Ketsch. Wenn man Timo Wangler mit dem Satz „Familien sind unbezahlbar“ konfrontiert, wird er in mehrfacher Hinsicht bejahend nicken. Für den verheirateten zweifachen Vater steht die Familie über allem – auch als Bürgermeister ist ihm bewusst, dass Familien für eine intakte und zukunftsgerichtete Gemeinde nichts anderes als das Elixier sind. Aber als Rathauschef hat er auch den Blick auf die Kosten – er muss ihn haben, zumal in Ketsch mit defizitärem Haushalt – und da sieht er den mit Abstand größten Posten im Ergebnishaushalt, den Familien über die Kinder- und Schülerbetreuung verursachen.
Grenze der Belastbarkeit erreicht
„Ja, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig – da sind wir uns einig, aber die Umsetzung dieses Anspruchs unter den in Baden-Württemberg gesetzten Standards hat uns Kommunen an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Das gilt im Besonderen im Finanziellen, aber auch in der praktischen Abwicklung, vor allem bei der Personalgewinnung“, sagt Wangler.
Die Zahlen in Ketsch verdeutlichen die Dimensionen: „Im Jahr 2023 fallen für die Betreuung der Kinder im Alter bis sechs Jahren 8,4 Millionen Euro an – ein Fünftel des Gesamtergebnishaushalts. Davon werden durch Elternbeiträge und Zuschüsse des Landes lediglich 3,5 Millionen Euro gedeckt. Die restlichen 4,9 Millionen Euro tragen wir Ketscher Bürgerinnen und Bürger durch Steuergelder. Er ist der mit Abstand größte Posten im Ketscher Ergebnishaushalt und durch die vorgegebenen Standards kaum zu beeinflussen. Dies geht zulasten unserer übrigen Aufgabenerfüllung“, sagt Wangler.
Zum Vergleich schlagen Kosten für ÖPNV in Höhe von rund 500 000 Euro zu Buche, für Schulträgeraufgaben sind 2,3 Millionen Euro veranschlagt, Sport und Bäder kosten 1,5 Millionen Euro.
„Ketsch ist familienfreundlich“
Als der Gemeinderat zuletzt die Essensbeiträge in den Kitas und Schulen nach oben anpasste, bekam der Rathauschef auch zu hören, dass Ketsch familienunfreundlich sei. Dem widerspricht Wangler und teilt den Restbetrag der Betreuung von 4,9 Millionen Euro durch die 593 Plätze (bei 37 Gruppen in sieben Kitas, 170 für unter Dreijährige, 419 für über Dreijährige), die in Ketsch vergeben werden können – geteilt durch zwölf wird ein Kiga-Platz monatlich mit rund 683 Euro bezuschusst – „das ist familienfreundlich“. Gleichwohl: „Das Geld fehlt aber woanders, zum Beispiel bei den Straßen“, sagt Timo Wangler.
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Mit Verweis auf das Zahlenmaterial des Gemeindetags (siehe Grafiken), das die Entwicklung der Elternbeiträge für Regelkindergarten einerseits und die Betriebsausgaben der Kommunen für die Kitas andererseits zeigt, werde doch deutlich, dass die Schere immer weiter auseinander klaffe – die Elternbeiträge hätten sich von 2007 bis 2021 um nicht ganz 65 Prozent erhöht, die Betriebskosten für die Kitas seien jedoch im gleichen Zeitraum um rund 293 Prozent gestiegen. Kinderbetreuung sei auf lange Sicht nicht finanzierbar für die Kommunen, sagt Wangler. Und: „Wir wollen keine Beiträge erhöhen, das macht dem Gemeinderat und der Verwaltung keinen Spaß.“ Vergangenes Jahr habe aber erhöht werden müssen, meint Wangler, wobei Ketsch noch gar nicht am Rande der Empfehlung des Gemeindetags angekommen sei: Danach sollen 20 Prozent der Kinderbetreuungsbeiträge durch die Eltern gedeckt sein, das sei in der Gemeinde aktuell nicht der Fall, in anderen Nachbarkommunen dagegen schon.
"Standards reduzieren"
Wangler sieht bei der Finanzierung von Familien durch die Kommunen freilich das Land in der Pflicht, die Finanzausstattung für Kinder- und Schülerbetreuung müsse verbessert werden. Seine kurzfristige Lösung ist indes eine andere: „Ich würde die Standards reduzieren.“ Denn diese seien in den zurückliegenden Jahren sukzessive hochgefahren worden von der Ausstattung, über die räumlichen Bedingungen bis hin zu Ernährung in einer Kita. Und Baden-Württemberg sei bei der Betreuung spitze. Knapp drei Kinder betreut eine Erzieherin durchschnittlich in einer Kita. Die Kindertagesstätten im Südwesten haben damit bundesweit den besten Betreuungsschlüssel. Doch wie rühmlich ist das, wenn man es letztlich nicht bezahlen kann?
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