Soziales Engagement

Geflüchteten in Ketsch helfen: Unter Vermietern wohl leider Bedenken

Ingrid Müller setzt sich im Ehrenamt für Geflüchtete ein und hat schon vielen Familien bei der Integration geholfen.

Von 
Caroline Scholl
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Ingrid Müller vor einem ihr lieb gewordenen Bild in ihrem Büro. Mit 76 ist sie noch lange kein „alter (Draht)-Esel“. © Scholl

Ketsch. Seit fast 40 Jahre sind Menschen, die aus verschiedenen Ländern als Geflüchtete nach Ketsch kommen, diejenigen, für die sich Ingrid Müller ehrenamtlich einsetzt. Vieles hat sich in den Jahren verändert, doch eines ist immer gleich. Hinter jedem Menschen steht ein persönliches Schicksal und wenn Ingrid Müller später erlebt, wie Integration glückt, ist sie sicher: Ihr Einsatz hat sich gelohnt.

Wir trafen die 76-Jährige aus Mannheim stammende Ketscherin, die 1971 in die Enderlegemeinde zog und als Lehrerin tätig war. „Angefangen hat es 1985, als Geflüchtete aus dem Iran, Irak, Afghanistan, Libanon oder Palästina kamen und als Lehrerin wusste ich, gerade bei den Kindern der Geflüchteten ist ein großer Bedarf an Hilfe nötig. Zum einen sind gerade Kinder oft traumatisiert und beim Erlernen der Sprache bedarf es an Unterstützung. Hier in Ketsch gab es noch längst kein Integrationsbüro und man war so etwas wie ein ‚Einzelkämpfer’“, sagt Müller.

„Ich besuchte ein Wochenendseminar der evangelischen Kirche und bekam dort Infos zum Ausländerrecht, den Herkunftsländern und juristischen Belangen. Schließlich gründete sich ein Helferkreis aus etwa 20 Personen innerhalb der katholischen Kirchengemeinde“, erinnert sich Ingrid Müller, die neben Deutsch, Englisch noch etwas Französisch spricht. „Damals war die Stimmung in Deutschland eher ausländerfeindlich, es gab Anschläge auf Asylantenheime und auch sonst war die Wohnungs- oder Arbeitsplatzsuche sehr kompliziert. In Ketsch haben zwölf Ehrenamtliche je eine Familie betreut und begleitet. Ich begleitete damals eine iranische Familie, deren Tochter heute selbst Deutsch unterrichtet. Willi Doser und die Familie Gabor aus Ketsch möchte ich besonders nennen. Diese haben sich sehr stark für die Geflüchteten eingesetzt und darüber habe ich immer im ökumenischen Gemeindebrief berichtet. In den 1990er Jahren kamen Kurden, Kroaten, Albaner, Mazedonier, Serben und eine größere Gruppe aus dem Kosovo“, erzählt Ingrid Müller.

Geflüchteten in Ketsch helfen: Sonderpreis für Bürgeraktion

Das meiste, was sie außer Zeit investierte, stammte von ihrer Familie, denn finanzielle Unterstützung hätte es nicht gegeben, bis auf ein Preisgeld von 7000 D-Mark aus einem Sonderpreis für Bürgeraktionen, den Müller zusammen mit Heide Joos vom Asylkreis Oftersheim 1994 erhielt. „Damals gab es dramatische Szenen, weil vielen Familien, die bereits integriert waren, die Abschiebung drohte. Einmal hat sich Gerhard Stratthaus persönlich dafür eingesetzt, dass eine Familie aus dem Kosovo bleiben konnte“, erinnert sie sich und bekräftigt: „Für jegliche Integration ist die Sprache der Schlüssel.“

Der größte Teil der Familien wurden gut integriert, dann wurde es erst mal ruhiger. „2015 kamen dann wieder etwa 150 Geflüchtete nach Ketsch. Diesmal waren es zumeist junge Männer aus Syrien, Afghanistan, Gambia, Eritrea und dem Iran. Parallel wurde dann bei der Gemeinde ein Integrationsbüro eingerichtet. Ich habe damals einen etwa 15-jährigen Gambianer, der etwas verloren wirkte, in Schwetzingen gesehen, habe ihn angesprochen und später machte dieser Junge eine Bäckerlehre. Man muss mit einem wachen Blick unterwegs sein. Nun kamen die Ukrainer und hier war erstmals eine größere Offenheit in der Bevölkerung zur Hilfe spürbar“, so Ingrid Müller.

Geflüchteten in Ketsch helfen: Wohnung im Ortskern essenziell für Integration

Ihrer Meinung nach gelinge Integration am besten, wenn die Geflüchteten in familiengerechte Wohnungen im Ortskern angesiedelt werden, Sammelunterkünfte seien eher von Nachteil. „Außerdem muss der Fokus auf dem Erlernen der Sprache liegen. Und integriert werden kann nur der, der auch integriert werden möchte. Möchte dies jemand nicht, fällt auch mir keine Lösung ein. Dass Migration allerdings gut gelingt, dafür kenne ich zahlreiche Beispiele. Ein Iraner, den ich betreute, hat mittlerweile eine eigene Computerfirma. Ihm besorgten wir für sein Vorstellungsgespräch einen Anzug und er wurde genommen. Arta Ramadani aus dem Kosovo ist beim ZDF tätig und hat gerade ein Kochbuch veröffentlicht. Ein Kosovare hat nun eine Fliesenleger-Firma, seine Frau unterrichtet und viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien studieren mittlerweile oder machen eine Ausbildung. Oft werden Kinder aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse auf niedrigerem Leistungsniveau unterrichtet, sobald diese Kinder dann unterstützt werden, kommt das Abitur näher“, ergänzt Ingrid Müller.

Was sie als sehr schwierig erachtet, sei leider das Mieten von Wohnungen für Migranten. Hier hätten viele Vermieter möglicherweise Bedenken. „Ich suche seit drei Jahren eine Wohnung für eine afghanische Familie mit vier Kindern. Der Vater ist seit 2015 in Arbeit, derzeit als Altenpfleger. Die älteste Tochter besucht das Gymnasium und teilt ein kleines Zimmer mit ihren beiden jüngeren Schwestern. Die Mietzahlungen wären kein Problem, ich würde sogar bürgen, doch bisher fand sich nichts“, so die Seniorin, die selbst vier erwachsene Söhne hat.

Aktuell unterrichtet sie ehrenamtlich Deutsch bei der VHS, betreut zwei eritreische Familien, eine afghanische Familie in Dielheim und eine afghanische Familie in Ketsch und hat viele persönliche Freundschaften zu weiteren Geflüchteten über die Jahre. „Wer sich engagierten möchte, kann sich an das Integrationsbüro wenden. Ich weiß, dass gerade in der Hausaufgabenhilfe für die Kinder aktuell ein großer Bedarf da ist“, sagt Müller.

Freie Autorin Freie Journalistin für die Region Rhein-Neckar

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