Gedenken - Vor zwei Anwesen in der Hockenheimer Straße und der Hebelstraße Stolpersteine verlegt / Verfolgung trotz zunächst geringer NS-Nähe in der Gemeinde

Kritik an Hitler brachte den Tod für Kemptner

Von 
Sascha Balduf
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Der Künstler Gunter Demnig verlegt vor dem Anwesen Hockenheimer Straße 16 zwei der Stolpersteine.

© Lenhardt

Ketsch. Der Nationalsozialismus kostete unzählige Menschen das Leben. Um den Opfern zu gedenken, werden - vor deren letztem frei gewählten Wohnhaus - in mittlerweile 21 europäischen Ländern so genannte Stolpersteine verlegt. An zwei Stellen sind die Messingplaketten seit gestern auch in Ketsch im Boden versenkt.

Initiator des 1992 gestarteten Projekts ist der Künstler Gunter Demnig, der bis auf einige Ausnahmen jeden der über 40 000 Steine selbst verlegt hat. Die Stolpersteine sollen den in den Konzentrationslagern Entpersonalisierten ihren Namen zurückgeben und den Betrachter sich beim Lesen symbolisch vor den Opfern verbeugen lassen, so die Idee des Künstlers. Auch sollen die Stolpersteine die Unschuldsbehauptung einiger Zeitzeugen deutlich in Frage stellen.

Der erste Stolperstein wurde gestern in der Hockenheimer Straße 16 in den Gehweg eingesetzt: Hier wohnten Artur und Thekla Metzger. Artur Metzger wurde am 28. Februar 1899 in Ketsch geboren und war, wie viele Einwohner damals, Arbeiter in einer Mannheimer Fabrik. Er engagierte sich in der Kommunistischen Partei und wurde deshalb nach der Machtübernahme 1933 festgenommen und im Schlossgefängnis in Mannheim inhaftiert. Auch verbrachte er einige Zeit im Konzentrationslager Kislau bei Mingolsheim, wo so genannte Schutzhäftlinge -also politisch Andersdenkende - untergebracht waren. Da Metzger außerdem jüdischen Glaubens war, wurde er im Novemberpogrom 1938 nach Dachau verschleppt und dort am 9. Januar 1939 ermordet.

Über Thekla Metzger ist nur wenig bekannt. Sie wurde am 23. Mai 1908 in Ketsch geboren und wohnte bis 1936 in der Gemeinde. Am 1. Juni zog sie ins hessische Gießen um, wo sie bis zu ihrer Verschleppung im September 1942 lebte. Bürgermeister Jürgen Kappenstein hob bei der Verlegung der Steine die Wichtigkeit hervor, auf das Schicksal der Regimeopfer aufmerksam zu machen und sich bewusst zu machen, dass es auch in Ketsch Opfer gegeben hat. Begleitet wurde die Verlegung der Stolpersteine von Schülern der Neurottschule. Die Neunt- und Zehntklässler sangen "Sag mir wo die Blumen sind" und das Widerstands-Lied "Was keiner wagt". Die Schüler, die das Thema im Ethik- und Religionsunterricht behandelt hatten, berichteten außerdem aus dem Leben der Geehrten.

Der dritte Stolperstein wurde in der Hebelstraße 48 verlegt. Karl Kemptner, geboren am 22. August 1898, kehrte als Pazifist aus dem Ersten Weltkrieg zurück und engagierte sich für die Sozialdemokratische Partei. Vor seiner letzten Wohnstätte erinnerte Peter Kaiser, der seine Doktorarbeit über den Nationalsozialismus in der Gemeinde verfasst hat, an das politische Klima in den Dreißigerjahre: "So lange es noch freie Wahlen gab, war die NS-Zustimmung der Ketscher Bevölkerung relativ gering. Beim Durchbruch der NSDAP hatten nur 0,15 Prozent die Nationalsozialisten gewählt. In den umliegenden Gemeinden lag die Zustimmung da schon um 50 Prozent."

Einwohner wählten KPD und SPD

Kaiser führte diese Wahlergebnisse auf die demografischen Besonderheiten der Enderlegemeinde zurück: Über 90 Prozent der Bevölkerung war katholisch und der Zentrum-Partei zugewandt. Ein weiterer großer Teil arbeitete - wie Metzger und Kemptner - in den Mannheimer Fabriken und wählte KPD oder SPD. Trotzdem gab es auch in Ketsch politische Tumulte, wie etwa die große Saalschlacht im Juni 1932 im Gasthaus "Adler", bei der auch Karl Kemptner anwesend war: Hier kam es zu "schweren Zusammenstößen zwischen Kommunisten, Reichsbannerleuten und Nationalsozialisten (...) man benutzte Stuhlbeine und Biergläser als Waffen und brachte sich damit teilweise schwere Verletzungen bei" (Zitat aus unserer Zeitung vom 27. Juni 1932).

Kemptner äußerte öffentlich seine Überzeugung, Hitler habe von Anfang an auf einen Krieg zugearbeitet und dessen Ausbruch zu verschulden. Am 28. März 1944 wurde er durch die Gestapo verhaftet und wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" und "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt. Am 27. Oktober starb Karl Kemptner durch das Fallbeil. Historiker Kaiser mahnte, es sei in Zeiten wie heute, "in denen antidemokratische, antiparlamentarische Kräfte in die Politik drängen" besonders wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern: "Wir müssen uns der Bedeutung von Einigkeit, Recht und Freiheit bewusst sein".

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