Ketsch. Dass die Rheininsel eine der letzten naturnahen Rheinauenlandschaften des nördlichen Oberrheingebiets eine unglaubliche Artenvielfalt besitzt, ist den meisten wohl bewusst. Dass sich in dem rund 490 Hektar großen Naturschutzgebiet aber auch der vielleicht größte Bestand der Europäischen Wildrebe (Vitis vinifera ssp. Sylvestris) befindet, sozusagen der direkte Vorfahre unserer modernen Kulturrebsorten, wird vielen eher neu sein.
Als stark gefährdete Pflanzenart steht die Wildrebe auf der Roten Liste, denn sie ist unmittelbar vom Aussterben bedroht. Damit es nicht so weit kommt, wird seit kurzem an vielen Fronten dagegen angekämpft, so auch vom Aue-Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das bei einer Begehung mit Umweltstaatssekretär Dr. Andre Baumann das Projekt „Oberrhein vital“ vorstellte. Hierbei werde der Wissensstand zur „Ur-Rebe“ aktualisiert, Monitoring durchgeführt und die Basis für Strategien gegen das Aussterben geschaffen.
Marion Werling vom Aue-Institut berichtete am Forthaus über die erschreckende negative Entwicklung der Wildrebenpopulation: „Für die Wildrebe ist es fünf vor zwölf. Die Bestände wurden mit dem Rückgang der naturnahen Hartholzauen in den letzten 200 Jahren stark dezimiert, seit dem 19. Jahrhundert so rasant, dass es am Ende weniger als 100 Reben in Deutschland gab.“
Anzahl auf 600 gesteigert
Erst in den letzten Jahren sei es gelungen, die Anzahl der Wildreben auf 600 Individuen zu steigern. Doch auch die Hybridisierung, also die Verbindung des Erbgutes mit dem von Kulturrebsorten, gelte es zu verhindern, denn auch dies sei eine Art des Aussterbens und bedrohe die gefährdete Art. Erst nach rund 18 Jahren sei eine Jungpflanze außer Gefahr, selbst nach zehn Jahren Wachstum sei das Überleben eines Setzlings oft noch fraglich. Die Gruppe ging weiter und hielt an einem stolzen, ausgewachsenen Exemplar der Wildrebe, um über die gut 100 Jahre alte, lianenartige Pflanze zu staunen.
Jedoch wuchsen auch Jungreben am Waldrand, die speziell gekennzeichnet wurden, denn die Verwechslungsgefahr mit anderen, in keiner Weise gefährdeten Gewächsen, sei enorm, so Norbert Krotz von Forst BW. „Nur gut geschulte Forst-arbeiter erkennen und schützen die Wildrebe. Dies ist ein wichtiger Punkt“, stellte der Revierförster fest, hier hätte sich viel getan.
Auch er und andere Mitarbeiter von Forst BW hätten in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Exemplaren gefunden, deren Standorte festgehalten und das Wachstum durch Auslichtungsmaßnahmen und Mulchung der Waldränder gefördert, wie sich im Nachhinein herausstellte. Marion Werling: „Ich habe mich sehr gefreut, an diesen Stellen junge Wildreben zu finden. Ich habe andere Pflanzen, die das Wachstum stören könnten, entfernt. Zumindest einigen von ihnen geht es jetzt ziemlich gut. Das gibt Anlass zur Hoffnung.“
200 000 Euro Fördergelder
Der Staatssekretär des Umweltministeriums, Dr. Andre Baumann betonte, wie wichtig der Erhalt der Wildrebe sei: „Ketsch ist eine große Weingemeinde, aber nicht für Ruländer oder Trollinger, sondern für die Wildrebe. Dieser wahrscheinlich größte Bestand Deutschlands und sogar ganz Europas ist ein wundervoller Schatz.“ Er ergänzte: „Rund 200 000 Euro Fördergelder, die in den Schutz unserer ‚Ur-Rebe‘ fließen, sind gut investiertes Geld. Schon kleine Veränderungen im Ökosystem können massive und ungeahnte Auswirkungen haben, darum müssen wir dem Aussterben der Wildrebe entgegenwirken.“
Erstaunt zeigte er sich, wie wenig über die Art überhaupt bekannt sei. Hier müsse man noch viel forschen. Bürgermeister Jürgen Kappenstein zeigte sich stolz, aber auch besorgt: „Viele haben mir schon zu unserem ‚Wildreben-Schatz‘ gratuliert. Wir sind sozusagen die ‚Hauptstadt der Wildrebe“. Aber zu publik sollte dies auch nicht werden, damit die Pflanzen in Ruhe gedeihen können. Darin sehe ich eine Gefahr.“
Landtagsabgeordneter Manfred Kern freute sich, dass nun immer mehr zum Schutz der Wildrebe getan wird: „Würde der Trollinger aussterben, wäre das weniger dramatisch.“ Einrichtungen wie das KIT leisteten Vorbildliches zum Erhalt der Wildrebe. Die Vernetzung und Sensibilisierung sei wichtig.
Staatssekretär Dr. Andre Baumann dachte indes schon weiter: „Ich treffe demnächst den Weinbaupräsidenten und will ihn nach Ketsch einladen, an den Ort, an dem die ‚Ur-Rebe‘ noch wächst.“
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/ketsch_artikel,-ketsch-fuer-die-ur-rebe-ist-es-fuenf-vor-zwoelf-_arid,1533914.html