Ortsgeschichte im Rückblick - Von 1910 bis 1938 sind die Ketscher mit der Straßenbahn nach Schwetzingen gekommen

Fahrrad verdrängt „Elektrische“

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zg
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Ketsch. Am 31. März 1938 trat sie ihre letzte Schienenfahrt an: die Straßenbahn zwischen Ketsch und Schwetzingen. Einen Tag später war die 5,4 Kilometer lange Strecke stillgelegt – aus wirtschaftlichen Gründen. Dabei hatte im Dezember 1910 alles so vielversprechend begonnen. „Die Elektrische fährt durch unsere Straßen! Und wie mächtig sich die grüngelben Wagen präsentieren! Wer genauer hinsieht, wird sogar das Ketscher und Schwetzinger Wappen finden“, schrieb die „Schwetzinger Zeitung“ am 3. Dezember 1910. Die Probefahrt der Straßenbahn zwischen Ketsch und Schwetzingen war ein besonderes Ereignis und kündigte weitere Höhepunkte an: „Die ersten Versuchsfahrten haben einen recht zufriedenstellenden Verlauf genommen, so dass nun der Termin der Betriebsübergabe vor der Tür steht“, heißt es in dem Artikel weiter.

Am 10. Dezember 1910 erfolgte die landespolizeiliche Abnahme der Straßenbahnstrecke. „In Würdigung der Bedeutung dieses Tages waren die Straßen in Ketsch geschmückt und die Straßenbahnwagen mit Girlanden und Fähnchen behangen“, schrieb die Heimatzeitung. Die Festfahrt mit Regierungsvertretern und anderen Ehrengästen startete um 8.45 Uhr in Schwetzingen. In Ketsch angekommen, hatten „an der Endstelle beim Gasthaus ,Zum Enderle’ zahlreiche Einwohner, der Gemeinderat in corpore, besonders Geladene und die Schuljugend mit den Herren Lehrern, Aufstellung genommen. Bürgermeister Karl Stratthaus hielt eine Ansprache, in der er ausführte, dass heute für die Gemeinde Ketsch die Hoffnungen eines Vierteljahrhunderts in Erfüllung gegangen seien.“

Nach dem Frühstück im „Enderle“ fuhren die Ehrengäste zurück nach Schwetzingen, um dort im „Adler“ zu feiern. „Gewiss wird der gegenseitige Handel und Wandel einen Aufschwung nehmen und besonders auch die Arbeiterschaft das neue Verkehrsmittel dankbar begrüßen“, sagte der Ketscher Bürgermeister in seiner Festrede optimistisch.

Stockende Verhandlungen

Langfristige Planungen waren der Eröffnung der Straßenbahnlinie vorausgegangnen. Bereits 1907 war in Ketsch die Frage nach einer elektrischen Bahn aufgeworfen worden. Die Verhandlungen stockten immer wieder, bevor das Projekt Gestalt annahm. „In einer Versammlung im Februar 1908 sprachen sich sämtliche Teilnehmer für die Realisierung der Straßenbahn aus“, weiß Heimatforscher Robert Fuchs zu berichten.

Im März 1908 genehmigte ein Bürgerbeschluss in Ketsch auf fünf Jahre einen Zuschuss. „Mit dem heutigen Tag beginnt für unsere beim Weltverkehr so abgelegene Gemeinde ein neuer Zeitabschnitt. Ketsch wird jetzt eine Station des Verkehrs“, war in der „Schwetzinger Zeitung“ zu lesen. Im Januar 1909 begann mit der Eröffnung des Baubüros der Rheinischen-Schuckert-Gesellschaft in Schwetzingen die Detailausarbeitung des Projekts. Im November 1909 wurde offiziell um Genehmigung zum Bau und Betrieb einer elektrischen Eisenbahn zwischen Ketsch und Schwetzingen nachgesucht. Im Dezember 1909 beurkundete das badische Ministerium die Genehmigung. „Straßen wurden aufgewühlt, Schienen eingelassen, im Ketscher Wald fielen zahlreiche Bäume längs der Straße dem Fortschritt zum Opfer“, schrieb die „Schwetzinger Zeitung“.

Und Robert Fuchs ergänzt: „Nach der Konzessionserteilung dauerte es fast ein volles Jahr, bis die Gleisbauarbeiten, die Beschaffung der Fahrzeuge und die Herstellung des Depots abgeschlossen waren. Die Baukosten betrugen insgesamt 350 000 Mark. Im Eröffnungsjahr standen drei Trieb- und zwei Beiwagen zur Verfügung.“

Die rund fünf Kilometer lange Straßenbahnlinie war eingleisig und mit Ausweichen versehen. Die Spurweite betrug einen Meter. Die Strecke verlief, am Schwetzinger Bahnhof beginnend, unter anderem durch die Carl-Theodor-Straße und Zähringer Straße. Am Umspannwerk folgte das Einbiegen in die Ketscher Landstraße.

Entlang der nördlichen Seite des Ketscher Waldes ging es in die Enderlegemeinde. Haltestationen gab es am „Scharfen Eck“ gegenüber dem Haus Schwetzinger Straße 52 und am Enderleplatz. Nach dem katholischen Pfarrhaus bog die Bahn in die Hockenheimer Straße ein und erreichte die Endhaltestelle gegenüber des Gasthauses „Zum Enderle“. Eine Fahrt kostete 20 Pfennig. Der Fahrplan (beide Richtungen je 21 Fahrten im 25-Minuten-Takt) war den Zuganschlüssen der Staatsbahn angepasst.

Zunächst großer Andrang

Am 15. Dezember 1910 wurde die Linie 7 frühmorgens von der Rheinischen-Schuckert-Gesellschaft Mannheim in Betrieb genommen. Ab 1911 übernahm die Oberrheinische Eisenbahngesellschaft Mannheim (OEG) die Straßenbahn als Eigentum. Der Andrang der Fahrgäste war zunächst so groß, dass außer im „Engel“ zwei weitere Verkaufsstellen eingerichtet wurden. „Als aber 1912 die Bahnverbindung nach Rheinau eröffnet und das Fahrrad immer beliebter wurde, fuhr die Elektrische oft nur noch mit leeren Wagen“, informiert Robert Fuchs. Im Oktober 1925 enthielt der Fahrplan nur noch 15 Fahrten.

Während des Ersten Weltkrieges verkehrte die Straßenbahn weiter. Von 1923 bis 1925 stand der Bahnbetrieb jedoch infolge der Inflation still. Im Dezember 1924 beschloss der Ketscher Gemeinderat, einen Teil der Fahrpersonalkosten zu übernehmen. Als sich die OEG dann 1925 bereiterklärte, die Straßenbahnlinie für weitere 13 Jahre zu aktivieren, war das Schicksal der Elektrischen schon besiegelt: Am 31. März 1938 sollte die letzte Fahrt erfolgen. zg

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