Ketsch. So lange ist der frühere Sportkegler Karl-Heinz Schleich noch gar nicht Mitglied im Ketscher Schachclub 1922. Es sind erst zwölf Jahre. Doch der Verein und das Spiel haben ihn gepackt. Nicht umsonst ist er der erste Vorsitzende dieses Vereins, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag feiert. Schach sei neben der Familie das Größte. Er lässt an seiner Leidenschaft für den Schachsport im Gespräch mit unserer Zeitung keinen Moment Zweifel aufkommen. „Schach ist für mich das großartigste Strategiespiel der Welt, da geht wirklich nichts drüber.“
Es sei eine Art Geschichte, die wirklich unendlich ist. Kein Spiel sei wie das andere. Und, so Schleich, das Spiel übergreife die Generationen wie kaum ein anderes Spiel. „Der jüngste in unserm Verein ist fünf Jahre alt und der Älteste geht auf die 80 zu.“ Unterm Strich ist Schach für ihn deshalb auch viel mehr als nur ein Spiel. „Es ist ein wertvolles Kulturgut.“ Mit am besten fasste ein Zeitgenosse der Gründung des Ketscher Schachclubs und damals einer der besten Schachspieler der Welt, Siegbert Tarrasch, den Zauber dieses Spiels: „Das Schachspiel, diese wunderbare Gabe aus dem Morgenlande, ist nicht nur das edelste und schönste aller Spiele, sondern gehört – an der Grenze von Spiel, Kunst und Wissenschaft stehend – zu den größten Genüssen.“
Schleich scheint eher ein nüchterner Typ zu sein. Doch es ist nicht zu übersehen, dass er stolz darauf ist, der erste Vorsitzende des ältesten Vereins im Badischen Schachverband zu sein. Am 12. September 1922 gaben 14 Gründungsmitglieder unter dem Vorsitz von Heinrich Berg im „Gasthaus zum Enderle“ den Startschuss für den Ketscher Schachclub. Es waren keine leichten Zeiten. Fiel die Gründung doch in die Zeit der Hyperinflation. Anfangs galt ein Jahresbeitrag von 30 Mark. Doch schon im Folgejahr kam die Erhöhung, wobei die Verantwortlichen auf die Nennung einer festen Summe verzichteten. Dieser wäre von der Inflation schnell wieder zunichte gemacht worden. Und so wurde der monatliche Mitgliederbeitrag an den Preis für ein Glas Bier gekoppelt. Eine wahrhaft pragmatische Lösung, so Schleich. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde der Verein aufgelöst. Wenig später erfolgte aber die Neugründung unter dem Dach des NS-Schachgemeinschaft. Während des Zweiten Weltkrieges kam der offizielle Spielbetrieb zum Erliegen. Doch schon 1946 lebte der Verein wieder auf. Erst als Teil der Sportvereinigung 06 Ketsch und ab 1959 stand der Verein dann wieder auf eigenen Füßen. Auffallend sind die Erfolge in der Jugendarbeit. Das Durchschnittsalter heute beläuft sich auf 32 Jahre. Über 50 Mitglieder sind jünger als 25 Jahre und vor wenigen Tagen begrüßte der Verein mit einem 17-Jährigen das 100. Mitglied. „Wenn das kein Fingerzeig des Schicksals ist.“
Enorme Komplexität
Sie alle eint die Liebe zu diesem Spiel auf einem Quadrat mit 64 Feldern und 32 Spielfiguren. Hört sich überschaubar an. Doch die Worte Schleichs von der unendlichen Geschichte stimmen beinah. Die Komplexität ist jedenfalls enorm. Die Zahl der möglichen Stellungen wird auf über zehn hoch 43 geschätzte. Das heißt, 43-mal zehn mal zehn. Nur zur Einschätzung, zehn hoch sechs ist eine Million. Und zehn hoch 21 ist eine Trilliarde, eine Zahl mit 21 Nullen. Die Zahl der möglichen Spielverläufe gerät dabei fast ins astronomische. Nach 40 Zügen könne es bis zu zehn hoch 120 verschiedene Spielverläufe sein. Der Beiname das königliche Spiel scheint verdient.
Seinen Anfang nahm dieses Spiel im dritten oder vierten Jahrhundert nach Christus in Indien. Und zwar als Besänftiger eines Tyrannen. Der Herrscher Shihram terrorisierte seine Untertanen und stürzte sein Land dabei ins Elend. Der weise Brahmane Sissa ibn Dahir wollte ihn auf den Zusammenhang der Tyrannei und den Niedergang hinweisen und entwickelte dieses Spiel, das zeigt, dass der König als wichtige Figur ohne die weiteren Figuren nichts ausrichten kann. Das Spiel soll Eindruck gemacht haben. Zumindest änderte Shihram seinen Herrscherstil, was dem Land gut bekam. Shihram gewährte dem Brahmanen daher einen Wunsch. Dieser wünschte sich der Legende nach Weizenkörner. Und zwar für jedes Schachfeld die doppelte Anzahl, ausgehend von einem Weizenkorn auf dem ersten Feld. Ein Wunsch, der ihm gewährt wurde und ein Beleg ist, dass die Menschen auch damals exponentielles Wachstum nicht verstanden. Denn es wurde klar, dass es so viel Weizen im Reich nicht gebe.
Sieben Fähigkeiten der Ritter
Nach diesem legendären Start verbreitete sich das Schachspiel im Rahmen der islamischen Expansion nach Europa und spätestens im 13. Jahrhundert war das Schachspiel hierzulande eine feste Größe. Sichtbarstes Zeichen dafür war, dass Schachspiel gehörte zu den „Septem probitates“, den sieben Fähigkeiten, die ein Ritter beherrschen musste. Bereits ab dem 18. Jahrhundert wurde Schach dann zum Teil der bürgerlichen Kultur und ist es bis heute geblieben. Dem Schachspiel, so Schleich, wohne seit Jahrhunderten ein Faszinosum inne und bis heute habe es davon nichts verloren.
Wer es nicht glaubt, kann es gerne ausprobieren. Immer freitags ab 18 Uhr für Kinder und Jugendliche und ab 20 Uhr für Erwachsene finden die offenen Vereinsabende im Ferdinand-Schmid-Haus (Goethe-Straße 22) statt.
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