Ketsch. Was passiert, wenn der Chat mit dem längst Verstorbenen, der im dokumentarischen Film „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ eindrucksvoll mit täuschend realen Avataren und geschriebenen Antworten, ganz im Stil des geliebten Verstorbenen dargestellt, bereits machbar ist, nicht das Gewünschte für den Nutzenden ergibt? Experimente mit Avataren, die per VR-Brille und Handschuhen im Greenroom agierend scheinbar berührt werden können, erscheinen surreal. Diesem Thema gingen die Ketscher Kinomacher mit einer Aufführung des erwähnten Films sowie einem Experten als Gesprächsgast auf den Grund.
Für Suchende, wie eine koreanische Mutter, die eines ihrer Kinder bei einem Unfall verloren hat, der in der Reality-Show „Meeting You“ im Jahr 2020 ermöglicht wurde, das Kind als virtuellen Klon noch einmal zu sehen und zu sprechen, kann es eine heilende Erfahrung sein. Die Mutter bestätigt dies nach der Begegnung, während sich die Showmacher bei der Ausstrahlung darüber Gedanken machen, ob die unterlegte Musik nicht zu dramatisch ist. Absurd? Unterm Strich liegt es an jedem Einzelnen, wie er mit den boomenden neuen Möglichkeiten der Technik seinen Umgang findet.
Film in Ketsch: Fragen zu Religion und Ethik führen zu einer Diskussion
Jede Errungenschaft hat ihre Vor- und Nachteile, ist dabei immer auch ein Stück weit Kommerz und damit – direkt gesagt: Geldmacherei. Wagen sich Entwickler und Programmierer dann an ureigene menschliche Emotionen, wirft das viele Fragen in Richtung Religion und Ethik auf und führt unweigerlich zu Diskussionen. Aber wer legt fest, was den Menschen präsentiert wird? Wie können Auswirkungen eingeschätzt, wie negative eingeschränkt werden? Programmierer, die neben Computerspielen auch die künstlichen, digitalen „Menschen“ erschaffen, weisen im Film jede Verantwortung für Folgen aus der Nutzung der Chats mit Toten von sich, sie stehen nur für die zugegeben faszinierende technische Möglichkeit, Menschen über deren Tod hinaus rein aus Aufzeichnungen ihres vorherigen realen Lebens virtuell „nachzubauen.“
Szenen aus einer Anhörung zum Thema KI vor dem US-Senat sind in den 90-minütigen Streifen eingewebt, der dokumentiert, was bereits geht, aber keine einordnenden verbalen oder optischen Hilfestellungen für den Zusehenden gibt. Das Beurteilen der Inhalte überlassen die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck den Menschen vor der Leinwand, vor dem Bildschirm. Daten sammeln gehört zum Geschäft aller, die digitale Angebote machen. Jeder, der sie nutzt, muss sich im Klaren sein, dass seine individuellen Nutzungsparameter ein Bild von ihm zeichnen.
Kein Wunder also das Globalplayer wie Microsoft und Amazon ins Geschäftsfeld miteingestiegen sind, das sich derzeit weltweit Startups mit dem virtuellen „Leben“ nach dem Tod in unterschiedlicher Weise erschließen. Als im Film eine junge Frau wissen möchte, ob es ihrem Freund im Jenseits gut geht, sich die KI aber dessen dunklem Humor bedient und ihn von der „Hölle“ schreiben lässt, in der er sich nach seinem Ableben befinde, und dass er sie als Geist verfolgen werde, verstört das die Hinterbliebenen sichtlich. Doch der Drang, noch einmal den Chat – ein Abo – aufzurufen, bleibt.
Zuschauer in Ketsch erleben erschreckende "Gefühle" einer KI
Dieses Mal ist die Antwort, die gewünschte – die KI schreibt davon, dass es dem ehemaligen Partner gut gehe. Die junge Frau reagiert beruhigt und ist zufrieden. In einer weiteren Szene orientiert sich Entwickler Mark Sagar an der Vorlage seines eigenen Kindes. Als programmiertes „Baby-X“ lernt es schnell, entwickelt als dreidimensionale Abbildung in der Mimik und Reaktion sichtbare „Gefühle“ – erschreckend, finden auch die rund 20 Zuschauer im Central Kino.
Vielleicht ergeben sich aus der Technik in einer immer anonymer und einsamer werdenden Welt, in der sich etliche Menschen in virtuelle Realitäten flüchten, ohne die greifbare, wirkliche Welt um sich herum noch wahrzunehmen, Aspekte, die tragbar und sinnvoll sein können, etwa der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Medizin und Pflege, stellen die Gäste im Central Kino fest. Die Faszination des Machbaren wird in der an den Film anschließenden Gesprächsrunde mit Doris Steinbeißer vom Central-Team und Markus Ullrich, Vorsitzender des Hospizgemeinschaft Schwetzingen, deutlich, aber auch die Sorge vor der Miss- und der monetären Ausnutzung von Gefühlen.
Experten in Ketsch sind sich einig: Avatare setzen Unsterblichkeit nicht aus
Dass mit den Avataren tatsächlich die Unsterblichkeit ausgesetzt wird, verneinen die Gesprächsteilnehmer unisono. „Es geht darum loslassen zu können, wenn ein geliebter Mensch am Lebensende geht“, bringt es Ullrich auf den Punkt. Er hat bereits viele Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Dass die virtuelle Realität, die echte Welt an dieser Stelle ersetzen könne, stellt Ullrich auch aus diesen Erfahrungen heraus infrage. „Die Erkenntnisse aus den Begleitungen sind wichtig und wertvoll, helfen das Sterben zu verstehen“, beantwortet er eine entsprechende Frage. Das Auseinandersetzen mit dem Lebensende, die Trauer nach dem Tod, das seien alles menschliche Gefühle, zum Lebenszyklus zugehörend.
Allerdings sehe er auch, dass „KI Menschliches, das kaputtgeht, ersetzt, suggeriere, dass der Mensch noch existiere, was vielleicht auch Ängste nehmen könne.“ Unbeantwortet bleibt aber, ob KI die klassischen Aufgaben der Religion, des Glaubens übernehmen kann. Moderatorin Doris Steinbeißer resümiert dazu vielsagend: „Ein Thema, mit dem man sich beschäftigen muss.“
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