorgesehen. „Ja klar, das passt“, sagte Stürmer damals zu: „Dann habe ich einfach bei null angefangen.“

Er machte sich in dieser Aufbruchszeit kundig in anderen Tafelläden der Region und hospitierte dort für ein paar Tage. Bei den Abläufen pickte er sich die Rosinen raus und ging dann an den Aufbau von „Appel + Ei“ in Schwetzingen.

Netzwerk konsequent aufgebaut

Der verheiratete Familienvater, der damals noch in Brühl gewohnt hat, war zuvor selbst vier Jahre arbeitslos gewesen. Nach über 30 Jahren Beschäftigung hatte er plötzlich keinen Job mehr gefunden, trotz der Erfahrungen in Berufen als Versicherungskaufmann, Maschinenschlosser sowie Alten- und Krankenpfleger. Einer kurzzeitigen Stelle bei einer Kirchengemeinde in Mannheim folgte erneut die Arbeitslosigkeit. Stürmer gab nicht auf und schickte weiter Bewerbungen.

Der Eishockeyfan und ehemalige Jugend- und Amateurleiter beim Mannheimer ERC hat sich schon immer ehrenamtlich engagiert. Er trainierte Nachwuchsteams und organisierte Ferienfreizeiten für Kinder. Daraus sind viele Freundschaften entstanden, die bis heute andauern.

Stürmer sollte – so die Vorgabe damals – einen Tafelladen aufbauen, in dem bedürftige Menschen gespendete Lebensmittel günstig einkaufen können. Er knüpft Kontakte, vor allem zur Stadtverwaltung Schwetzingen, die für ihn neben der Sparkasse und dem Lions Club anfangs eine der „Hauptsäulen der Unterstützung“ war. Die ersten gespendeten Lebensmittel kamen von Aldi und Lidl. Die Akquise ging immer weiter.

Zahl der Kunden wächst ständig

Die Spendenbereitschaft wurde größer. Einige Zeit später waren es über 30 Märkte, die lieferten. Beim Start von „Appel + Ei“ im April 2006 waren es etwa 50 Bedürftige, welche die Einkaufsmöglichkeiten nutzten. „Ende des Jahres lagen wir schon bei 300 Kunden“, erinnert sich der 66-Jährige. Es kommen vor allem Alleinstehende, Alleinerziehende und Familien mit Kindern. Rentner waren anfangs noch etwas vorsichtig: „Die schämten sich noch. Da galt es, Hemmschwellen abzubauen und Vertrauen zu schaffen.“

Auch die Zusammenarbeit mit der Nachbarschaftshilfe und den Kirchen trug bald Früchte. Der Tafelladen in der Markgrafenstraße ist schließlich nicht mehr wegzudenken. Die Einkaufsmöglichkeit für Menschen, die in einer schwierigen Situation leben, wird immer mehr in Anspruch genommen. Und die Zahl der Bedürftigen steigt weiter.

Etwa die Hälfte der rund 1000 Tafelläden in Deutschland haben wegen der Corona-Pandemie dichtgemacht. Für Stürmer und sein Tafelladen-Team um Norbert Holter und Alexander Schweitzer ist es wichtig, auch während Corona Wege zu finden, die Versorgung für bedürftige Menschen sicherzustellen. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein Hygienekonzept entwickelt. Die Öffnungszeiten mussten verkürzt werden. Viele ehrenamtliche Helfer sind selbst älter und gehören zur Risikogruppe. Einige müssen mit ihrer Arbeit aussetzen.

Als der Tafelladen ganz geschlossen war, wurden die Lebensmittel im katholischen Josefshaus und im evangelischen Lutherhaus ausgegeben, dankt Stürmer den beiden Pfarrern Uwe Lüttinger und Steffen Groß für die reibungslose und tolle Zusammenarbeit. Ein Lob gibt es auch für die vielen Schüler, die bei „Appel + Ei“ über die Jahre ein Praktikum absolviert haben.

„Mehr als nur Büroarbeit“

„Routine entwickelt man in dem Job nie“, sagt der 66-Jährige: „Jedes Schicksal ist nämlich anders.“ Er habe während der ganzen Zeit unzählige Kontakte nutzen können, dafür sei er dankbar. Auch die „Hilfe zum ganz normalen Leben“ sei dabei gewesen.

Er sei froh, dass es nun vorbei ist. Die Caritas habe sich doch arg verändert. Für die Zukunft des Tafelladens habe er daher eher ein ungutes Gefühl. Er habe viel Herzblut investiert in das Projekt: „Es war einiges mehr als nur die Arbeitszeit im Büro.“

Dem gebürtigen Mannheimer, der seit 21 Jahren mit seiner Frau Barbara verheiratet ist – der gemeinsame Sohn Moritz ist 20 – wird es im Ruhestand bestimmt nicht langweilig werden. Als wir ihn in Ketsch besuchen, liegt die neue Markise für die Terrasse schon bereit. Und im Garten gibt es auch immer was zu tun.

In jüngeren Jahren ist Stürmer „in der ganzen Weltgeschichte unterwegs“. Als Sohn Moritz auf die Welt kommt, wird es etwas beschaulicher. Mit Urlaub in Ostfriesland und Dänemark oder in der gemieteten Ferienwohnung an der Ostsee. Für dieses Jahr ist die Insel Wangerooge als Urlaubsziel geplant – wenn es Corona zulässt.

Stürmer ist wie Frau und Sohn ein eingefleischter Hardrock-Fan. Das berühmte Open Air in Wacken ist für die Familie seit vielen Jahren Pflicht. Der 66-Jährige schwärmt besonders für die australischen Hard-Rocker AC/DC und die schwedische Metal-Band „Hammerfall“. Mit 15 Jahren war er zum ersten Mal bei einem Festival: „Creedence Clearwater Revival in Basel – da ich bin hingetrampt.“

Andere Wertschätzung entdeckt

Sohn Moritz spielt Gitarre. Stürmer selbst hat früher getrommelt. Da bleiben Kontakte zu zahlreichen Bands in der Region. Jetzt hat er auch noch „ein Herz für Streuner“ entdeckt und einen Hund als neues Familienmitglied dazugeholt. „Der treibt mich dann raus“, meint der künftige Ruheständler.

Was wünscht sich Klaus Stürmer für die Zukunft? Dass Familie und Freunde gesund bleiben. Und dass „Appel + Ei“ so weiterlaufen kann wie bisher. Er habe den Tafelladen vernünftig übergeben, darauf sei er stolz, betont er im Gespräch: „Ich möchte diese Zeit nicht missen. Durch die vielen Einzelschicksale entdeckt man eine ganz andere Wertschätzung für sich selbst und kriegt nach und nach eine ganz andere Lebenseinstellung.“

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung